„Unsere kleine Erde ist wirklich wertvoll“
Julia Weratschnig ist die erste hauptamtliche Astronomin im Haus der Natur Salzburg. Im Apropos-Interview erzählt die gebürtige Vorarlbergerin und studierte Astrophysikerin über ihre Faszination zum Weltraum, ihren Alltag als Astronomin, ihre Einstellung zu UFOs und Aliens, ihren Beitrag zu Mars-Missionen und warum das Weltall für sie das Große vom Ganzen ist.
Titelinterview mit Astronomin Julia Weratschnig
von Monika Pink-Rank
Frau Weratschnig, wie sind Sie zur Astronomie gekommen?
Ich kann mich an keinen konkreten Auslöser erinnern, aber die Sterne und der Nachthimmel haben mich seit jeher fasziniert, schon als ganz kleines Kind habe ich das toll gefunden. Ich war immer voller Begeisterung für die Natur und die Technik, habe Science Fiction Filme geschaut und wollte eine Zeitlang auch Astronautin werden. Weil das als Österreicherin aber gar nicht so einfach ist, bin ich auf die Astronomie gekommen – ich wollte möglichst alles über das Universum lernen, was es zu lernen gibt. Mit fünfzehn Jahren war es für mich fix, dass ich Astronomin werden möchte. Das habe ich zielstrebig verfolgt, mich in die Naturwissenschaften vertieft und bereits meine Fachbereichsarbeit zur Matura über Astronomie geschrieben.
Wie hat Ihr Umfeld auf diesen Berufswunsch reagiert?
Ich habe großartige Freundinnen gehabt, die das verstanden und unterstützt haben. Eine meiner besten Freundinnen hat mit mir dann auch Physik studiert, wir haben uns da gegenseitig bestärkt und miteinander zur Wissenschaft gefunden. Beim Astronomieclub der Vorarlberger Amateur-Astronomen waren wir mit fünfzehn die beiden jüngsten Mitglieder, der Nächstjüngste war dann schon über dreißig, von uns aus gesehen waren das alte Leute. Aber wir hatten Riesenspaß dabei. Manchmal denke ich mir, in einem anderen Umfeld wären diese „nerdigen“ Sachen vielleicht nicht so gut angekommen.
Hatten Sie konkrete Vorbilder?
Nicht wirklich. Meine Oma hat mich immer inspiriert, sie war eine sehr belesene Frau und hat viel gewusst, das hat mich beeindruckt. Als Kind habe ich die Universum-Dokumentationen geliebt und es waren am ehesten Wissenschafter:innen wie Jane Goodall, die mich in ihren Bann gezogen haben. Als das Interesse für die Astronomie schon da war, habe ich begonnen mich mit den großen Physikern zu beschäftigen. Aber auch die Crew vom Raumschiff Enterprise in den Star Trek Filmen war durchaus eine Inspiration!
Sie haben Ihren Traum realisiert – und er führte Sie nach Salzburg! Wie kam es dazu?
Ich bin nach der Matura nach Innsbruck zum Physikstudium gegangen und habe mich auf Astrophysik spezialisiert. In diesem Bereich bin ich seither fast durchgehend beschäftigt. Nach Salzburg bin ich 2019 gekommen, da wurde erstmals im Haus der Natur eine hauptberufliche Stelle für Astronomie geschaffen. Seit 2018 gibt es ja die tolle Sternwarte am Haunsberg und dadurch ist das Interesse an der Astronomie größer geworden und der Bedarf für eine solche Position entstanden.
Wie kann man sich den Alltag einer Astronomin im Haus der Natur vorstellen?
Es fängt an mit der Organisation und Koordination der Sternwarte. Da arbeite ich mit der Arbeitsgemeinschaft Astronomie zusammen, das sind Ehrenamtliche, die Amateur-Astronomie betreiben und verschiedene Forschungsbereiche abdecken. Wir haben Programme für Schulen entwickelt, seit April geht es wirklich rund mit zwei bis drei Führungen pro Woche. Zudem gibt es auch wissenschaftliche Kooperationen, wo andere Sternwarten zu uns zum Austausch kommen. Darüber hinaus bieten wir internationale Seminare und Fortbildungen für Fachleute an. Ich darf als Astronomin überall meine Finger ein bisschen drin haben und mitarbeiten. So füllt sich der Tag ziemlich schnell!
Was macht Ihnen dabei besonders Spaß?
Was ich am liebsten mache, nämlich Astronomie und über Astronomie zu reden, lässt sich bei den Schulführungen perfekt kombinieren. Ich kann viele Themen aufgreifen und so herunterbrechen, dass es auch ein Volksschulkind versteht. Jeden letzten Donnerstag im Monat haben wir außerdem den Jugend-Astro-Abend der „Albedo“ Jugendgruppe. Da gibt es theoretische Inputs und Beobachtungen auf der Sternwarte. Das sind sehr begabte und interessierte junge Leute, mit denen es viel Spaß macht zu arbeiten.
Was muss man als Astronomin oder Astronom können, welche Begabung sollte man mitbringen?
