30 Jahre Soziale Arbeit
Kann man ein Unternehmen mit sozialem Auftrag unter wirtschaftlichen Rahmenbedingungen führen? Die Soziale Arbeit, eine gemeinnützige GmbH, stellt sich täglich dieser Herausforderung. Menschen in sozialen Notlagen bekommen Beratung, Betreuung und konkrete Hilfe – für ein gutes Leben mit Wohnung und Job.
von Wilhelm Ortmayr
Es war im Jahr 1987, zu einer Zeit, in der das soziale Klima in Österreich etwas rauer wurde. Eine Initiative sozial engagierter Menschen befand, es müsse etwas getan werden gegen die zunehmende Wohnungslosigkeit in der Stadt Salzburg, aber auch außerhalb. Obdachlose beziehungsweise „Sandler“, wie das im Volksmund hieß, seien in einem der höchstentwickelten Sozialstaaten Europas eine Bankrotterklärung, so die Vertreter des Vereins Zebu, die dagegen etwas unternehmen wollten.
Der zentrale Vereinszweck war die Wohnungslosenbetreuung, man betrieb Unterbringungs- und Beratungseinrichtungen, aber man kümmerte sich auch schon um „Gefährdete“, also Personen, die vom Verlust ihrer Wohnung bedroht waren – und man betrieb Arbeitsprojekte mit psychosozialer Versorgung für Menschen in Krisensituationen.
Diese Strategie war damals so klug wie heute. Erstens: rechtzeitig eingreifen, beraten und helfen, damit Wohnungslosigkeit erst gar nicht entsteht. Zweitens: die Betroffenen behutsam und betreut in ein geregeltes Wohnumfeld zurückbringen – und parallel dazu auch wieder in den Arbeitsmarkt.
Viele soziale Markenunternehmen unter einem Dach
Mit den Jahren wuchsen die Erfordernisse, das Leistungsangebot auf breitere Beine zu stellen. Aus dem Verein wurde die Soziale Arbeit gGmbH. Das g am Anfang steht für gemeinnützig – es signalisiert also, dass es sich bei der Firma um ein Unternehmen handelt, das nicht gewinnorientiert arbeitet. Es bekommt Gelder der öffentlichen Hand und erbringt dafür wichtige und sinnvolle soziale Leistungen, während der Eigengewinn (und der Leistungsdruck) nicht im Vordergrund steht, wie dies am „normalen“ Arbeitsmarkt der Fall ist.
Vor dreißig Jahren startete die Soziale Arbeit ihre Tätigkeit – von Anfang an gesplittet in die vorgegebenen drei Hauptbereiche: Wohnen, Arbeiten, Beratung. Seither haben viele Tausend Menschen die Dienste des Unternehmens in Anspruch genommen, dort gearbeitet oder durch Soziale Arbeit wieder eine Wohnung bekommen. Sie wurden von den fixen Mitarbeitern der gGmbH (derzeit sind es 75) unterstützt
- bei der materiellen Existenzsicherung,
- bei der Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt,
- bei der Wohn- und Arbeitsintegration,
- beim Wiedererlangen und Erhalten der Gesundheit,
- bei der allgemeinen Verbesserung der Lebensumstände
- mit umfassender Betreuung – von Prävention bis zum Krisenmanagement.
Hinter all diesen Leistungen stehen knapp ein Dutzend Firmen und Teilbereiche, vereint in der Trägerorganisation Soziale Arbeit. Dieses Zusammengehören ist seit kurzem auch im optischen Auftritt der gGmbH sichtbar. Damit möchte Geschäftsführer Christian Moik die öffentliche Wahrnehmbarkeit des Betriebes verbessern, vor allem aber hofft er, damit noch mehr Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb des Unternehmens zu schaffen. Denn dessen verschiedene Einrichtungen sind teils in unterschiedlichen Vierteln der Stadt angesiedelt. „Das führt dazu, dass die Mitarbeiter einander oft kaum kennen und daher wenig Wahrnehmung haben von den Aktivitäten anderer Teile der gGmbH“, erklärt Moik.
