Menschenwürde mit Kamm und Schere

 

Sie kleiden sich gerne schwarz und ihr Name erinnert an eine Motorradgang. Tatsächlich aber schneiden diese „Angels“ wohnungslosen, armutsgefährdeten und benachteiligten Menschen die Haare und die Bärte.

 

von Wilhelm Ortmayr

 

Margrit Resch ist Friseurin aus Leidenschaft. Seit Beginn ihrer Lehre vor 47 Jahren. Deshalb greift die nunmehrige Pensionistin nach wie vor gerne zum Werkzeug, stundenweise, in einem Salon nahe der Goethesiedlung in Itzling. Ihre Leidenschaft für den Friseurberuf geht über das Kreative, Gestalterische, Handwerkliche hinaus. „Du musst die Menschen mögen. Egal wer sie sind, woher sie kommen und welche Geschichte sie mit sich rumtragen.“

Für die Stadt-Salzburgerin ist Friseurin-Sein Berufung – auch im Sinne einer sozialen Aufgabe. Deshalb hat sie sich vor einigen Jahren der Barber Angels Brotherhood angeschlossen, einer Gemeinschaft von Berufskolleginnen und -kollegen, die wohnungslosen und armutsgefährdeten Menschen die Haare und Bärte schneiden. Möglichst regelmäßig und natürlich kostenlos.

Die Initiative ist im angloamerikanischen Raum entstanden und dann über Deutschland nach Österreich gekommen. Gegenwärtig zählt der Verein 61 Mitglieder. Ihre Dienste bieten die Barber Angels in enger Kooperation mit einschlägigen Sozialinitiativen, Vereinen und Einrichtungen an. In Salzburg organisieren beispielsweise die Caritas oder der Saftladen die Haarschneidetermine, mitunter in eigenen Räumlichkeiten, mitunter auch außerhalb, wie jüngst im Haus Elisabeth in der Plainstraße. „Viel Ankündigung und Werbung braucht’s da nicht, unsere Stammkunden warten meistens schon sehnsüchtig auf den nächsten Termin und kommen verlässlich“, schildert Margrit Resch.

Die Dienstleistung, die sie und ihre überwiegend weiblichen Kolleg:innen anbieten, ist einfach: Haare schneiden, Bärte stutzen und in Form bringen, manche Frauen bekommen eine einfache Lockenfrisur – das war’s. Für die Klienten bedeutet dieser Service aber sehr viel. „Ein halbwegs gepflegtes Aussehen und Auftreten-Können ist für das Selbstwertgefühl der Menschen am unteren Rand der Gesellschaft enorm wichtig. Die Haare oder der Bart spielen da eine fast noch größere Rolle als die Kleidung“, weiß Margrit Resch aus vielen Gesprächen mit ihren Klienten. Niemand von ihnen könnte sich einen regulären Friseurbesuch leisten, dazu komme noch die Schwellenangst und nicht wenige würden vermutlich gar nicht eingelassen werden.

Jeder Mensch hat es verdient, halbwegs gepflegt auszusehen, sagen die Barber Angels. Doch es geht um weit mehr. Sie alle wissen von vielen Einsätzen, dass die soziale Komponente, das Sich-angenommen-Fühlen und der Wunsch, sich verbal auszutauschen, deutlich stärker ausgeprägt ist als bei der Kundschaft im Laden. „Ich kenne die Geschichten fast all meiner Klienten“, erzählt die Siezenheimerin, „da ist auch sehr viel Unschönes dabei. Aber allen tut es gut, dass sie mit uns ein wenig drüber reden können und nicht danach beurteilt beziehungsweise dafür verurteilt werden.“

Was die haare- und bartschneidenden Engel in Österreich am dringendsten benötigen, sind neue Mitglieder, vor allem in den östlichen Bundesländern, aber nicht nur dort. Derzeit nämlich fahren die Friseurinnen, die ihre Augen und Scheren vor der allgegenwärtigen Armut nicht verschließen, sogar zu Einsätzen in andere Bundesländer. 55 solcher Termine in Wien, Baden, Linz, Wels, Salzburg, Klagenfurt, Villach, Graz, Innsbruck, Feldkirch und Dornbirn haben sie schon absolviert und dabei 2200 Menschen kostenlos die Haare und/oder Bärte geschnitten. Diese Einsätze kosten bei weiteren Anreisewegen einiges an Zeit und Geld. Mehr Mitglieder in allen Regionen Österreichs wären daher hilfreich. Spenden natürlich auch, denn die Engel mit Kamm und Schere kommen derzeit weitgehend selbst für ihre Kosten auf.

Doch die „Friseure gegen Armut“ wollen auch Ermutigung sein – für Kolleg:innen und für andere Branchen. „Viele Berufsgruppen könnten mit den jeweils eigenen Möglichkeiten einmal im Monat ebenfalls Gutes für die Menschen im eigenen Land tun. Sie wollen wir wachrütteln“, appelliert Margrit Resch. Gute Beispiele dafür gebe es schon: Ein bekannter Pinzgauer Sportartikelhändler hat vor dem Winter warme Jacken und Schlafsäcke gespendet. „Das hilft unseren Klienten enorm. Und gibt ihnen neben Wärme ein Stück Menschenwürde.“

Die zu schenken funktioniert übrigens auch international und trotz Sprachbarriere. Margrit Resch, Barber Angel aus Leidenschaft, hat schon mehrmals das Angenehme mit dem Nützlichen, sprich ihre Urlaube mit einem Einsatz für Bedürftige verbunden. Bisheriger Höhepunkt: 48 Barber Angels aus verschiedensten Ländern beim Haareschneiden im Fußballstadion von Mallorca. Sicher nicht der letzte Einsatz für die 62-Jährige. „Jedes unserer typischen Urlaubsziele im Süden wäre dafür gut geeignet: erste und zweite Häuserreihe Highlife, dahinter bittere Armut.“