Wichtig ist aus meiner Sicht mathematisches Verständnis, denn hinter der Astrophysik steckt ganz viel Mathematik. Davon sollte man sich nicht abschrecken lassen. Leider wird in der Schule und im Elternhaus oft Angst vor Mathematik geschürt, diese Angst muss man den Kindern nehmen! Für mich sind schwierige mathematische Probleme wie Rätsel – und vor einem Kreuzworträtsel fürchte ich mich ja auch nicht. Auch die ganze Bandbreite der Physik findet sich in der Astronomie. Will ich einen Stern erforschen, brauche ich die Quantenphysik zum Verstehen der Kernfusion und die allgemeine Relativitätstheorie zur Berechnung von Planetenbahnen. Jemand, der sagt, ich mag Astronomie, aber Physik und Mathe finde ich blöd, wird dabei keine Freude haben.
Mit welchen Vorstellungen und Fragen kommen die Kinder in Ihre Führungen?
Volksschulkinder stellen meistens die schwierigsten Fragen – nämlich genau die, auf die die Physik zum Teil noch gar keine Antwort hat. Sie wollen zum Beispiel wissen, warum der Saturn Ringe hat. Das ist eine super Frage, weil man nicht sagen kann, ob diese kleinen Steinchen, die den Ring bilden, von einem zerbrochenen Mond stammen oder ob sich da anderes Material gesammelt hat. Was fast alle Kinder fragen, ist: „Wie ist das mit den Schwarzen Löchern? Gibt es Aliens? Gibt es Leben außerhalb der Erde?“ Kinder sind die herausforderndsten Besucher:innen, weil man mit ihnen die besten Diskussionen führen kann.
Erleben Sie da unterschiedliches Interesse bei Burschen und Mädchen?
Nein, das Interesse ist bei beiden vorhanden. Aber wie in allen technischen und naturwissenschaftlichen Bereichen sind Astronomie und Raumfahrt männlich dominiert. Wenn Mädchen sich dafür interessieren, aber immer nur männliche Rollenvorbilder sehen, glauben sie automatisch, das ist nur etwas für Buben. Da kommt schon immer wieder die Frage: „Glauben Sie, ich könnte Wissenschaftlerin werden?“ Meine Antwort darauf ist: „Natürlich! Mathe und Physik kommen vom Hirn und nicht von irgendwelchen Geschlechtsorganen.“ Deswegen achte ich in meiner Wortwahl darauf und spreche von der astronautischen statt der bemannten Raumfahrt. Und ich bringe sehr gern weibliche Vorbilder.
Welche gibt es da zum Beispiel?
Ein persönliches Vorbild von mir ist die italienische Astronautin Samantha Cristoforetti, die ungefähr gleich alt ist wie ich. Es gibt auch genug Beispiele, wo weibliche Astronominnen z.B. in der Spektroskopie die gesamte Forschungsarbeit gemacht haben. Irgendein Professor hat dann seinen Namen daruntergesetzt und nach ihm ist das Schema benannt. Oder nehmen wir Cecilia Payne, die als erste draufgekommen ist, dass Sterne hauptsächlich aus Wasserstoff bestehen. Ihr Professor hat das heruntergespielt und es drei Jahre später selber veröffentlicht. Genauso wie Jocelyn Bell Burnell, die als erste einen Neutronenstern entdeckt hat – den Ruhm hat aber ihr Doktorvater eingeheimst. Inzwischen kennt man die Geschichten wenigstens und es ist wichtig, dass man sie vor den Vorhang holt.
Woher kommt die Faszination der Menschheit für das Weltall?
Die Tatsache, dass sich bei uns auf der Erde Leben entwickelt hat, ist an sich schon unglaublich. Aber umgekehrt: Wenn es einmal wo geklappt hat, ist bei der Größe unseres Universums die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es auch woanders funktioniert hat. Man vermutet ja, dass es auf dem Mars in der Vergangenheit lebensfreundliche Bedingungen gegeben haben könnte. Die spannende Frage ist also: Wenn sich Leben unabhängig voneinander auf unterschiedlichen Planeten entwickelt hat, wie lässt sich das mit uns vergleichen? Auf welchen Elementen basieren die Lebewesen? Und sollte es höhere Lebewesen geben: Welche Sinnesorgane haben sie, gibt es so etwas wie Intelligenz oder Sprache? Und könnten wir Menschen mit ihnen klarkommen?
Werden Sie auch kontaktiert, wenn Leute etwas Ungewöhnliches beobachten?
Ja, manchmal kommen Anrufe von Leuten, die meinen, etwas ganz Komisches am Himmel gesehen zu haben. Venus und Sirius werden oft mit UFOs verwechselt, weil sie erstaunlich hell sind und nah am Horizont stehen. Sirius leuchtet so stark, dass sein Flackern zur Wahrnehmung von verschiedenen Farben führen kann. Das erkläre ich dann und da entwickeln sich sehr nette Gespräche. Einmal hat mich eine Dame angerufen, weil sie von einer ganz hellen Sternschnuppe geweckt wurde – man sagt dazu Feuerball. Wir haben eine Meteoritenkamera auf der Sternwarte, die permanent filmt. Damit konnten wir die Sichtung rekonstruieren und mit Hilfe unseres europaweiten Netzwerks berechnen, dass diese Sternschnuppe in der Steiermark gelandet sein musste. Tatsächlich hat ein Meteoritensammler ein Bruchstück davon gefunden. Die Anruferin war vor kurzem bei uns auf der Sternwarte und ich konnte ihr von dem Fund berichten.
