Von der Pflicht zu leben

 

Wenn Antonia Kreuzpointner-Kreis ihre Klient:innen kennenlernt, sind diese bereits verstorben. Die 51-Jährige ist die erste hauptberufliche Trauerrednerin Österreichs.

 

von Julia Herzog

Die besten Geschichten schreibt bekanntlich das Leben. Manche dieser Lebensgeschichten sind wohl skurriler als andere. Wie die Geschichte eines Fernfahrers, der den Großteil seiner Lebenszeit auf der Strecke zwischen Österreich und Deutschland verbrachte. Der Herr hatte nicht nur einen anstrengenden Beruf, sondern auch ein Doppelleben: In dem einen Land lebte er zusammen mit seiner Frau und fünf Kindern, in dem anderen hatte er eine Partnerin mit vier Kindern. Erst als der Mann schwer krank wurde, gab er sein Geheimnis preis. Die beiden Frauen lernten sich an seinem Sterbebett kennen. „Die Frauen waren natürlich geschockt und haben geschimpft. Aber danach – und das hat mich schwer beeindruckt – haben beide gesagt, dass er jeweils die Liebe ihres Lebens war. Sie waren sich gegenseitig nicht feindselig, sondern haben auf bemerkenswerte Art miteinander von ihrem Mann Abschied genommen. Diese zwei Frauen beeindrucken mich bis heute“, erzählt Kreuzpointner-Kreis. 

Einblick in teils verzwickte Familiengeschichten wie diese erhält Antonia Kreuzpointner-Kreis durch ihre Tätigkeit als Trauerrednerin. Die 51-jährige Salzburgerin lässt mehrmals wöchentlich das Leben Verstorbener Revue passieren. Dabei nutzt sie ihre große Liebe zur Sprache, um die Lebensgeschichten ihrer Klient:innen würdevoll auf den Punkt zu bringen. „Beim Schreiben einer Trauerrede geht es mir weniger um harte Fakten wie Jahreszahlen. Vielmehr stelle ich mir angesichts des Verstorbenen Fragen: Was hat den Menschen ausgemacht? Womit hat er seine Zeit gefüllt? Was war seine Idee vom Sinn des Lebens? So komme ich zur Essenz der jeweiligen Lebensgeschichte.“ Diese akribische Detektivarbeit, bei der sie das Wesentliche aus dem Leben der Verstorbenen herausarbeitet, betreibt Kreuzpointner-Kreis seit nunmehr 13 Jahren. Das mit viel Hingabe: „Ich habe mittlerweile über 1.500 Trauerreden gehalten. Es ist schön, diese Lebensgeschichten zu erzählen. Man lernt aus jedem Leben so viel, nimmt überall etwas mit.“ Obwohl sie – wie die meisten – mit dem Tod lange Zeit nichts zu tun haben wollte. Nach dem Studium der Gesundheitspädagogik war sie als Glückscoach tätig und hatte den Blick auf das Positive gerichtet. Erst als ihre beste Freundin vor 15 Jahren an Krebs erkrankte, wurde das Thema unausweichlich präsent: „Ich habe meine Freundin ein Jahr lang auf ihrem letzten Weg begleitet. Dass sie sterben würde, wollte ich bis zuletzt nicht wahrhaben. Kurz vor ihrem Tod hat sie mich gefragt, ob ich ihre Grabrede halte – sozusagen als letzten Liebesdienst.“ Nach dem Tod ihrer Freundin absolvierte Kreuzpointner-Kreis die Ausbildung der Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung bei der Hospizbewegung: „Die Ausbildung habe ich in erster Linie gemacht, um mit meiner eigenen Trauer klarzukommen.“ Ein Bekannter, der die Rede am Grab ihrer Freundin gehört hatte, stellte schließlich den Kontakt zur Bestattung Jung her. Eine Woche später hatte sie ihren ersten Einsatz als Trauerrednerin.

Heute ist sie mit ihrem empathischen Wesen und perfektem Time-Management in der Berufung angekommen: „Ich plane vor jeder Verabschiedung reichlich Zeit ein und bin immer eine halbe Stunde vor Beginn vor Ort. Ich mache davor nichts Stressiges und schaue, dass ich gut in mir ruhe.“ Ob es Momente gibt, in denen auch einer routinierten Trauerrednerin die Worte fehlen? Die dreifache Mutter muss nicht lange überlegen: „Solche Fälle gibt es immer wieder. Wenn etwa ein Kind verstirbt, darf auch ich schlucken und Mensch sein. An so etwas wird man sich nie gewöhnen.“ Der Glaube an eine höhere Macht helfe ihr in solchen Situationen. „Ich glaube, wir kommen alle aus einer Quelle. Ich nenne sie Liebe. Manche nennen es Gott, Allah, Buddha und andere sagen Universum dazu. Ich glaube, letztendlich ist der Name nicht so wichtig.“ 

Wie sie selbst einmal in Erinnerung bleiben möchte, weiß sie genau: „Ich bin mir bewusst, dass ich meine Grabrede jeden Tag lebe. Der Tod nimmt mich voll in die Pflicht zu leben. Das tue ich – so ausgeglichen und ruhend ich in meinem Beruf bin, so temperamentvoll bin ich privat. Ich möchte, dass meine Kinder einmal sehr viel Lustiges von mir zu erzählen haben.“