Willkommen im Dschungel

 

Wie meine Mutter werden wollte ich nie. Und doch nähern wir uns immer stärker an: zumindest wenn es um die Faszination geht, Dinge zum Wachsen und Gedeihen zu bringen.

 

von Sandra Bernhofer

 

Seit gestern wohnt Fridolin bei mir. Damit wird es etwas eng auf meinen paar Quadratmetern, denn er hat 18 Geschwister, die schon vor ihm eingezogen sind. Fridolin ist ein Philodendron und ein besonders prächtiger: Feuerrote Blätter sprießen neben lachsfarbenen und sattgrünen. Sein bürgerlicher, sprich botanischer Name: McColley’s Finale.

Ich könnte nicht behaupten, dass der grüne Daumen bei uns in der Familie liegt. Bis vor kurzem habe ich es noch geschafft, Kakteen zum Verdorren zu bringen. Ganz anders meine Mutter. Sie lebte öko und nachhaltig in einer Zeit, als sich ihre Kinder noch dafür genierten. In Baumwollsackerln mit Apotheken-Logo trug sie Brot und Fleisch vom Bauernmarkt nach Hause, zum Geburtstag gab es Torten aus Dinkelmehl, die aussahen und schmeckten wie Sägespäne. Ein gut sortierter Gemüsegarten gehörte da natürlich dazu. Frühling für Frühling habe ich meiner Mutter dabei zugesehen, wie sie Karottensamen mit Erde bedeckt, Salatpflänzchen in Reih und Glied in den Boden steckt und Dung darüberschaufelt. Jeden Sommer habe ich beobachtet, wie sie Unkraut rupft, Schnecken des Gartens verweist und die Gemüsebeete und Sträucher gießt, spätabends, wenn die Sonne schon hinter den Bergen abtauchte. Im Herbst habe ich ihr zugesehen, wie sie Äpfel aus dem feuchten Gras klaubt und leuchtend orange Kürbisse vom Boden pflückt. Bis ich alt genug war, selbst mitanzupacken. Zugegeben, ganz freiwillig war das nie.

Seitdem ich erwachsen bin, lebe ich in Städten und lange habe ich gedacht, ich hätte als Kind so viel Natur aufgesogen, dass es bis an mein Lebensende reicht. Pflanzen waren für mich ein altmodischer Spleen für altmodische Menschen. Und jetzt stehe ich da und schütte selbst zwei Mal die Woche Wasser in 19 Töpfe, knipse vertrocknete Blätter ab und wische ab und zu den Staub von den riesigen eingekerbten Wedeln der Monstera.
Während der Corona-Pandemie habe nicht nur ich die Liebe zu Sukkulente Monstera & Co neu entdeckt. Zimmerpflanzen liegen im Trend – in der eigenen Wohnung und auf Instagram, wo einen die prächtigsten Exemplare ehrfürchtig vor der Vielfalt der Natur werden lassen. Es gibt Pflanzen für sonnige Orte und welche für dunkle, auch pflegeleichte gibt es – für das Erfolgserlebnis. Wissenschaftlich ist klar: Pflanzen tun dem Menschen gut, sie verbessern das Wohlbefinden und lindern Stress. Die Arbeit im Homeoffice macht der ganz private Urban Jungle allemal angenehmer.

Topfpflanzen sind für mich längst nicht mehr bloße Deko, Topfpflanzen sind Freunde. Gundula war die erste, der ich einen Namen verpasst habe. Und das hat der Monstera obliqua sichtlich gutgetan, denn keine Woche vergeht, in der ihr nicht drei, vier neue löchrige Blätter sprießen. Ich komme kaum mit dem Zählen nach. Seitdem haben sich eine gestreifte Calathea Triostar namens Pepe, eine Erbsenpflanze, zwei angeblich unzerstörbare Elefantentuten und etliche wuschelige Grünlilien dazugesellt.

Inzwischen kann ich den Wunsch meiner Mutter gut nachvollziehen, Dinge zum Wachsen und Gedeihen zu bringen. Wie faszinierend ist das doch: Man holt sich ein Stück exotischer Wildnis in die Wohnung, kümmert sich in echter, bodenständiger Arbeit darum und wird mit satten neuen Trieben belohnt. Im besten Fall zumindest. Aber wenn die feuerroten Blätter von Fridolin braun und matschig werden, weiß ich, an wen ich mich wende: meine Mutter.