
„Nix für schwache Nerven“
Einen Herrgottswinkel sucht man am Meissnitzerhof vergebens. Dafür ziert ein Ahnenstein mit dem 91. Psalm zu Ehren der Vorfahren den Vorplatz. Und auch sonst ticken die Uhren auf dem Lungauer Bauernhof etwas anders. Geführt wird er von der 22-jährigen Magdalena Kerschhaggl mit viel Herzblut, Spontaneität und Einfallsreichtum. Im Apropos-Interview erzählt die Jungbäuerin, was sie alles anders macht – und trotzdem da und dort auf Altbewährtes zurückgreift.
Titelinterview mit Jungbäuerin Magdalena Kerschhaggl von Monika Pink-Rank
Frau Kerschaggl, auf der Website des Meissnitzerhofes steht zur Begrüßung: „Nix für schwache Nerven“. Was hat das zu bedeuten?
(lacht) Da bin ich mit meinem Papa zusammengesessen und wir haben uns gedacht, wir brauchen irgendeinen Spruch, der die Leute neugierig macht. Bei uns geht es – im positiven Sinne – oft kunterbunt und ein bisschen verrückt zu, und deswegen muss man starke Nerven haben, um das bei uns durchzuhalten.
Was ist so anders auf Ihrem Hof?
Ich glaube, meine Art ist anders. Im Lungau ist sehr viel „normal“: Man hat so seine paar Kühe, gibt die Milch ab, lebt im Alltagstrott. Ich versuche schon mal andere Wege zu gehen oder aus der Reihe zu tanzen und das auch am Hof widerzuspiegeln. Meine Familie und ich, wir sind total offene Menschen, bei mir sind alle Leute willkommen. Mein Hof soll strahlen durch die Menschen, die hierherkommen und einander begegnen. Jeder Gast ist für mich Familie, und das spürt man auch. Vielleicht ist das anderswo auch so, aber ich glaube, so viele Plätze gibt es nicht, wo alle das Gefühl haben, schon ewig befreundet zu sein und eine gute Zeit miteinander haben.
Erzählen Sie uns ein bisschen etwas zur Geschichte des Meissnitzerhofes?
Unser Hof ist seit Generationen in Familienbesitz. Meine Großeltern haben zusätzlich zur Landwirtschaft mit der Vermietung angefangen, dann haben meine Eltern übernommen, und nach deren Trennung hat ihn mein Vater weitergeführt. 2017 ist mein Opa verstorben, er war der Ruhepol, der alles zusammengehalten und eine große Lücke hinterlassen hat. Das war für meinen Papa so ein Einbruch, dass er wegmusste an einen anderen Ort und den Hof zwei, drei Jahre an fremde Leute verpachtet hat, bevor er ein Jahr komplett leer gestanden ist: keine Tiere, keine Vermietung mehr, die Oma ganz alleine im Austragshaus. Dann ist der Hof quasi zum Verkauf gestanden, weil mein Vater das alleine nicht gestemmt hätte und mein Bruder und ich kein Interesse daran hatten.
Es war also nie geplant, dass Sie den Hof übernehmen?
Absolut nicht! Ich bin zwar am Hof aufgewachsen und wollte als Kind Bäuerin oder Tierärztin werden. Im Gymnasium aber wollte ich Journalistin werden, und mit 16 Jahren bin ich nach Lienz gegangen und habe dort eine Lehre als Hotel- und Gastgewerbeassistentin absolviert. Damals war nie der Gedanke, dass ich zurückgehe, so nach dem Motto: „Was will ich mit einem Hof im Lungau, am Arsch der Welt, da gibt es nichts, das interessiert mich sowieso nicht.“ Nach der Ausbildung habe ich noch ein Jahr im Hotel die Barleitung gemacht und mein Plan war, einen Backpack-Trip nach Spanien zu machen und dort im Bar-Business weiterzuarbeiten Doch 2020 kam alles komplett anders.
Was geschah 2020?
Ich habe einen Schiunfall gehabt, hier bei uns am Aineck, und hatte eine Fuß- und Knieverletzung. Da war dann nix mit in der Gastronomie arbeiten für eine Zeitlang. Mein Papa hat gesagt: „Du kannst ja den Krankenstand am Hof verbringen, da ist alles ebenerdig.“ Und dann war ich eine Woche da, und ich weiß es noch, als ob es gestern gewesen wäre: Ich bin oben im Haus gesessen in der Sonne und das war wie so ein Gedankenblitz, irgendein Gefühl im Körper, das gesagt hat: „Magdalena, da ist dein Platz, du gehörst daher“. Und das war der Moment, wo ich entschieden habe, dass ich dableiben und das wieder angehen möchte. Das war im Februar 2020, ich war gerade einmal zwanzig Jahre alt. Anfang März war alles offiziell und ich habe mit der Landwirtschaft gestartet.
