Wenn der Geldfluss tropft

Büromiete oder Kreditrate? Lebensmittel oder Betriebskosten? Die Covid-Katastrophe wirft für viele Selbständige Fragen auf, die vor drei Monaten unvorstellbar waren. Damals überlegte man schlimmstenfalls die Reihenfolge seiner Ausgaben. Nun tobt der Kampf ums Überleben.

von Wilhelm Ortmayr

Wie lebt sich’s drei Monate lang mit 500 Euro? Bis Corona existierte diese Frage (samt falscher Antwort) ausschließlich in der Vorstellungswelt von Ex-Ministerin Beatrix Hartinger-Klein. Covid-19 hat das Umdrehen von Euros und Cents jedoch Realität werden lassen. Kaum ein Kleinbetrieb, Ein-Personen-Unternehmen (EPU) oder Freiberufler, der von den wirtschaftlichen Folgen der Krise nicht betroffen wäre. Und zwar betroffen bis zur realen Existenzfrage. Denn anders als Arbeitslose oder Kurzarbeitende sehen sich Selbständige oft mit Einnahmenausfällen von 100 Prozent konfrontiert. Wer welches hat, lebt von Erspartem. Wem die Bank den Überziehungsrahmen ausweitet, was leider selten vorkommt in diesen Tagen, der kann auf Pump weitermachen und hoffen, dass die Zeiten besser werden.

Die Liste der betroffenen Sparten ist unendlich. Selbst niedergelassene Ärzte berichten von deutlichen Rückgängen: „Wir haben fast leere Wartezimmer und viel Zeit für jeden Patienten. Das ist erfreulich, aber leben könnten wir auf Dauer nicht davon“, beschreibt eine Salzburger Dermatologin ihren Praxisbetrieb in Covid-Zeiten. Therapeuten, egal welcher Sparte, beklagen Umsatzrückgänge zwischen 40 und 100 Prozent. „Ich durfte arbeiten, aber es ist nur jeder zehnte Patient tatsächlich erschienen, alle waren völlig verängstigt“, schildert Physiotherapeutin Angela die Situation während der Lockdown-Wochen. Aus dem „Härtefallfonds 1“ hat sie 1.000 Euro bekommen, was im betreffenden Zeitraum nicht mal annähernd ihre betrieblichen Fixkosten deckt. Dabei ist es überhaupt nicht selbstverständlich, dass sie aus dem ersten der beiden Fonds überhaupt Geld bekommen hat. Denn seine „Spielregeln“ waren so voller Hürden und Tücken, dass selbst Vorzeige-Freiberufler mitunter leer ausgingen.

Ähnlich ergeht es vielen, die auf Kreditabsicherungen durch das AWS (Austria Wirtschaftsservice) warten, ohne die es keine Überbrückungskredite bei der Hausbank gibt. Schlechte Karten haben dabei Kleinunternehmen oder Freiberufler, die in jüngster Vergangenheit trotz guter Umsätze negativ bilanzierten (etwa wegen getätigter Investitionen oder Umschichtungen) oder deren Branche extrem ungünstige Zukunftsaussichten hat. Darunter fallen gegenwärtig fast alle, die im Kultur-, Event- oder Veranstaltungsbereich tätig sind (Künstler, Fotografen, Techniker, Ausstatter, Stylisten …), in der Nachtgastronomie oder im internationalen Tourismus. Aber auch Werbung, Marketing und PR leiden extrem. „Ich weiß nicht, wann wieder Aufträge kommen“, sagt Fotograf und Videoproduzent Bertram, „Kongresse, Kulturfestivals, Society-Events, Messen und Galas machen vier Fünftel meines Umsatzes. Davon gibt es im Moment gar nichts und niemand weiß, wann es wieder losgeht. Diese Ungewissheit lässt die Banken zögern und sie macht auch mich vorsichtig, weil ich die Überbrückungskredite ja irgendwann zurückzahlen muss.“ Auch die Gehälter seiner kurzarbeitenden Angestellten hat über zwei Monate lang zur Gänze Chef Bertram vorfinanziert. Erst dann kam erstmals Geld vom AMS.

