„Gott ist mein guter Freund“

 

von Tomas Friedmann

 

Es ist Nachmittag. Das Fotoshooting auf dem H.C.-Artmann-Platz und in der Literaturhaus-Bibliothek ist vorbei. Jetzt sitzen wir zu viert in meinem Büro. Elena strahlt. Während unseres Gesprächs lacht sie oft. Elena redet mit Händen und Füßen, der Körper spricht immer mit. Ihr bald fünfjähriger Sohn Jakob sitzt fröhlich und wach daneben. Immer wieder klettert er auf die Knie seiner Mama. Sie küsst ihn zärtlich, streichelt seinen Kopf, hebt ihn hoch. Gegenüber sitzt Papa. Er heißt Făgăraș Banu. Auch er ist gut gelaunt. Beide trinken Espresso mit Zucker. Und Wasser. Beide kommen aus Rumänien. Beide verkaufen die Salzburger Straßenzeitung „Apropos“. Kennen gelernt haben sie sich in Salzburg. Hierher kam Elena vor 15 Jahren, er zwei Jahre später. Davor war sie in Wien. Auch dort hat sie die Straßenzeitung verkauft. „Den Augustin“, sagt Elena, die rumänisch und deutsch spricht. Eines Tages machte sie sich auf den Weg nach Salzburg. Und jetzt sind sie zu dritt in einer kleinen Wohnung in Liefering. Im Dachgeschoß. Ohne Fernseher. Ohne Radio. Dafür haben sie weder Geld noch Zeit. Ihr Alltag ist geregelt, bestimmt von Arbeit, von der Familie, vom Glauben. Am Wochenende gehen sie mit Jakob spazieren und zum Spielplatz. Es scheint ein gutes, erfülltes Leben zu sein. Hier in Salzburg, ihrer Heimat, wie sie sagt.

„Familie bedeutet Glück“

Elena hat auch einen größeren Sohn, erwachsen nennt sie ihn. David wird heuer 15, sagt sie mit stolzer Stimme. Er lebt in Rumänien. Sie zeigt mir sein Foto auf dem Handy. Im Sommer holt sie ihn immer nach
Österreich. David. Jakob. Und dann gibt es noch eine kleine Tochter. Sara-Elena. Sie ist Jakobs Zwillingsschwester und seit der Geburt beeinträchtigt. Auch ihr Foto zeigt sie mir auf dem Mobiltelefon. Elena betrachtet das Bild. Dabei schaut sie sanft, vielleicht etwas wehmütig, nicht traurig. Elena vertraut auf Gott. Auf Gottes Wille. Warum das Kind nicht in Österreich sei, werde sie manchmal gefragt. Elenas Antwort: Weil es ihr in der rumänischen Spezialklinik besser gehe. Verwandte kümmern sich um das Mädchen. Und Elena besucht ihre Tochter wie ihre kranke Mutter und ihre Verwandten so oft wie möglich: demnächst zu Ostern, dann im Sommer und natürlich zu Weihnachten. Dazwischen wird telefoniert. „Familie bedeutet Glück“, sagt Elena. Glück sei Familie. Und die ist groß. Ihr Papa und vier Schwestern leben in Salzburg, eine in Linz. Und dann gibt es noch zwei Brüder. Elena seufzt. Manchmal sei das Leben schwer gewesen. Vier Kinder habe sie verloren. Aber jetzt ist Jakob da. Elena liebt Jakob. Und er liebt seine Mutter. Beide strahlen. Und das hat viel mit Gott zu tun.

Elena ist Christin. Geboren in Pitești, ungefähr 120 Kilometer westlich von Bukarest, aufgewachsen südlich der rumänischen Hauptstadt. „Ich bin Christin“, sagt Elena selbstbewusst. In ihrem Geburtsland besucht sie drei Mal pro Woche den Gottesdienst: Dienstag, Donnerstag und Sonntag. Jetzt, in Salzburg, verfolgt sie täglich online den Gottesdienst aus București. Gott habe sie auch vor Corona bewahrt, verrät Elena. Ihm vertraut sie in allen Lebenslagen. „Gott ist mein guter Freund“, sagt Elena lächelnd. „Mensch ist Mensch. Er spricht mal so, dann wieder anders.“

Die Österreicher mag Elena. Sie seien freundlich. Und sie kaufen ihr die Straßenzeitung ab. 300 Stück pro Monat, die Elena für 1,50 Euro einkauft und um 3 Euro verkauft. Von Monatsanfang bis Monatsende. Bei jedem Wetter. Manchmal bekommt sie auch ein Trinkgeld von den Menschen in Hallein. Dorthin fährt Elena von Montag bis Samstag um 6 Uhr früh mit der S-Bahn. Vorher bringt sie ihren Sohn zur Tagesmutter in Kuchl. Dann fährt sie allein zurück nach Hallein. Bis 14:30 Uhr verkauft sie „Apropos“ vor dem Drogeriemarkt bei der Stadtbrücke. Wenn sie mit der Arbeit fertig ist, holt sie Jakob wieder von der Tagesmutter ab. Gemeinsam geht es zurück nach Salzburg. Und am nächsten Tag wieder früh los.

„Alle Tage sind gut“

„Alle Tage sind gut“, sagt Elena. Zeit für Hobbys oder um Freunde zu treffen bleibt nicht. Es ist immer etwas zu tun. Daheim kocht Elena gerne. Und wenn sie einmal krank ist, dann kocht ihr Mann. Der lacht und nickt. Jakobs Lieblingsspeise sind Spaghetti mit Sauce, ohne Fleisch. Elena hingegen mag auch Fleisch. Am liebsten mit Gemüse und Spiegelei. Außerdem gefüllte Paprika. Rouladen. Suppen. Abends liest sie gerne in der Bibel. „Cornilescu“, sagt Elena. Die Lutherbibel. Elena hält sich an die Gebote Gottes. Sie raucht nicht, sie trinkt keinen Alkohol. „Nicht lügen, nicht stehlen, den Nächsten lieben“, sagt Elena. Sie glaubt fest daran, dass gute Menschen in den Himmel kommen. Dafür betet sie. Für die Armen und Kranken. Für ihre Verwandten. Für die Erdbebenoper in der Türkei und in Syrien. Für Flüchtlinge. Für die Menschen in der Ukraine. Und für ihren Sohn Jakob, der zweisprachig aufwächst und im Mai fünf Jahre alt wird, wie sie mehrmals stolz betont.

Sorgen macht Elena der Kindergartenplatz. Denn sie würde Jakob gerne im Herbst in Hallein unterbringen. Doch das geht leider nicht, weil ihr Hauptwohnsitz in Salzburg ist. Nur sie arbeite eben in Hallein. Dort hat sie früher auch mal Büros stundenweise geputzt. Die seien schmutzig gewesen, sagt Elena. Und ihr damaliger Chef nicht immer gut. Mehr als 9 Euro pro Stunde könne er nicht bezahlen, sagte er. Sagt Elena. Sie habe ihn um 1 Euro mehr gebeten. Nein, das gehe leider nicht, hörte sie. Dann habe sie aufgehört. Viel lieber ist ihr, die Straßenzeitung „Apropos“ zu verkaufen. Das mache sie glücklich. Und dabei strahlt Elena. Wie die Sonne, die jetzt auch draußen scheint.