Und dann kam Corona…
Ja, und im Nachhinein gesehen ist mir das zu Gute gekommen, weil mein Vater Home Office hatte und drei Monate durchgehend mit mir am Hof war. In dieser Zeit haben wir wieder alles aufgebaut und hergerichtet. Das war eine sehr intensive und schöne Zeit mit meinem Papa, weil wir wirklich 24/7 zusammen waren, gemeinsam gearbeitet haben und die Energie voll gepasst hat. Er hilft mir auch weiterhin unheimlich viel und liebt es, denn er war leidenschaftlicher Bauer. Wenn er am Wochenende herkommt zum Heuen oder oben am Traktor sitzt, ist er der glückseligste Mensch.
Was hat sich seither am Hof verändert?
Zuerst einmal die Tierarten, die da sind: Früher hatten wir eine normale Milchwirtschaft mit Fleckvieh wie fast alle Bauern hier. Ich hab mir zuerst Hühner genommen, dann Pinzgauer Kühe und Waliser Schwarznasenschafe. Das ist eine Schafrasse, die bei uns eher selten, aber sehr robust ist. Auch meine Kune Kune Schweine sind eine ganz seltene Rasse, da gibt es in ganz Österreich nur um die fünfzehn Bauern, die welche haben. Ich habe da nicht auf die Wirtschaftlichkeit geachtet – ich habe sie einfach gesehen und mir gedacht: Die passen zu mir, die nehm ich. Ich lasse Kühe und Schafe gemeinsam auf die Wiese, was man bei uns auch nicht so oft sieht. Meine Wunschvorstellung ist, dass ich den Hof in Zukunft voll umzäunt habe und die Tiere komplett frei auf dem Hof herumlaufen.
Sie bilden ja gerade auch einen tierischen Helfer aus…
Ja, mein Border Collie Pan ist etwas über ein Jahr alt und soll als Hütehund eingesetzt werden – da kenne ich im Lungau niemanden, der das macht. Gerade beim Klauen kontrollieren oder Ohrmarken anbringen erleichtert es die Arbeit extrem, wenn der Hund die Schafe herantreibt, die Herde separieren oder den Widder in Schach halten kann. Ich würde ihn auch für die Kühe ausbilden, damit er mir die Herde hertreibt oder auch für den Almauf- und Abtrieb.
Sie bringen die Kühe zu Fuß auf die Alm? Ist das heutzutage nicht eine Seltenheit?
Stimmt, 90 Prozent der Bauern führen ihre Tiere mit dem Anhänger auf die Alm, die tun sich die Arbeit gar nicht an hinaufzugehen. Ich habe meine Kühe heuer zum ersten Mal auf die Alm getrieben. Das war ein sehr spannender Tag für mich, weil ich nicht gewusst habe, wie sie reagieren. Am Vortag bin ich zu ihnen und habe mit ihnen geredet: „Hey, Mädls, es geht morgen auf die Alm. Macht’s keine Faxen, geht’s mir einfach nach, ganz gemütlich, ohne Rennen. Dafür habt ihr den kompletten Sommer eine Ruhe von mir und könnt’s walten wie ihr wollts.“
Und – wie ist es gelaufen?
Wie dann der Tag da war: Gatter auf, noch ein Stoßgebet zum Herrgott, und es hat super funktioniert. Die Kühe sind raufspaziert, eine Stunde zu Fuß über den Wanderweg, die waren so brav und sind mir auf Schritt und Tritt nach. Die Leute haben voll Ver- und Bewunderung geschaut, wie ich meine Tiere im Griff hab. Das macht mich dann schon stolz, weil ich mir denke: Meine Viecher kennen mich, die vertrauen mir und wissen, es geht irgendwohin, wo es cool ist. ich rede ja auch viel mit ihnen und ich glaub fest daran, dass die mich verstehen und kapieren, was ich sage, und auf das hören. Deswegen ist Kommunikation mit meinen Tieren ganz wichtig für mich.
Was machen Sie als Bäuerin noch anders als die anderen?
Ich möchte alte Sachen wieder aufleben lassen, die nicht mehr so gängig sind. Wir waren die ersten im Lungau, die wieder probiert haben, Hanf anzubauen. Wir haben selber nicht gewusst, was uns erwartet. Dann gab es 2-3 Meter hohe Pflanzen, ich war gleich total verliebt in sie. Wir haben die Samen geerntet und einen super Ertrag gehabt, und auch für den Boden ist der Hanf extrem bereichernd. Deswegen machen damit weiter,
die Hälfte der Hanfsamen verkaufen wir ab Hof, aus der anderen Hälfte pressen wir Hanföl. Wir bauen auch Waldstauden an, eine total robuste Urroggen-Sorte, die aber ein zweijähriges Getreide und deswegen kaum verbreitet ist. Unlängst hat der Starkregen beim Nachbarn das Getreide völlig niedergedrückt, aber unsere Waldstaude steht da wie ein Einser.
Also anders – und gleichzeitig traditionsbewusst?
