Krisensicher wohnen bleiben
Keine Wohnung zu haben ist die prekärste Form von Armut, wer seine verliert, dem droht der freie Fall an den Rand der Gesellschaft. Doch vielen, denen der Verlust der Wohnung droht, kann geholfen werden – selbst im Land der horrenden Mieten.
von Wilhelm Ortmayr
Und dann hab i die Wohnung verloren…!“ Wenn obdachlose Menschen die Stationen ihres Abstiegs und des „Hinausfallens“ aus der Gesellschaft schildern, nimmt dieser Satz meist eine zentrale Stelle an. Wie eine rote Linie, deren Überschreiten das unweigerliche „Aus“ bedeutet. Vor dieser Schwelle stehen oft Beziehungsprobleme, Drogen, Jobverlust – dahinter nur noch wenig Hoffnung. Denn eine Wohnung ist die wichtigste Voraussetzung für die Teilhabe an der Gesellschaft und die weitere Lebensgestaltung. Eine Meldeadresse ist unabdingbar für die Arbeitssuche, aber auch für die Wahrung rechtlicher Ansprüche oder die Eröffnung eines Bankkontos.
Der drohende Verlust der eigenen Wohnung wird fast immer ausgelöst durch finanzielle Schwierigkeiten, die zu Mietrückständen führen. Wie fast alle Schuldner neigen auch Menschen, die ihre Miete nicht mehr zahlen können, dazu, ihre Notlage zunächst zu ignorieren oder als vorübergehend einzustufen. Niemand weiß das besser als Barbara Descho, die seit Jahren Menschen berät, die von Wohnungsverlust bedroht sind. „Wir könnten oftmals effektiver helfen, wenn unsere Klienten nicht erst kämen, wenn es fünf vor zwölf ist“, sagt die Juristin von der „Fachstelle für Wohnungssicherung“ der Sozialen Arbeit gGmbH, die im ganzen Bundesland aktiv ist. „Wenn die Mietrückstände bereits so hoch sind, dass die Räumungsklage eingebracht wurde und die Delogierung ins Haus steht, ist es unheimlich schwer, das Schlimmste noch zu verhindern“, so Descho. Bei Wohnungen von Genossenschaften gelingt es mitunter noch, den Fristenlauf ruhend zu stellen – im privaten Wohnungsmarkt ist das kaum möglich: „Die Eigentümer haben meist die Nase voll – zumindest von diesem Mieter.“
Vor 25 Jahren, als die Fachstelle gegründet wurde, seien in solch prekären Situationen oft die staatlichen Sozialtöpfe mit Einmalzahlungen eingesprungen. Zwischen 1995 und 2013 habe ein Drittel aller Mietrückstände auf diese Weise beglichen werden können, heute sind es keine zehn Prozent mehr. Die Mieten selbst sind im selben Zeitraum aber exorbitant gestiegen. So stark, dass für viele Salzburgerinnen und Salzburger eine angespannte finanzielle Situation zum normalen Alltag gehört, selbst wenn sie in Arbeitsverhältnissen stehen. Für Menschen mit sehr geringem Einkommen wird selbst die monatliche Miete zu einer unlösbaren Herausforderung, die sie mit eigener Kraft nicht mehr bewältigen können. Selbst wenn, wie so oft, die angesammelten Rückstände „nur“ 1.500 Euro betragen.
Die Problemlagen der Klientinnen und Klienten und die Ursachen für die Entstehung von Mietschulden sind meist komplex. Nicht selten existieren weitere belastende Faktoren wie Arbeitslosigkeit, Scheidung/Trennung, Krankheit oder sonstige Verschuldung. Es handelt sich also um kein isoliertes Problem, sondern sehr oft um strukturelle Armut. Das bedeutet: Arbeitseinkommen, Transferleistungen oder anerkannte Wohnkosten reichen nicht aus, um die Existenz zu sichern. Nicht zufällig sind mehr als Hälfte der Betroffenen alleinstehend oder alleinerziehend, haben also geringe Ansprüche auf Sozialleistungen und/oder hohe Aufwendungen.
