
„Man weiß nie, wann die entscheidende Tür aufgeht“
Die Rechercheplattform Dossier sorgt seit ihrer Gründung 2012 regelmäßig für brisanten Gesprächsstoff. Im April dieses Jahres allerdings geriet Dossier selbst in die Berichterstattung: Weggebrochene Aufträge und ein Rechtsstreit hätten dem jungen journalistischen Projekt beinahe den Garaus gemacht. Beinahe. Denn das Team um Chefredakteur Florian Skrabal schaffte die Trendwende.
Titelinterview mit Florian Skrabal
von Bernhard Riedmann
Im April dieses Jahres haben etwa 3.000 neue Leser*innen beschlossen, Sie mit mindestens 52 Euro im Jahr zu unterstützen. Sind die Geldsorgen damit endgültig vom Tisch?
Florian Skrabal: Seit neun Jahren ist es nun zum ersten Mal so, dass wir zumindest für ein Jahr lang ausfinanziert sind. Große Recherchen brauchen einfach gewisse Ressourcen, allein unser Firmenbuchzugang kostet zum Beispiel fast 6.000 Euro im Jahr. Aber mindestens genauso wichtig ist der Faktor Zeit. Man weiß eben nie im Vornhinein, wann die entscheidende Tür aufgeht. Und Zeit bedeutet in der Arbeitswelt Geld, denn die Gehälter müssen ja auch bezahlt werden, wenn eine Recherche nicht sofort zum Erfolg führt. Und wir geben uns auch nicht damit zufrieden, vom Schreibtisch aus zu recherchieren, sondern sind unterwegs vor Ort. Wenn man Journalismus ordentlich macht, kostet das nun mal Geld.
Sie legen sich gefühlt mit so ziemlich allen Mächtigen dieses Landes an. Gelegentlich endet das dann vor Gericht, wie zuletzt mit der OMV, die 130.000 Euro Schadenersatz von Ihnen wollte.
Florian Skrabal: Ja, so eine hohe Klage haben wir bisher noch nie bekommen, bei 300.000 Euro Budget, das wir damals noch zur Verfügung hatten, war das schon existenzbedrohend – aber es ging positiv für uns aus, die OMV hat die Klage zurückgezogen. Aber trotzdem bleiben da einige Tausend Euro bei uns hängen. Allein schon deshalb, weil die Klagesumme so hoch war.
Die OMV hätten Sie somit als Anzeigenkunde wohl verloren.
Florian Skrabal: Vermutlich. Aber da kommt unser Finanzierungsmodell zum Tragen, aufgrund dessen wir komplett auf Werbung verzichten können. Es besteht aus drei Säulen: Finanzierung durch unsere Mitglieder, journalistische Weiterbildung und Aufträge für Recherchen oder Datenanalysen, die wir für andere Medien übernehmen. Zuletzt beispielsweise für die ORF-Show „Gute Nacht Österreich“.
Wieso verzichten Sie so rigoros auf Werbung?
Florian Skrabal: Wesentlich für unsere Arbeit ist, dass es keine wirtschaftlichen Interessen im Hintergrund gibt. Uns kann nicht die Raiffeisenbank oder wer auch immer sagen: Wir stornieren jetzt den Etat. Wir haben keinen Bankkredit. Wir kriegen auch keine Presseförderung. >> Deswegen kann uns auch von staatlicher Stelle nichts gestrichen werden. Das einzige Druckmittel, das bleibt: uns in teure Gerichtsverfahren verwickeln.
Ist das Ihre Definition von investigativem Journalismus? Dass man sich mit den Mächtigen anlegt?
Florian Skrabal: Ich glaube, dass es in Österreich ein Missverständnis gibt, was investigativer Journalismus ist. Diese ganzen Magazine wie News, die tun sofort so, als wäre etwas enthüllend, auch wenn sie in Wahrheit nur einen Bericht vom Rechnungshof haben. In den USA würde man sagen, das ist Reporting on Investigations, man bekommt also etwas zugespielt und zitiert daraus. Das mag im besten Fall sauberer Journalismus sein, aber es ist sicherlich nicht investigativer Journalismus.
Aber was macht investigativen Journalismus aus – der große Scoop?
Florian Skrabal: Es ist nicht unser primäres Ziel, am Ende jeder Recherche einen Scoop zu haben. Das könnten wir nicht liefern. Das würde zu sehr zu Enttäuschung auch intern führen. Weil wirkliche große investigative Geschichten, die gibt‘s vielleicht einmal im Jahr.
Wenn es nicht um die große Enthüllung geht, um was geht es dann?
Florian Skrabal: Wir graben uns in ein Thema so tief ein, dass wir komplexe Zusammenhänge sichtbar machen können. Dass der Leser versteht, wie beispielsweise der Österreichische Skiverband (ÖSV) wirklich tickt, wie er funktioniert. Auch wenn wir jetzt nicht am Ende der Recherche nachweisen können, dass beispielsweise ein Verbandsfunktionär irgendwelche Gelder veruntreut hat. Aber durch das Aufzählen der zahlreichen Interessenskonflikte des langjährigen ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel bekommt man sozusagen ein Gespür dafür, was beim ÖSV falschläuft.