Wir erfinden die Welt nicht neu, sondern gehen einfach zurück. Ich habe es geliebt, wenn mein Opa von früher erzählt hat, und viele seiner Geräte verwenden wir bis heute. Wir möchten auch die keltischen und germanischen Feiertage wiederbeleben und haben heuer erstmals die Sommersonnenwende am Hof gefeiert – mit unserem Chor, mit Räuchern, jeder hat mitgewirkt, und es war ein schönes Fest. Weihnachten werden wir am 21. Dezember als Fest des Lichtes feiern, wieder im Stall mit den Tieren, wie voriges Jahr.
Oft sind Hofübergaben ja konfliktträchtig, weil die jüngere Generation alles anders macht als die Eltern. Wie ist das bei Ihnen?
Bei uns gar nicht. Mein Vater und ich arbeiten super zusammen und haben eine sehr gute Kommunikation miteinander. Unsere Meinungsverschiedenheiten enden nicht in einem Streit, sondern in einer sachlichen Diskussion, in der wir auf einen grünen Zweig kommen. Er sagt selber:“ Ich mache dir viele Türen auf, aber durch welche du gehst, musst du selber entscheiden.“ Auch die Oma gibt ihren Senf dazu, aber lebt wieder voll auf, ratscht mit den Gästen, macht den Garten. Ihr taugt es, dass sie wieder eingebunden ist und sich einbringen kann.
Auch beim Vermieten gehen Sie neue Wege, wie man auf Ihrer Website sehen kann.
Die Appartements hatten wir ja schon, aber Campingmöglichkeiten gibt es bei uns im Lungau wenige. Wir haben eine super Lage, das Feld ist groß genug – also wollten wir einen Campingplatz machen. Es hat sich herausgestellt, dass das mit den Widmungen und Auflagen extrem kompliziert ist und meine Idee, dass sich alle dorthin stellen können, wo sie wollen, so nicht verwirklichbar ist. Ich hatte es fast abgeschrieben, als ich auf „Schauaufsland“ gestoßen bin. Das Konzept hat mich total angesprochen, ich war als einer der ersten Höfe dabei und es ist von Anfang an super gelaufen. Jetzt habe ich täglich vier bis fünf Camper dastehen.
Preisliste findet man aber keine auf Ihrer Website – wieso?
Ich hab mit dem Papa mal im Spaß philosophiert, was wäre, wenn man bei der Vermietung keine Fixpreise verlangt, sondern eine Null-Preisliste macht. Irgendwann ist mir das Gespräch wieder eingefallen und ich hab mir gedacht: Ich mach das jetzt einfach! Ich sage den Leuten, sie sollen das bezahlen, was es ihnen wert ist. Das war jetzt nicht nur aus der Laune heraus, sondern weil ich die Energie cool finde, die dahintersteckt. Denn ich muss mir ohne Anhaltspunkt überlegen, was ich bereit bin zu geben. Besonders meine Oma hat gemeint, dass das überhaupt nicht geht und ich total einfahren werde.
Und welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die ersten Reaktionen waren recht interessant, einige Leute waren echt überfordert. Ich sag immer: „Macht euch da keine Gedanken, es gibt kein Minimum und kein Maximum, kommt einfach, habt eine schöne Zeit, genießt es und hört auf euer Bauchgefühl! Das, was euer Bauch sagt, passt für euch und für mich.“ Und es ist spannend, es gleicht sich total aus, wie so ein Energiespiel: Wenn jemand einmal weniger geben kann, dann geben die nächsten umso mehr. Im Schnitt bleibt es immer gleich.
Was bedeutet „anders“ für Sie?
Das ist schwer zu sagen – jeder Mensch ist einzigartig und auf seine eigene Art anders. Ich glaube, es ist die Anschauung, wie man Dinge betrachtet. Ich versuche viele Dinge anders zu machen und immer wieder einen Schritt rauszugehen und zu schauen: was gibt es da noch und da noch? Da ist viel in meinem Kopf, was ich noch umsetzen möchte – und was noch mehr ins Extreme geht oder ein bisschen crazy ist!
Warum glauben Sie haben manche Leute ein Problem damit, wenn jemand etwas anders macht?
Ich denke, dass da Neid eine Rolle spielt. Möglicherweise haben sie selber nicht so gute Ideen oder würden gern in eine andere Richtung gehen, aber sie haben nicht den Mind dazu. Und wenn sie dann sehen, dass ein anderer das macht und coole Ideen hat, kommt vielleicht der Groll: „Der hat das so gut und ich würd das auch gern so machen!“. Ich glaube, deswegen kommen auch diverse Reaktionen, das habe ich anfangs auch erlebt.
Wie gehen Sie mit solchen Reaktionen um?
Einfach lächeln, das ist das einfachste. Ich lasse mich nicht in Diskussionen oder Argumentationen oder Rechtfertigungen hineinziehen. Ich kann andere Meinungen verstehen und akzeptieren, aber ich lasse mich nicht auf negative Sachen ein. Mein Lächeln ist die beste Waffe, und das ist meine Antwort darauf: Lächeln und freundlich sein!