Ton auf, Frauen vor!
Ariane Pellini ist als „die Tonfrau“ unterwegs. Im französischen Gebirge und in der Salzburger Stube ist sie immer dann gefragt, wenn es um den guten Ton geht. Für Film und Fernsehen beispielsweise. Wir haben mit ihr über Menschen und Momente gesprochen, die sie zum Klingen bringen.
Titelinterview mit Tontechnikerin Ariane Pellini
von Michaela Hessenberger
In der Riege der Ton-Fachleute sind Sie eine der ganz, ganz wenigen Frauen in Salzburg. Haben Sie ein Vorbild in einem Job, den nicht gerade häufig eine Frau macht?
Ariane Pellini: Nein, ich habe eigentlich nie wirklich Vorbilder, auch nicht in anderen Bereichen. Es war mir nicht wichtig, wer diesen Job vor mir gemacht hat. Ich wollte einfach mit Ton arbeiten, die gute Musik „spielen“. Erst als ich mich nach meinem Multimedia-Art-Studium selbstständig gemacht habe, machten mich andere Leute darauf aufmerksam, dass ich eine Frau bin. (lacht) Die mir bekannten Live-Tontechnikerinnen und Filmtonfrauen im Bundesland Salzburg lassen sich an einer Hand abzählen. Gerade deshalb ist mir Vernetzung sehr wichtig. Wie wichtig, das ist uns allen gegen Ende der Pandemie klar geworden. In dieser Zeit habe ich mit einem Kollegen die Filmton Gruppe Salzburg gegründet, um die zahlreichen Anfragen halbwegs abdecken zu können. 14 Menschen sind nach wie vor dabei – 13 Männer und ich.
Immer noch scheuen sich Menschen davor, in Netzwerke zu gehen. Manche haben Angst vor Konkurrenz.
Ariane Pellini: Ich erlebe das totale Gegenteil. In der Branche sind wir Kolleginnen und Kollegen, Konkurrenz gibt es nicht. Wir machen ja auch nicht alle dieselben Jobs. Manche haben Vorlieben für einen gewissen Stil bei Produktionen oder Events. Manche lieben es, den Ton bei Kabaretts zu machen. Andere können keine Kabarettistinnen und Kabarettisten mehr hören. So teilt sich alles recht gut auf. Ich bin eine volle Teamplayerin und erlebe auch die anderen transparent und fair.
Empfinden Sie es eher als Privileg oder als Bürde, hierzulande eine der wenigen Frauen zu sein?
Ariane Pellini: Den Job hab ich mir ja nicht deshalb ausgesucht, weil ich in einem Bereich die einzige Frau sein wollte. Also Privileg nein, zur Bürde sage ich aber auch nein. Ich habe einfach das getan, was mich interessiert hat. Als ich 16 Jahre alt war, wollte ich unbedingt zum Radio und moderieren. Nur deshalb habe ich begonnen, Kommunikationswissenschaft an der Uni Salzburg zu studieren, natürlich mit dem Schwerpunkt Audiovision. Ich hätte es womöglich auch als Autodidaktin schaffen können, bin aber den Weg über die Uni gegangen und habe dort viel Uniradio gemacht. Seit 2006 läuft meine eigene Sendung, „reflecting sound“, auf der Radiofabrik. Zu hören jeden dritten Montag im Monat ab 21 Uhr.
Trotzdem ist es ein Job am Mischpult statt am Mikrofon geworden.
Ariane Pellini: Als ich eine Teenagerin war, wollte ich unbedingt Teil einer Band sein und selbst Musik machen. Später wurde mir dann klar, dass es bereits so viel gute Musik im Äther gibt, dass es mir völlig reicht, diese bestmöglich abzumischen. Außerdem haben mich Mischpulte magisch angezogen. Während des Studiums hatte ich einen Nebenjob in der Szene und habe den Saal und auch die Tribüne bestuhlt sowie Raumkosmetik gemacht. Als sogenannte Stage Hand konnte ich sehr gut hinter die Kulissen blicken. Da stand das Mischpult und ich habe begonnen, Fragen dazu zu stellen. Die Antworten waren knapp und weil mir die Uni zu praxisfern war, hab ich auf die FH gewechselt und mich danach eben selbstständig gemacht.
Als Tonfrau machen Sie mehr als einen einzigen Job.
Ariane Pellini: Aktuell bin ich für die Szene, die ARGE, das Jazzit, das Mozarteum, das Literaturhaus, im Shakespeare und im Mark unterwegs, außerdem im Toihaus und im YoCo, dem Jugendzentrum im Markussaal. Bei Drehs bin ich der Set-Ton für diverse Produktionsfirmen. Die Ergebnisse sind dann auf allen drei ORF-Sendern zu sehen beziehungsweise zu hören, auf Servus TV, Netflix oder in der Kinowerbung.