Er betont dies auch deshalb, weil ihm selbst als Geschäftsführer kein „schöner“ Start vergönnt war, in dem viel Miteinander und Kennenlernen möglich war. „Ich habe quasi mit Ausbruch der Pandemie begonnen, also in einer Situation, wo niemand wusste, was auf das Unternehmen zukommt. Diese Zeit war zweifelsohne für alle Mitarbeiter:innen und Beratungssuchenden auch persönlich nicht einfach“, schildert der 54-jährige gebürtige Stadt-Salzburger seine ersten Monate an der Spitze der Sozialen Arbeit, in denen es schwierig war, „miteinander warm zu werden“, ohne ernstlich zu erkranken.
Doch längst hat die Realität – Stichwort Teuerung – dafür gesorgt, dass der Betrieb wieder auf Hochtouren läuft. Das spüren die Mitarbeiter:innen in der Sozialberatung, dem „Eingangstor“ zum breitgefächerten Beratungs- und Betreuungsangebot der Sozialen Arbeit, das spürt man aber vor allem beim Kampf gegen Wohnungslosigkeit: Die jüngsten enormen Sprünge bei Mieten und Betriebskosten zeigen fatale Auswirkungen. Viele Mieter:innen sind in grobe Zahlungsschwierigkeiten geraten, der Verlust der Wohnung, sprich die Delogierung droht.
Umso wichtiger ist es, dass Betroffene möglichst früh Kontakt mit der „Wohnungssicherung“ aufnehmen. Diese Beratungseinrichtung der Sozialen Arbeit versucht rechtzeitig das Schlimmste zu verhindern – durch Kontaktaufnahme mit den Vermietern oder Energieversorgern, durch enge Zusammenarbeit mit der Schuldnerberatung und eine intensive Betreuung, die sich letztlich kostensenkend auswirkt.
Besonderes Augenmerk gilt jenen Menschen, die bereits von Wohnungslosigkeit betroffen sind. Denn man weiß: Der Verlust der eigenen Wohnung (oder eben die Wiedererlangung einer Wohnung) ist ein unglaublicher Einschnitt in die Lebensstruktur eines Menschen. Wer die Wohnung verliert, fällt aus der Gesellschaft, heißt es. Ohne Wohnung keine Adresse, ohne Adresse keine Bewerbung, kein Job, kein Bankkonto, kein selbstständiges oder geordnetes Leben und vieles mehr. „Jeder Euro, den Staat und Gesellschaft ausgeben, um Wohnungslosigkeit zu beenden oder zu vermeiden, wird in anderen (Sozial-)Budgets doppelt eingespart“, zitiert Geschäftsführer Moik aus einschlägigen Studien.
Daher mietet die gGmbH selbst Wohnungen an und bietet sie Menschen zur Nutzung an, die wohnungslos sind. Daran gekoppelt ist eine Betreuungsvereinbarung. Das bedeutet, der oder die Bewohner:in wird von Mitarbeiter:innen der Sozialen Arbeit engmaschig betreut und begleitet. Ziel ist es nämlich, dass die Bewohner:innen nach spätestens einem Jahr den Sprung in ein selbstständiges geregeltes Wohnverhältnis (meist in einer kleinen geförderten Mietwohnung) schaffen. Derzeit unterhält Soziale Arbeit ein Haus in der Karl-Emminger-Straße (nahe der Hellbrunner Brücke) mit solchen Kleinstwohnungen. Weitere sind über die ganze Stadt verstreut, was die Betreuung der Bewohner:innen erschwert. „Ein zweites oder drittes Haus wäre toll, weil uns das viele Wege ersparen würde und wir unser Angebot ausweiten könnten“, formuliert Geschäftsführer Moik einen seiner Wünsche zum 30. Geburtstag der Sozialen Arbeit. Die Notwendigkeit sei jedenfalls gegeben. „Wir sehen gerade in diesen Monaten, wie schnell auch Menschen aus der Mittelschicht von Wohnungslosigkeit betroffen sein können“, erklärt Moik. „Es kann fast jede und jeden treffen.“
Ein Platz im Arbeitsleben sichert auch die Wohnung
Daher sei es wichtig, so der gelernte Jurist an der Spitze der Sozialen Arbeit, „dass es ein engmaschiges Auffangnetz gibt und dass die Wertschätzung der Gesellschaft und der Politik für das, was die Soziale Arbeit gGmbH leistet, weiter hoch bleibt“.
