Erholung unter Bäumen
Wenn unsere Autorin Ruhe braucht, wenn sie gestresst ist, wenn sie abschalten will – dann zieht sie gemütliche Schuhe an und macht sich auf den Weg in „ihren“ Wald. Obwohl sie in der Stadt wohnt, hat sie das Glück, innerhalb weniger Minuten ein Erholungsgebiet für Körper und Geist zu erreichen und den Kopf bei einer gemütlichen Runde dort zu leeren und wieder „wie neu“ nach Hause zurückzukehren.
von Eva Daspelgruber
Im Wald schlägt das Herz messbar langsamer, der Blutdruck sinkt und die Muskeln entspannen sich – genau das, was ich in dieser hektischen Welt von Zeit zu Zeit brauche. Bei einem Waldspaziergang habe ich nichts anderes zu tun, als den Vögeln zu lauschen, Pflanzen zu betrachten oder mich an einem vorbei huschenden Eichhörnchen zu erfreuen. Das ist pure Erholung für meinen Kopf, der neben anderen Dingen in der Stadt mit einer großen Menge an Reizen beschäftigt ist – vom Verkehrslärm über laute Nachbarn bis hin zur Baustelle nicht unweit meiner Wohnung. Sogar das Handy bleibt lautlos in der Tasche und muss warten, bis mein Spaziergang zu Ende ist. Beschallung mit Podcasts oder Lieblingssongs brauche ich hier auch nicht, denn die Vögel und der sanft durch die Blätter rauschende Wind sind die perfekte Geräuschkulisse.
Gleich beim Eingang erwarten mich die ersten Platanen und läuten mit ihren ausladenden Ästen den Beginn meines Kurzurlaubs ein. Bei diesen riesigen Schönheiten komme ich jedes Mal erneut ins Staunen. Es wundert mich nicht, dass allein der Anblick von grünen Bäumen das Immunsystem stärken kann. Bereits in den 1980ern wurde im Rahmen einer Studie festgestellt, dass Patient:innen nach einer Gallenblasenoperation weniger Schmerzmittel brauchten, wenn sie durch das Fenster ihres Krankenhauszimmers auf einen Baum blicken konnten. Ihre Wunden heilten schneller und sie wurden früher entlassen als jene, die nicht in den Genuss dieser Aussicht kamen.
Besser als durch eine Glasscheibe ist natürlich der Aufenthalt unter Bäumen selbst, wie ich ihn gerade genieße, als ich beim „Knorpelbaum“ – wie ich ihn nenne – vorbei spaziere. Optimal für unsere Gesundheit wären monatlich zwei komplette Tage im Wald. Studien zufolge hat unser Körper dann nämlich ausreichend Zeit, Terpenoide zu tanken. Das sind intensiv riechende Duftstoffe, die von Bäumen freigesetzt werden und die diese zur Kommunikation untereinander verwenden. Vor allem Terpenoide von Nadelbäumen regen die Produktion von „Killerzellen“ im Blut an, die Krankheitserreger und potenzielle Tumorzellen bekämpfen können. Nach einem Waldtag haben wir fast 40 Prozent mehr von diesen Zellen im Blut, bei zwei verdoppelt sich deren Anzahl sogar. Dieser Effekt hält rund einen Monat an, erst dann sinkt das Niveau wieder. Im Labor töteten Terpenoide sogar Krebszellen ab und bösartige Geschwüre bei Tieren bildeten sich wieder zurück oder entstanden gar nicht erst.
In der Mitte meiner Waldrunde treffe ich auf meinen Lieblingsbaum. Irgendjemand hat einmal Herz in seine Rinde geschnitzt. Er ist imposant und bestimmt schon sehr alt. Zumindest der Stamm des Riesen lässt das vermuten, denn es braucht schätzungsweise vier Menschen, um ihn zu umarmen. Ich hoffe, es gibt ihn noch lange, denn der Wald ist rundum lichter geworden, seit wegen eines Borkenkäferbefalls hunderte von Fichten gefällt werden mussten. Eine Studie aus Toronto verglich die Baumdichte mit den Gesundheitsdaten der ansässigen Bevölkerung und kam zum Schluss, dass mehr Bäume eine geringere Wahrscheinlichkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck und Diabetes bedeuten.
Mittlerweile bin ich bei einem kleinen Häuschen angelangt, das mitten im Wald steht. Es ist rund und hat ein kegelförmiges Dach. Im ersten Lockdown, als ich gemeinsam mit meiner Tochter nahezu täglich hier im Wald war, ließ sie ihrer Fantasie freien Lauf und erkor dieses kreisförmige Gebäude als Residenz eines Zauberers aus. Auf der Bank vor dem Haus hat sich gerade ein Rotkehlchen niedergelassen und ich beobachte es eine Weile. Als normalerweise ungeduldiger Mensch finde ich hier im Wald immer Ruhe, sobald ich ihn betrete.
Kommt man nicht so gut selbst zur Ruhe oder möchte man die Zeit im Wald betreut und in Gesellschaft verbringen, kann man „Waldbaden“ ausprobieren. Das Konzept stammt aus Japan, heißt dort „Shinrin Yoku“ und beinhaltet das Erleben der Natur mit allen Sinnen – oft kombiniert mit Entspannungsübungen. Seit den 1980ern ist es dort wichtiger Bestandteil der Gesundheitsvorsorge. Auch hierzulande ist die Palette an Anbietern, die derartige Workshops im Wald mit Yoga, Meditation oder Achtsamkeitsübungen abhalten, groß.
Ich bin nun am Ende meiner Runde angelangt, wo ein dunkelbraunes Holzhäuschen mit grünen Fensterläden steht. Hier wohnt die Hexe – zumindest, wenn es nach meiner Tochter geht. Auch sie haben wir im ersten Lockdown besucht und später mit dem Zauberer bekannt gemacht. Ich muss schmunzeln, wenn ich an all unsere Besuche hier denke. An die verwunderten Blick anderer Spaziergänger:innen, als ich mit verstellter Stimme als Hexe zu meinem Kind sprach.
Dankbar darüber, ein solches Erholungsgebiet praktisch vor meiner Haustür zu haben, trete ich den Heimweg an. Vollkommen entspannt und erholt, denn auf „meinen“ Wald ist Verlass!