Also gibt es keine UFOs?
Ich glaube nicht, dass es UFOs in dem Sinne gibt, dass bereits Aliens bei uns auf der Erde zu Besuch waren. Die Abstände zwischen den Sternen sind so gewaltig groß, dass kaum Funkkontakt möglich ist – nicht einmal das haben wir bisher geschafft. Bis zum nächsten Stern braucht das Licht schon vier Jahre und mit konventioneller Raketentechnik würden wir da hunderttausende von Jahren in fremde Galaxien unterwegs sein. Bis jetzt wurde auch noch kein außerirdisches Leben gefunden. Der allgemeine Konsens ist: Wenn es Aliens gäbe, die interstellare Reisen auf irgendeine Weise ermöglicht haben, dann ist das schon so weit weg von unserem derzeitigen Verständnis, dass wir es gar nicht wahrnehmen würden.
Können wir aus der Beschäftigung mit dem Universum etwas über unseren Planeten lernen, zum Beispiel im Umgang mit der Klimakrise?
Auf jeden Fall! In unserem Sonnensystem haben wir Venus und Mars als Extrembeispiele für den Treibhauseffekt. Auf der Venus ist die Oberflächentemperatur viel höher als am Merkur, obwohl dieser näher an der Sonne ist. Das zeigt, dass nicht der Abstand zur Sonne allein entscheidend ist. Auf der Venus haben eine ganz dichte Atmosphäre mit viel CO2 und der Treibhauseffekt dazu geführt, dass sich der ganze Planet auf 500 Grad erhitzt hat. Am Mars hingegen ist eine kühle Atmosphäre und kaum ein Treibhauseffekt. Ohne Treibhauseffekt gäbe es auf der Erde eine Temperatur von minus 18 Grad Celsius – auch nicht so angenehm für uns. Wir haben Planeten in unmittelbarer Nachbarschaft, wo wir Modell- und Klimarechnungen vergleichen können und die Modelle unter anderen Bedingungen anwenden können.
Was ist dabei die wichtigste Erkenntnis?
Die Astronomie ist ein gutes Werkzeug, um zu zeigen, wie klein und wie verletzlich die Erde ist und wie gut wir auf unseren Planeten aufpassen sollten – um unser Selbst Willen. Auch wenn es wo Aliens gibt, so ist unser Leben hier auf der Erde einzigartig. Es gibt ja diese wunderbaren Aufnahmen von den Raumsonden, die von der Erde wegfliegen und zurückblicken – die erste davon gibt es von der Apollo 8, der Erdaufgang über dem Mond. Die Astronauten haben damals gesagt: „Das war das Schönste, was wir auf dieser Reise gesehen haben.“ Das ist die wichtigste Erkenntnis: Das Bewusstsein dafür, dass unsere kleine Erde wirklich wertvoll ist und wir sie schützen müssen.
Auch wenn Sie nicht Astronautin geworden sind: Wie leben Sie Ihre Raumfahrt-Passion?
Ich bin Mitglied im Österreichischen Weltraumforum, das ist ein interdisziplinäres Netzwerk von Raumfahrtbegeisterten. Wir machen sogenannte analoge Forschungen für eine astronautische Mars-Mission. Das heißt, wir erproben in mars-ähnlichen Gegenden auf der Erde wie in Wüstengebieten oder auf Gletschern Techniken und Werkzeuge und entwickeln auch einen eigenen analogen Raumanzug. Da kann man auch als kleine Österreicherin einen Beitrag leisten, und zwar auf den verschiedensten Fachgebieten und mit internationalen Partnern. Da probieren wir total spannende Sachen aus!
Raumfahrt ist also nicht nur Astronomie und Physik?
Nein. Es gibt viele Zugangsgebiete zur Raumfahrt – sei es juristisch im Space Law, in der Weltraum-Medizin, in der Astro-Biologie oder auch in der IT und anderen technischen Bereichen. Immer wichtiger wird auch die Psychologie, denn eine der größten Herausforderungen bei langen Raumfahrten ist die mentale Gesundheit und die psychologische Vorbereitung der Besatzung. Wir arbeiten gemeinsam an etwas, was größer ist als die Summe seiner Teile.
Welche Bedeutung hat das Weltall als Großes vom Ganzen für Sie?
Für mich ist die Astronomie das Allumfassende. Ich finde es wunderschön, dass ich mich als kleines Menschlein mit dem Größten, was es gibt, beschäftigen darf. Da Einblick zu gewinnen ist unheimlich faszinierend und bei spannenden neuen Entdeckungen krieg ich immer eine Gänsehaut.