Der Widerspruch zwischen zahlen wollen, aber nicht zahlen können ist für viele Mietschuldner und Mietschuldnerinnen objektiv nicht mehr lösbar. Die Problemlösung führt für sie daher stets über eine grundlegende Situationsanalyse. Dabei werden Ansprüche geklärt, die eigenen Ressourcen ausgeschöpft und der monatliche Haushaltsplan wird völlig durchgearbeitet. „Viele unserer Klienten haben nie gelernt, mit einer gewissen Geldsumme 31 Tage auszukommen und zu unterscheiden, was wirklich notwendig ist und was nicht“, schildert Descho.
Dass dieser Lernprozess eine harte Schule ist, bestreitet die Juristin nicht. „Bei uns müssen die Karten auf den Tisch gelegt werden, wir schauen längerfristig und sehr genau, wie sich die finanziellen Gegebenheiten unserer Klienten entwickeln.“ Die leben dann meist ziemlich am Minimum, aber es funktioniert. Anders wäre es auch gar nicht möglich, mit den Vermietern beispielsweise Ratenvereinbarungen zu treffen, um die Delogierung zu verhindern. In der Praxis sieht das so aus: 50 Euro pro Monat und das zwei Jahre lang. Für jemanden, der zuvor schon nicht das Auslangen gefunden hat, eine Meisterleistung.
Dass es funktioniert, beweist auch die langjährige Statistik der Wohnungssicherungsstelle. Seit 1995 konnten 23.000 Klienten betreut und 7,8 Millionen Euro an Mietschulden abgedeckt werden, sowohl bei gemeinnützigen als auch bei privaten Vermietern. Im Vorjahr wurden 67 Prozent der Mietschulden, also etwa 230.000 Euro, von den Klientinnen und Klienten in Eigenleistung zurückgezahlt.
Was der Beratungsstelle bisher fehlte, war „eigenes“ Geld. Denn nichts hilft schneller und effektiver als Geld, wenn Vermieter, Anwälte und Gericht bereits mächtig Druck machen (und natürlich auch hohe Kosten für den Schuldner verursachen). Die Lösung, die derzeit entsteht, nennt sich „Innara Solidar Fonds“. Er gibt der Fachstelle die Möglichkeit, durch sogenannte zinslose „Mikrodarlehen“ zu helfen. Dabei handelt es sich um Beträge bis maximal 2.000 Euro, die von den Klienten in kleinen Raten mit einer Laufzeit von bis zu zwei Jahren oder durch noch zu erwartende Zahlungen (Unterstützungen, Urlaubsgeld, Abfertigungen, Wohnbeihilfe etc.) wieder ausgeglichen werden.
Gespeist werden soll der „Innara Solidar Fonds“ durch Kooperationen mit der Wirtschaft, also Spenden von regionalen Unternehmen, aber auch von privaten Personen. Die Spenden in den Solidarfonds sind steuerlich absetzbar. Hinter dem Projekt „Darlehen zur Wohnungsssicherung“ stehen das Know-how und die Erfahrung eines Netzwerks aus verschiedenen Sozialeinrichtungen, Wohnungsgenossenschaften, Privatvermietern und Gerichten.
Für die Fachstelle und ihre Beratungsteams in Salzburg, Hallein, St. Johann, Tamsweg und Zell am See wird der Fonds noch einen positiven Effekt bringen: mehr Zeit für die eigentliche Beratung und Betreuung. Wenn schnelle Lösungen ermöglicht werden, fallen viel Bürokratiekram und viele sofortige Ansuchen an diverse Unterstützungsfonds weg. Das Mehr an Unterstützung für die Klienten wird auch notwendig sein. „Bei den Mikrokrediten müssen wir die gesamte Finanzsituation der Betroffenen noch genauer unter die Lupe nehmen, der Fonds liegt ja in unserer Verantwortung“, so Descho.
Sie und ihre Mitarbeiter*innen gehen davon aus, dass die Lage am Wohnungsmarkt durch die aktuelle Krisensituation noch verstärkt wird und die Zahlen der von Wohnungslosigkeit bedrohten Haushalte ab sofort weiter ansteigen werden. Auch immer mehr Familien gelten als gefährdet, vor allem wenn die Einkommen gering sind und kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. Kein Wunder also, dass jetzt, wo CoviD-19 bei vielen zu Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit geführt hat, immer mehr Besorgte bei der Fachstelle anrufen – aus Vorsorge und aus Angst, vor dem, was vielleicht noch kommt.