Denn finanziell ist man von dieser Wertschätzung abhängig. Der Betrieb der Sozialen Arbeit basiert zu einem guten Teil auf Zuschüssen – durch AMS-Gelder (die vom Bund kommen), Mittel aus den Sozialbudgets des Landes und zu geringen Teilen auch Geld der Stadt. Die zweite Säule heißt Eigenerwirtschaftung, wobei hier eine Quote von 40 Prozent die Regel ist.
Eigenerwirtschaftung ist jenen Teilen der gGmbh möglich, die „sozialökonomische Betriebe“ sind, weil sie aus dem Verkauf von Waren oder Dienstleistungen Einnahmen erwirtschaften. Dazu zählen die Straßenzeitung „Apropos“, die Sie soeben in Händen halten, dazu zählt ebenso das Selbstbedienungsrestaurant Schmankerl in der Glockengasse, das täglich zwei frische saisonale Menüs anbietet. Dort wird arbeitssuchenden Menschen die Möglichkeit geboten, bis zu ein Jahr unter professioneller Beratung und Leitung bei geregeltem Gehalt zu arbeiten. Ziel ist die langfristige Vermittlung in den Salzburger Arbeitsmarkt, die auch gut funktioniert, erst recht in Zeiten, wo die Gastronomie dringend Personal sucht. „Schmankerl-Mitarbeiter:innen, die die Abläufe und die Arbeit in einer Großküche kennengelernt haben, werden immer wieder gerne genommen“, erzählt Moik.
Als „niedrigste Schwelle“ für die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bietet Soziale Arbeit die Initiative Lebensarbeit an. Dort sind Beschäftigte tätig, die in einem wertschätzenden und rücksichtsvollen Umfeld einfach wieder die Basics des Berufslebens lernen sollen. Sie bekommen durch ihren Job eine gewisse Tagesstruktur, einen definierten Arbeitsbereich, eine (meist handwerkliche) Aufgabe, die zu meistern sie in der Lage sind, und – ganz wichtig – es erschließt sich mit dem Kolleg:innenkreis eine neue soziale Einbettung. Arbeitszeit und -intensität richten sich nach den individuellen Möglichkeiten.
Vom Sozialamt an die Lebensarbeit vermittelt werden meist Menschen mit starken Beeinträchtigungen in der Leistungsfähigkeit – sei es durch Krankheit, Suchtproblematiken oder psychische Krisen. In der Tischlerei, Näherei und Lackiererei der Lebensarbeit können sie (wie in allen Beschäftigungsmodellen der Sozialen Arbeit) maximal ein Jahr bleiben. Spätestens dann sollten sie im Idealfall den Sprung in die „nächsthöhere“ Stufe des Arbeitsmarktes geschafft haben, etwa zu TAO.
Hinter diesem Kürzel (es steht für Transport, Arbeit, Organisation) steht ein echter sozialökonomischer Allrounddienstleister, bei dem langzeitarbeitssuchende Menschen beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt in Salzburg Stadt, Flachgau und Tennengau unterstützt werden sollen. Es geht also – neben der Höherqualifizierung und dem Absolvieren eines bereits höheren Stundenausmaßes – stark um Qualifizierung, Beratung, Coaching und Vermittlung. „Wie bewerbe ich mich, wie trete ich bei einem Bewerbungsgespräch auf, welche Firmen wären für mich geeignet?“ Solche Fragen sind für die TAO-Mitarbeiter:innen stets Thema.
Insgesamt werden an allen Standorten von TAO 47 geförderte Arbeitsplätze angeboten. Weitere gibt es in Zell am See und Saalfelden, wo das Unternehmen JOP 21 denselben Tätigkeitsbereich abdeckt. Beide Betriebe sammeln gut erhaltene, qualitativ hochwertige Kleiderspenden, die nach der Sortierung in Secondhand-Shops verkauft werden, ebenso wie gut erhaltene gebrauchte Möbelstücke aus Spenden, Wohnungs- und Geschäftsauflösungen. Kleintransporte, Entrümpelungen, Upcycling und fachgerechte Entsorgung sowie ein Bügelservice runden das Leistungsangebot ab.