Was gehört für Sie zum guten Ton?
Ariane Pellini: Zuhören. Dabei mitdenken und vor einer allzu schnellen Antwort ein bisschen abwarten. Ich sehe mich als Transmitterin und stehe für Offenheit.
Welche Chancen bietet Ihr Job?
Ariane Pellini: Zum Beispiel die, dass ich regelmäßig Dinge sehe und Menschen treffe, zu denen ich privat nicht hinginge. Ich erinnere mich da an eine Tagung im Museum der Moderne über Kunst und Produktivität. Es wäre mir nicht eingefallen, hinzugehen. Dabei waren die Inhalte großartig. In Salzburg kann ich fast jeden Tag etwas Interessantes finden. Kulturell ist einiges los, wenn man sich gern Neues anschaut oder sich für Randgruppen interessiert. Von all meinen Aufträgen und Einsätzen kann ich mir etwas mitnehmen. Mein erster Dreh für Servus TV fand in einer Kaffeerösterei statt. Danach hab ich mir eine Kaffeemühle zugelegt, weil ich gesehen habe, dass es für den Geschmack so viel Unterschied macht, wenn ich die Bohnen frisch mahle.
Wie steht’s um abenteuerliche Einsätze im Ausland?
Ariane Pellini: Auch die sind möglich, es kommen immer mal wieder Angebote. Als Mama eines Zweijährigen ist nicht alles möglich, aber mit dem richtigen Partner einiges. Super war es zum Beispiel, einen jungen Kletterer vier Tage lang im französischen Montpellier zu begleiten.
Klettern Sie dann mit all Ihrem Equipment hinter ihm her?
Ariane Pellini: Zum Glück hängt der Ton selten direkt in der Wand. Meist reicht es, mit einer guten Funkstrecke am Boden zu stehen. Allerdings muss ich erst einmal in das Gebiet kommen, in dem jemand klettert. Das kann spannend werden mit einem 15-Kilo-Rucksack auf den Schultern.
Ihr stärkstes Erlebnis im Job bisher?
Ariane Pellini: Begeistert bin ich immer dann, wenn es um Menschen und ihre Geschichten geht. Ich mag das Echte, das Authentische. Vor Kurzem war ich zum Doku-Dreh bei Krisenpflegeeltern. Die Mama hat mich schwer beeindruckt. Sie ist bereit, spontan Babys in ihre Obhut zu nehmen und sich um sie zu kümmern. Wie lang oder kurz, weiß sie selbst nicht. Das muss emotional irre fordernd sein. Das hat mich sehr berührt. Schwer nervös war ich, als ich am Wiener Donauinselfest den Liveton für die Salzburger Band ShiveringFit gemacht habe. Ich saß vor dieser riesigen Bühne und fand die Arbeit einfach nur cool.
Welchen Job würden Sie nicht annehmen?
Ariane Pellini: Es gibt politische Grenzen für mich. Vielfalt gehört zu meinem Leben dazu, Ausgrenzung ist nicht mein Ding. Es gibt nicht nur ein richtiges Lebensmodell, sondern so viele legitime. Ich bin fürs Zulassen und Zulosen, also Zuhören. Über alle Generationen hinweg. Es machen ja nicht nur die jungen Leute Dampf.
Sie hatten kein Role Model auf dem Weg zur Tonfrau. Wenn sie heute in Workshops oder bei Jamsessions mit Mädchen und jungen Frauen arbeiten, können Sie allerdings selbst in die Vorbildrolle schlüpfen. Was möchten Sie ihnen als Frau in der Technik mitgeben?
Ariane Pellini: Dass das Arbeiten am Mischpult oder das Benutzen eines Mikrofons wirklich nichts mit einem Geschlecht zu tun haben. Es geht um die Ohren und nicht um weiblich oder männlich oder divers. Das ist völlig nebensächlich. Vielmehr möchte ich, dass junge Frauen wissen, dass für sie Jobs wie meiner infrage kommen. Immerhin ist er der coolste der Welt! Ich möchte, dass sie wissen, dass sie immer gut genug sind, sich auszuprobieren. Burschen haben offenbar eine Art „natürlicher Legitimation“, wenn sie ein Radio aufschrauben, um nachzuschauen, was an Technik drinsteckt. Doch die kindliche Neugier ist über dem Geschlecht angesiedelt. Auch Mädchen sind in ihrem Forschungsdrang zu unterstützen. Die ewige Wiederholung, dass wir Rollen entsprechen müssen, soll endlich aufhören. Doch die Zuschreibung „Mädchen sind eher kreativ, Buben eher technisch“ passiert weiter, noch dazu viel zu früh.