Während in einigen Sparten das Geschäft bereits seit Ende April wieder einigermaßen ins Laufen kommt, plagen andere Unternehmer tatsächlich existenzielle Sorgen. Franziska ist als Consulterin, Personalcoach und Trainerin vor allem in den höheren Etagen des Wirtschaftslebens tätig. Ihre letzten großen Aufträge hat sie im Februar abgewickelt, seitdem herrscht Flaute und das Telefon schweigt. „Ich gehe davon aus, dass die meisten Unternehmen in den kommenden Monaten und Jahren ihre Ausgaben für Personalentwicklung deutlich zurückfahren werden. Da stellt sich für viele in meiner Branche die Frage, ob es überhaupt weitergeht.“

Alexander, einen Anbieter von hochwertigen Incentive-Reisen, plagen ähnliche Sorgen. „Meine Kunden sind primär Firmen und Organisationen aus Australien, Asien und Nordamerika, die Spezialreisen nach Europa als Belohnung, als Goodie, etwa für ihre besten Mitarbeiter ausgelobt haben. In einem Klima der geschlossenen Grenzen, der Angst und der Rezession ist dieser Markt auf Jahre tot“, so die Befürchtung des 48-Jährigen. Aus dem Härtefallfonds 2 hat er Geld bekommen, aber Miet- und Steuerstundungen oder Überbrückungen helfen ihm wenig. „Kurzfristig läuft da nichts, es geht um drei bis vier Jahre.“ Um die zu überbrücken, schwanke er derzeit zwischen „Zusteller bei Lieferando“ und „Verkauf der eigenen Wohnung“. Humor ist, wenn man trotzdem lacht. „Koste es, was es wolle“ und „niemand wird zurückgelassen“, tönte die Bundesregierung im PR-Hoch der Covid-Akutphase und weckte damit bei allen Betroffenen hohe Erwartungen. Wie nicht anders zu erwarten, ist aber nur ein geringer Teil der Ausfälle tatsächlich finanzierbar, obwohl Bund und Länder ohnehin viele Milliarden locker machen, um Betriebe und Arbeitsplätze zu erhalten.

Dabei gilt das Hauptaugenmerk sichtlich Firmen mit vielen Mitarbeitern und solchen Unternehmen, die durch Corona nur ein Wellental zu durchschreiten haben, aber keine langfristige Flaute befürchten müssen. Außerdem achtet man peinlich genau darauf, nichts zu fördern, was schon vor Corona schwächelte. Das sei ein logisches Konzept, meinen viele Wirtschaftsexperten, räumen aber gleichzeitig ein, dass es dabei zu einer beinharten Auslese komme könnte. Freiberufler und EPU dürften dabei die schlechteren Karten haben. Denn in Krisenzeiten gelten „grobe Richtlinien“, wo so mancher durch den Rost fällt. Für Feintuning, also für die individuellen Beurteilung jedes „Falles“, haben Banken, Fondsverwalter und Behörden schlichtweg keine Zeit. Das war schon nach dem Lehman-Crash so, bei Corona umso mehr.

Zeit haben die Betroffenen übrigens ebenso wenig. Denn die Gegenwart beweist, was ohnehin stets befürchtet wurde: Die Rücklagen- und Eigenkapitaldecke der heimischen Kleinwirtschaft ist allerdünnst und in den meisten Fällen nicht krisentauglich. Speziell Künstler, Kreative, Neue Selbständige und junge EPU leben oft prekär, sprich von der Hand in den Mund.

Was in dieser Situation bleibt, außer Hoffen und Beten? Kreative Ideen und Mut, Neues zu versuchen. Leere Auftragsbücher bringen (als einzigen Vorteil) jene Muße, die es braucht, um neue Konzepte zu entwickeln. Genau das kommt bei vielen Unternehmern im stressigen „Normalbetrieb“ stets zu kurz.

Oder macht aus mehreren Nöten eine Tugend. Wie ein Brauerei-Familienbetrieb, der sehr viel in die Gastronomie liefert und dem folglich ab dem Lockdown massive Lagerüberschüsse und ein Liquiditätsengpass drohten. Der Brauer setzte seine studierenden oder kurzarbeitenden Kinder und Verwandten in Lieferautos und ließ sie vollbepackt bis oben quer durch die Lande fahren – vor allem in jene Gegenden, wo seine Produkte nur vereinzelt in den Supermärkten zu finden sind. So belieferte man wochenlang durstige Freunde und Bekannte, man nutzte Facebook-Kontakte und zahlreiche andere Kommunikationskanäle. „Verdient haben wir dabei nichts“, resümiert der Brauereibesitzer, „aber wir haben Neukunden gewonnen, Lager abgebaut und Liquidität geschaffen.“ Denn völlig runterfahren kann eine Brauerei ihren Betrieb auch in Krisenzeiten nicht. Schließlich benötigen die Wirte, sobald sie wieder aufsperren, frisches Bier. Bier, das Wochen vorher gebraut werden muss, also zu einem Zeitpunkt, wo noch niemand weiß, wann und unter welchen Bedingungen die Gastronomie hochfahren darf.