Veränderte Bedingungen – der Arbeitswille bleibt
Naturgemäß hat sich innerhalb der letzten drei Jahrzehnte vieles verändert in den Einrichtungen der Sozialen Arbeit, sowohl im Beratungsbereich als auch in den Betrieben. „Die Klientel der Beschäftigten spiegelt unsere Gesellschaft wider. Die Menschen sind kränker, es gibt immer mehr Beschäftigte mit Hebe- und Trageeinschränkungen, was ihren Einsatz in gewissen Bereichen unmöglich macht“, schildert Moik. Auch die oft sehr geringen Deutschkenntnisse der Jobbewerber machen es dem Fixpersonal nicht immer einfach. „Wir machen mittlerweile eigene Sprach-Checks, weil die Vorlage eines A1- oder A2-Zertifikats sagt leider überhaupt nichts. Man fragt sich, wie die vergeben werden.“
Woran es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den sozialökonomischen Betrieben hingegen nie fehlt, ist der Arbeitswille. „Es gibt Menschen, die aus körperlichen oder psychischen Gründen schlichtweg nicht in der Lage sind, mehr als 10 oder 15 Stunden pro Woche zu arbeiten, und sie schaffen auch nicht jede Tätigkeit“, weiß Moik aus Erfahrung. „Viele wollen aber mehr und länger arbeiten. Die muss man fast vor sich selbst schützen, damit sie sich nicht zu viel zumuten und dann zusammenbrechen“, entkräftet der Geschäftsführer das üble Gerücht von der angeblich mangelnden Arbeitsmoral arbeitsloser oder leistungseingeschränkter Menschen. „Keiner unserer Transitbeschäftigten möchte mit 1100 Euro Sozialhilfe zuhause sitzen. Alle möchten viel lieber etwas Sinnstiftendes tun und arbeiten.“
Klarerweise spiegelt sich in allen Betrieben der Sozialen Arbeit auch die Gesamtsituation am Arbeitsmarkt wider. Ist dort die Lage prekär, also die Arbeitslosigkeit hoch, heuern mehr gut qualifizierte Arbeitskräfte z.B. bei TAO, Schmankerl oder bei JOP 21 im Pinzgau an. Wenn aber allgemein Arbeitskräftemangel herrscht und alle Unternehmen bis hin zu den Leiharbeitsfirmen händeringend Personal suchen, bleiben viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nur sehr kurz im „zweiten“ Arbeitsmarkt. Was ja im Grunde genommen erfreulich und wünschenswert ist, dennoch sieht Moik diese Wechselwirkung mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Ob wir anspruchsvollere Aufträge ausführen und damit auch höhere Produktivität erzielen können, hängt auch von der Leistungsfähigkeit und Qualifikation unserer Mitarbeiter:innen ab.“
Moderner, nachhaltiger und noch mehr Qualität
Zum Dreißiger hat das Management der Sozialen Arbeit keine unendlich lange Wunschliste, aber doch einige Herzensanliegen. Ganz zentral: das Wohnangebot auszuweiten und die Qualität der Wohnungen verbessern zu können. Zudem wäre es für Moik wünschenswert, in allen Bereichen des Unternehmens Schritte in Richtung Nachhaltigkeit zu gehen. Von der Ausstattung und Energieversorgung der Wohnungen über die Transportfahrzeuge (mehr E-Antriebe) bis hin zum noch genaueren Sortieren und Verwerten der gesammelten Altkleider oder dem Aufbereiten von Möbeln.
Den Shops von TAO und dem Restaurant Schmankerl wiederum täte punktuell eine Modernisierung nicht schlecht. Speziell die Küche im Schmankerl ist schon in die Jahre gekommen. Und, das Wichtigste zum Schluss: „Dass die Kooperation mit allen Partnern (AMS, Sozialämter, Politik, NGO, Wirtschaft) so gut und wertschätzend bleibt, wie sie derzeit ist.“ Das wünscht sich die Soziale Arbeit – stellvertretend für weitere viele Tausend, die ihren Platz in unserer Gesellschaft nicht verlieren sollen.