Unser tägliches Brot

 

2013 gewann Andrea Hoscheks Text „Unser tägliches Brot“ beim Internationalen Street Paper Award in der Kategorie: bester Verkäufer:innenbeitrag. Wir drucken ihn hier noch einmal ab für Sie: ein literarisches Adieu.

von Andrea Hoschek 

Ich gehe meinen Weg – was wird der Tag heute noch bringen? Jemand kauft mir eine Straßenzeitung ab. Ich bekomme auch Trinkgeld und freue mich. Jetzt habe ich schon weniger Sorgen.

Ich habe einige Zeit auf dem Kapuzinerberg gewohnt, in einer kleinen Höhle. Das Wasser tropfte mir regelmäßig ins Gesicht – Bergwäsche eben – trotz der Plane, mit der ich die Wände verkleidet habe. Eine Malerplane, weil mehr Geld hatte ich nicht.

Ich war gesundheitlich nicht fit genug, um den Bedingungen des Sozialamtes nachzukommen. Schließlich habe ich die Wohnung aufgegeben und auch keine Sozialhilfe mehr bekommen, die sowieso schon gekürzt war. Aus dem Aussteigen wurde eine lange Zeit, das habe ich mir nicht gewünscht so. Ich stand also morgens auf und ging den Kapuzinerberg runter, manchmal traf ich andere, die hier wohnten und auf die Staatsbrücke betteln gingen, denn sie sind auch obdachlos und in Geldnot. Gut, betteln musste ich nicht, denn ich verkaufte die Straßenzeitung. Viele befassten sich mit meinen Problemen und unterstützten mich. 

Trotzdem war ich wie die anderen Obdachlosen dankbar, einen Turm zu haben oder ein Zelt, in dem wir leben konnten. 

Anfangs wohnte ich bei einem Freund, wo ich nichts bezahlen musste. Ich verkaufte Apropos und kochte für ihn mit. Aber die Sauferei war zu viel für mich. 

Die Natur tat mir gut, aber der Schlaf blieb aus und ich verzweifelte immer mehr. Ich suchte einen Arzt in der Nähe, weil ich mich nicht mehr so einfach durch die Stadt traute ohne Schlaf. Ich hoffte, dass er mir helfen würde, wieder die Sozialhilfe zu bekommen. Er meinte nur, dass ein Facharzt hilfreich wäre und dass ich nicht im Freien schlafen könne ohne Schlafsack. Für die Weisheitszähne wäre Baldrian gut. Der wächst auf dem Berg, Gott sei Dank. Nur, wie sollte ich mir einen Schlafsack leisten, der noch dazu eine gute Qualität hat? Meine Mutter war zu dieser Zeit auch arbeitslos und konnte mir nicht helfen. Ein Inserat in der Zeitung und persönliche Kontakte wirkten aber „Wunder“: Nach über zwei Jahren bekam ich endlich einen sehr guten Schlafsack und ein Militärzelt. Ich führte ein erträgliches Nomadenleben.

Meinen ersten Winter in der Höhle werde ich nicht vergessen. Ich versuchte die Schneeflocken romantisch zu finden, man überlegt auch nicht, was andere sagen, dass alles so geendet hat. Ich deckte mich mit teuren Pelzmänteln zu, die ich in der Kleiderkammer im Saftladen bekam, ein Schlafsack war leider nie dabei. Bei einer Baustelle fand ich eine Wärmedämmung, die nahm ich zum Draufliegen, um nicht krank zu werden. Ich werde sie zurückbringen, dachte ich mir. Wegen der Einsturzgefahr der Höhle und auch wegen des Lärms bin ich auf die andere Seite des Berges gezogen. Ich hatte immer noch keinen Schlaf. Wir hatten jede Woche ein Konzert mit Freikarten auf dem Kapu, so laut war die Musik vom Residenzplatz her. Heute gibt es den Kulturpass für Armutsgefährdete mit Gratis-Eintritt in viele Kinos und bei anderen Veranstaltungen.

Die Grundsicherung ist etwas höher als die Sozialhilfe. Trotzdem habe ich manchmal Angst, dass ich den Einstieg ins normale Leben nicht mehr schaffe. Die GSWB-Wohnung ist die Rettung für viele. Ein gut funktionierendes Asyl wäre wünschenswert, damit in diesem Sozialsystem nicht vier Psychologen pro Sozialfall engagiert werden und die Leute dann trotzdem nach ein paar Monaten wieder auf der Straße sind. Ein Heim sollte Sicherheit bieten, bis man etwas gefunden hat. 

Ich erinnere mich aber auch an die schöne Zeit im Freien, den Nahkontakt mit der Natur. Obwohl mir jetzt nichts abgeht, ich manchmal sogar im Luxus schwelge, weil man ja alles so billig bekommt, bin ich dankbar für die schönen und teuren Kleiderspenden. So kam ich auch an einen Kamelhaarmantel, das war schon immer mein Traum, mit dem saß ich vor der Höhle. Ein Bekannter aus Oberösterreich brachte mir zwei Mal die Woche Bioprodukte und eine Arnikatinktur. Das war sein Hausrezept. Ich machte ihm dafür einen Bergtee auf dem Lagerfeuer; der half bei seinen Durchblutungsstörungen. Ein anderer gab mir 1-2 Jahre lang ein Tablettenpräparat aus Deutschland (Baldrian, Melisse, Hopfen und Johanniskraut). Als ich einmal krank war, versorgte mich ein Bergbewohner mit Broten aus dem Kapuzinerbergkloster im Wald. Dort bekamen wir jeden Tag (außer sonntags) eine Jause: belegte Brote, manchmal auch einen selbstgebackenen Kuchen, Obst und immer ein freundliches Gespräch. Die Müllkübel waren öfters bummvoll. Das war eine gewaltige Entlastung für mich. Im Zelt hingen dann auf Stangen tagelang Kilos von Bananen und Biobrote und vieles andere, damit die Mäuse nicht rankommen. An den Wänden befestigte ich Perserteppiche, die ich gefunden hatte. Die Leute schmeißen viele schöne Sachen weg.

Wenn genug zu essen da war, hatte ich eine sorgenfreie Zeit, aber es gab auch Zeiten, in denen ich fast am Verhungern war und mich nur die Müllcontainer hinter den Supermärkten davor retteten. 

Ich habe nun schon seit fünf Jahren eine Wohnung. Es ist schön, aber auch stressig, wegen der Kriminalität in der Nachbarschaft, die nicht aufhört. Ich möchte wieder arbeiten. Darum habe ich auch das Kursangebot vom AMS genutzt (einen für Reinigungskräfte und einen Computerkurs). 

Wenn es mir schlecht geht, gehe ich auf den Berg in eine Höhle, die ich eingerichtet habe mit einer Matratze und einem schönen Perserteppich und ein paar Requisiten von Sam, dem Maler vom Berg, der leider gestorben ist. Alles ist so friedlich und ruhig hier, wie früher. So vergeht der Tag und ich freue mich, wie viel mir die Natur gibt.

Sam hat oft gesagt: „Ich bin nicht arm, ich bin reich.“