Unser Schlaf: Geprägt von den Zeiten
Die schlechte Nachricht: Schlaflos wird zur Volksplage. Die gute: Es gibt immer effektivere Hilfe. Dank steigenden Problembewusstseins und moderner Technik.
von Wilhelm Ortmayr
Wenn guter Schlaf ein Segen ist, leben wir in verdammten Zeiten. Denn wir schlafen immer schlechter und die Schlafambulanzen und Schlaflabore platzen aus allen Nähten. Es ist unübersehbar und auch empirisch erhoben, dass immer mehr Menschen an Schlafstörungen (egal in welcher Form) leiden. Die Gründe dafür sind vielfältig. Krisen wie Covid oder die Teuerung spielen eine Rolle, noch wesentlicher dürfte das Thema Stress in der Arbeit sein, dazu kommen belastete Familienverhältnisse, die sich immer schneller verändernde Welt und – ganz wichtig – die Geißeln der digitalen und mobilen Kommunikation. Die Erreichbarkeit rund um die Uhr, das dauernde Ein- und Ausgehen von Nachrichten und Neuigkeiten, Mobbing und „negative campaigning“ im virtuellen Raum – all das stresst uns bis hinein in den Schlaf.
Der einzig positive Grund für die übervollen Schlaflabore soll allerdings nicht verschwiegen werden: Das Thema Schlafstörung und seine vielen möglichen Ursachen werden immer ernster genommen. Von den Betroffenen, von Ärzt:innen, von Psycholog:innen. Das ist erfreulich, denn die Folgen schlechten Schlafes sind vielfältiger und schwerer, als viele glauben: Man ist gereizter und grantiger als sonst, hat Stimmungsschwankungen und ist auch kognitiv beeinträchtigt. Unser Immunsystem reagiert negativ, es häufen sich Entzündungsreaktionen, Gelenksschmerzen, Herz-Kreislauf-Probleme, aber auch neurodegenerative Erkrankungen und natürlich steigt die Unfallgefahr, nicht nur im Straßenverkehr.
Frauen sind von schlechtem Schlaf ebenso betroffen wie Männer, wobei Erstere eher an Ein- und Durchschlafstörungen leiden, Zweitere hingegen häufiger an schlafbezogenen Atemwegserkrankungen (Schlafapnoe, Atemaussetzer, Schnarchen). Geheilt oder deutlich gelindert werden können die Schlafprobleme bei so gut wie jedem. „Manchmal ist es komplizierter und dauert etwas länger, aber untherapierbar ist niemand“, lautet die durchaus erfreuliche Kunde von Alexander Kunz, dem Leiter des Salk-Schlaflabors an der Uniklinik für Neurologie in Salzburg
Zu ihm kommen die Patient:innen meist durch Überweisung von Allgemeinmediziner:innen oder Fachärzt:innen, denen Kunz ein sehr gutes Zeugnis ausstellt. „Im niedergelassenen Bereich gibt es erfreulich viel Kompetenz und Problembewusstsein. Die Ärzt:innen nehmen Schlafprobleme ernst, gehen der Thematik bei ihren Patient:innen auf den Grund und verschreiben nicht nur Schlaftabletten, ganz im Gegenteil. Das wollen die Betroffenen nämlich nicht mehr“, schildert der Neurologe aus der Praxis.
Oft kann also auch schon der Hausarzt oder die Hausärztin mit einigen „edukativen Tipps“ helfen, Schlafschwierigkeiten zu lindern. Durch Verhaltensänderungen wie zum Beispiel: nicht ins Handy, Notebook oder TV-Gerät schauen bis kurz vorm Einschlafen, nicht im Bett lesen. All das macht uns munter, setzt uns Licht aus, das dem Gehirn „Tag“ signalisiert.
Noch genauer auf den Grund gehen können die Ärzt:innen den Problemen in der Schlafambulanz oder im Schlaflabor, wo es eine noch genauere Analyse der Problematik und weitreichende Untersuchungseinheiten gibt. Dort wird auch genau unterschieden, ob die Schlafproblematik eher organische oder psychische Ursachen hat (etwa Angststörungen).