Tatsache ist, dass Jobs in der Technik Mädchen nach wie vor abschrecken. Junge Frauen gehen tendenziell in schlechter bezahlte Berufe. Warum brauchen sie sich keine Sorgen machen, dass sie ein Mischpult mit seinen gefühlt 1000 Knöpfen nicht im Griff haben?
Ariane Pellini: Mischpulte sind nicht kompliziert. Denn wenn man die Funktionen eines Kanalzugs verstanden hat, ist der Rest im Grunde nur Wiederholung – egal, ob es acht oder 80 Kanäle sind.
Wie funktioniert Ton?
Ariane Pellini: Ich erkläre die Arbeit mit dem Ton gerne so, als würden wir Wasser beim Fließen beobachten. Von oben gieße ich den Klang in ein Gefäß. Die Kabel stecke ich so an, dass sie mit der richtigen Quelle verbunden sind. Wenn ich den Regler, den Gain, aufmache, kommt genau die richtige Menge Wasser durch. Auch ein Gate regelt den Durchlauf. Der Kompressor bearbeitet, was wir oben hineingekippt haben, und unten fließt feiner „Tonsaft“ samt Klangfarbe heraus. Genau das ist dann meine Mischung.
Tüfteln und Wissenschaft gehören also zu Ihrem Job.
Ariane Pellini: Tüfteln ist super. Ich lade ein, dass Mädchen sich trauen, mit dem Ton zu spielen. Zum Beispiel bei einer Jamsessions einfach ans Pult stellen und schauen, was passiert, wenn man an den Reglern dreht.
Kein Grund zur Angst also.
Ariane Pellini: Nein. Ich habe noch nie Anlagen oder ein Mikrofon zerstört. Mit dem Equipment ist man ja in der Regel eh vorsichtig, es fällt schon nicht runter. Freilich mache auch ich manchmal Fehler. Wobei die besten Fehler natürlich die sind, die ich als Erste bemerke und gleich korrigieren kann.
Sie sind nicht nur bei Live-Events vor Ort oder machen den Ton bei Drehs, Sie geben Ihr Wissen auch an der Uni weiter.
Ariane Pellini: Seit dem Wintersemester 2023 erfülle ich einen Lehrauftrag für eine praxisnahe Lehrveranstaltung an der Kommunikationswissenschaft, und zwar „Location Sound“, Filmton also. Damit kehre ich zurück zu meinen Wurzeln und darf genau dort was beitragen, wo mir was in meiner Ausbildung gefehlt hat – mehr Praxis-Input.
Haben Sie als Tonfrau ein riesiges Tonstudio daheim und megaviel Equipment?
Ariane Pellini: Nein, gar nicht, ich hab nie damit angefangen, selbst viel Studioequipment zu besitzen. In den Häusern, in denen ich Veranstaltungstechnik mache, ist alles Nötige vorhanden. Mein Filmton-Equipment habe ich beieinander, das lässt sich natürlich immer optimieren. Aber wenn ich wirklich akut was brauche, weiß ich, von wem ich es mir ausborgen kann oder in welchem Studio ich mich einmiete für den jeweiligen Zweck. Das ist viel effizienter und die anderen haben auch was davon. Es gibt also keinen Grund, dass ich mich für privates Equipment in Unkosten stürze. Bei einer Materialschlacht mache ich nicht mit und kaufe mir selbst derzeit nur, was es an bewährt-guter Ausrüstung auf dem Markt nicht mehr gibt. Ich mag es, alte Dinge gut zu pflegen. Unterm Strich brauche ich nur ordentliche Kopfhörer und ein paar Mikros.
Was darf in Ihrem Rucksack nie fehlen?
Ariane Pellini: Für Live-Events sind es die besagten Kopfhörer, ein paar Adapter, ein Laptop – falls ich Musik zuspielen will –, ein Edding, weißes Tape, ein ordentliches Taschenmesser zum Kabelbinderaufschneiden und eine kleine Taschenlampe, falls ich unter der Bühne herumkrabbeln muss. Für den Filmton habe ich Klebezeug zum Fixieren der Ansteckmikros dabei, denn die Schauspielerinnen und Schauspieler sind verdeckt verkabelt.
Welcher ist denn Ihr Lieblingston, welches Ihr Lieblingsgeräusch?
Ariane Pellini: Ich mag das Fließen eines Flusses. Er muss nicht rauschen, er kann plätschern wie ein Bach. Das Beständige ist das, was mir gefällt. Beim Filmton ist mir das beobachtende Element am liebsten. Ich drücke gern auf Record und nehme genau das Hier und Jetzt auf.