Vom Leben, Hoffen und einer Niere

Ein idyllischer Ort und ein – entgegen den Wetterprognosen – trockener Nachmittag. Das könnte eine leichtfüßige Plauderei werden, würden sich hier Leute treffen, die den Luxus genießen, mitten unter der Woche in einem Garten zu sitzen. Doch unsere Gesprächspartner haben keinen Blick für die urbane Idylle. Der Grund dafür ist mehr als nur eine Sorge …

von Micky Kaltenstein

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sagt Daniel. Es wird nicht bei diesem einen Mal bleiben. Der Satz ist sein Mantra. Egal, wie tragisch seine Erzählung wird, mit diesem Satz spricht er sich selbst Mut zu. Und vielleicht uns anderen auch. Daniel kommt aus Rumänien und ist 49 Jahre alt. Lange hat er in Italien gearbeitet, auf Baustellen, in Pferdeställen oder bei der Ernte. Dann wurde die wirtschaftliche Lage im Land schwierig und diejenigen, die zuerst gehen mussten, waren diejenigen ohne Anmeldung, Lobby oder Betriebsrat. Daniel war der erste Apropos-Verkäufer in Bischofshofen. Er steht meist beim Merkur, viele dort kennen ihn längst. Sogar die Polizisten kaufen ihm die Zeitung ab, wie er stolz erzählt. Inzwischen hat er einen „Konkurrenten“ in der Stadt – doch wenn einem der beiden die Zeitungen ausgehen, helfen sie einander aus. Der Weg nach Salzburg, um Nachschub zu holen, ist weit. Und der Zug teuer. Monica verkauft ihre Zeitungen meist in Radstadt, sie steht beim Hofer. Erst durfte die 43-Jährige mit Daniels Ausweis Zeitungen verkaufen, probeweise. Seit Jänner hat sie ihren eigenen und ist sichtbar stolz darauf. Etwas verkaufen zu können hat ein anderes Ansehen als zu betteln, findet sie.

Um ihre Wege zu bewältigen, kaufen die beiden Wochenkarten für den Zug. Die Tickets kosten 39 Euro, Monica zeigt ihres ungefragt her. Keine Schwarzfahrer zu sein, ist den beiden wichtig. Wenn sie nach Salzburg kommen, holen sie neue Zeitungen ab und nützen die Möglichkeit einer Dusche bei der Caritas. Beim Verkauf der Straßenzeitung gibt es keine fixen Arbeitszeiten und keine Anwesenheitspflicht. Sind genügend Zeitungen verkauft und findet sich eine günstige Mitfahrgelegenheit, fahren Monica und Daniel nach Hause und sehen dort bei ihren Familien nach dem Rechten. In Rumänien hätten sich die beiden nie getroffen – zu weit voneinander entfernt liegen ihre Heimatorte. Es brauchte Salzburg, damit sie einander kennenlernen und seither alles gemeinsam machen. Wären alle so nett zueinander wie wir beide, wäre die Welt in Ordnung, ist Daniel überzeugt. Monica lächelt. Viele Apropos-Verkäufer schlafen im Auto, die beiden aber haben keines. Eine Zeitlang konnten sie in Bischofshofen – für ein kleines Entgelt – in einem verlassenen Haus wohnen, nun wurde es abgerissen.

Die beiden haben Monicas Vater bei sich in Bischofshofen. Er ist 65 Jahre alt und würde auch gerne Straßenzeitungen verkaufen, aber derzeit gibt es keinen Ausweis für ihn, er steht auf der Warteliste. Seine Frau ist gelähmt und lebt in Rumänien. Pension gibt es dort keine für sie, darum möchte er etwas dazuverdienen. Eine kleine Wohnung in Bischofshofen wäre schön, erklärt Daniel. Keine neue, die wäre viel zu teuer, mehr als 300 Euro können sie gemeinsam nicht aufbringen. Oder vielleicht ein Zimmer. Er hat Hoffnung. Sie stirbt zuletzt. Sagt Daniel. Sind die beiden in Salzburg, finden sie Unterschlupf in der Notschlafstelle der Caritas. An dem Tag unseres Gesprächs im idyllischen Garten ist der Schwiegervater in Bischofshofen geblieben und hat unter einer Brücke geschlafen. Es war eine Nacht mit Dauerregen.

Monica und Daniel sind ein Paar, aber unverheiratet. Sie sind beide geschieden und haben Kinder. Monicas Tochter ist 26 Jahre alt, sie hat selbst zwei Kinder – und einen kranken Ehemann. Der 37-Jährige hat eine Nierenerkrankung und wird dreimal pro Woche in Rumänien zur Dialyse abgeholt. Bereits zweimal hätte er eine Transplantation bekommen können – aber das Geld für die Operation hat der Familie gefehlt. Dieser Schwiegersohn ist der eigentliche Grund, warum Monica und Daniel in Österreich sind. Daniel möchte, dass die beiden Enkelkinder ihren Vater möglichst lange haben. Eine Niere zumindest soll funktionieren und das Weiterleben ermöglichen. Müsste Daniel dafür fortan auf der Straße schlafen, würde er auch das in Kauf nehmen.  Und was, wenn das Ziel irgendwann erreicht wäre? Wenn der Schwiegersohn seine Transplantation erhalten hätte und der Hauptgrund, Straßenzeitungen zu verkaufen, wegfiele? Dann wäre sie zuhause. Sofort. Würde sich um den Gemüsegarten kümmern, den gerade ein Hagel völlig zerstört hat, und um die beiden Enkelkinder. Mehr bräuchte sie nicht. Sagt Monica. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sagt Daniel.

Von dem Geld, das die beiden in Österreich verdienen, müssen sie leben, müssen die Verwandten zuhause leben und soll möglichst viel gespart werden. Daniel hat ein eigenes Konto und kann damit auf sicherem Wege Geld nach Rumänien schicken. Das Träumen haben die beiden nie gelernt. Sich etwas zu wünschen, eine Perspektive zu erhoffen, ist ihnen unbekannt. Schon als Kinder haben sie als Tagelöhner gearbeitet, auf dem Feld oder im Wald. Da war kein Platz für Träume. Und auch kaum einer für die Schule. Monica und Daniel haben beide lesen gelernt, damals in der Schule. Monica war sechs Jahre lang dort, Daniel acht. Doch was man selten verwendet, gerät irgendwann in Vergessenheit. Es wird früh geheiratet in Rumänien, Monica hat ihre Tochter schon mit 16 bekommen. Daniel hat trotzdem schöne Erinnerungen an seine Kindheit. In kommunistischen Zeiten war jeder versorgt. Alle hatten gleich viel – oder gleich wenig. Das war gerechter, findet Daniel. So große Sorgen wie heute gab es damals nicht. Monica und Daniel wollen gemeinsam so lange Zeitungen verkaufen, bis sie die Transplantation für den Schwiegersohn bezahlen können. Sie kostet 10.000 Euro. Pro Zeitungsverkauf bleiben den Verkäufern 1,50 Euro. Niemand am Tisch rechnet laut nach. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Sagt Daniel.