Bei der Schlafüberwachung selbst hilft digitale Technik neuester Art, die neuerdings – Stichwort übervolle Schlaflabore – auch für den Hausgebrauch verfügbar ist. Ein Team der Universität Salzburg rund um den bekannten Psychologen und Schlafforscher Manuel Schabus hat eine App namens „Nukkuaa“ (das finnische Wort für Schlaf) entwickelt, mit der man daheim seinen Schlaf überwachen kann. Der KI-unterstützte Algorithmus, mit dem sich Schlaf fast genauso präzise analysieren lässt wie in einem klinischen Schlaflabor, beruht auf der Analyse des Herzschlags. Das Einzige, was man dafür benötigt, ist ein Polar-Sensor-Brustgurt, wie man ihn vom Ausdauersport kennt, und eben ein Handy mit der App (die zwar nicht gratis, aber sehr erschwinglich ist).
Ein Klick beim Schlafengehen. Einer beim Aufwachen und schon hat man alle relevanten Schlafdaten im Überblick, kann Statistiken ansehen und man bekommt auch Tipps und Hilfestellungen, wie man seinen Schlaf (und damit die Werte) eventuell verbessern könnte.
Klingt auf den ersten Blick ein wenig nach Scharlatanerie – und auch die Expert:innen in den Landeskliniken waren zunächst skeptisch. „Es gibt einige elektronische Systeme, die gute Schlafüberwachung versprechen“, so Salk-Schlafexperte Kunz, „die meisten sind Unfug. Ich kenne nur eines, das wirklich Hervorragendes leistet, nämlich jenes von Manuel Schabus von der Uni Salzburg.“
Kunz gibt zu, selbst anfangs extrem skeptisch gewesen zu sein. Bis er und sein Team das Gerät genauestens geprüft und die Daten mit den eigenen verglichen hätten. „Gurt und App erkennen die Schlaftiefe anhand der Herzfrequenzvariabilität, das liefert fast so valide Daten, wie man sie bisher nur per EEG messen konnte“, bestätigt Kunz die Sinnhaftigkeit der App. „Ich empfehle sie auch meinen Patient:innen.“
Und was empfiehlt der Experte generell zum Thema Schlaf? Wie lange, wann und wie sollte man?
Die Antwort ist einfach. Genug geschlafen hat man, wenn man das Gefühl hat, ausgeschlafen zu sein. Bei manchen kann das nach sechs Stunden sein, bei manchen erst nach neun. Und man sollte schlafen, wann es für einen am besten ist. Wie fast alle Lebewesen sind auch wir Menschen geprägt von circadianen Rhythmen. Wir sind also auf 24 Stunden mit wiederkehrenden Hell- und Dunkelphasen gepolt. Innerhalb dieses Taktes herrscht jedoch Freiheit. „Eulen“ gehen spät schlafen und liegen dementsprechend noch gut im Bett, wenn die „Lerchen“ (die mit den Hühnern aufstehen) längst ausgeschlafen sind. Diese Phasen wechseln im Lauf des Lebens und sind auch geschlechtsabhängig. Babys haben den Takt noch nicht gefunden, Kleinkinder sind Lerchen, ehe sie in der Pubertät zu Eulen werden. Im Erwachsenenalter sind Eulen eher männlich, Lerchen weiblich. Erst mit etwa 55 gleichen sich die Rhythmen von Mann und Frau wieder an, ehe im Greisenalter der Tag-Nacht-Takt bei vielen wieder verloren geht. Zu guter Letzt hat Schlaflabor-Chef Kunz (der sich von der Politik eine Ausweitung der Kapazitäten seines und anderer Labore wünscht) zwei gute Tipps für jedermann und jedefrau. Zum einen: Schlafprobleme unbedingt ernst und ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Zum anderen: dem Schlaf vertrauen. Denn Student:innen, die am Vortag einer Prüfung zwei Stunden weniger lernen, aber dafür bestens ausgeschlafen zur Prüfung gehen (egal ob mit Skriptum unterm Kopfpolster oder nicht), erzielen meist bessere Ergebnisse als jene, die bis spät in die Nacht gelernt haben, weiß der Experte.
Der Herr gibt’s also doch im Schlaf. Wenn der nur lang genug ist.