„Ich kämpfe jeden Tag um mein Leben“

 

von Gudrun Dürnberger

 

In Salzburg schneit es heftig, die weißen Flocken sorgen für eine prächtige winterliche Landschaft. Während ich meinen Kachelofen einheize, damit es in der Stube gemütlich warm wird, denke ich an Amadu Camara, mit dem ich vor kurzem ein Gespräch für dieses Porträt geführt habe. Er schlafe in Parks und in verlassenen Gebäuden, hat der obdachlose Zeitungsverkäufer mir mit ruhiger Stimme erzählt. Es schien, als wolle er die Sache herunterspielen, als wäre es nichts Besonderes, bei diesen Temperaturen auf der Straße zu leben. Als ich betroffen reagiere und frage, ob er niemand wisse, bei dem er Unterschlupf finden könnte, wirkt er plötzlich sehr niedergeschlagen und verzweifelt. Seine Situation scheint ziemlich hoffnungslos, wie sich im Laufe des Gesprächs herauskristallisiert.

Amadu spricht ein schönes Deutsch, man kann sich gut mit ihm verständigen. Immerhin lebt er bereits seit 17 Jahren in Österreich. Er hat hier lange im Gastgewerbe gearbeitet und auch eine fünfjährige Tochter, die ihm viel bedeutet. Aber Amadu hat keinen legalen Aufenthalt und die Aussicht auf ein Happy End dürfte gering sein, das weiß er auch. In leisem und sehr ruhigem Tonfall schildert er, wie es so weit gekommen ist.

Was er von seinem Leben erzählt ist bedrückend. 1987 ist er in Westafrika geboren. Während er über seine Kindheit spricht, wird er zum ersten Mal lebhaft, seine Augen beginnen zu leuchten. Detailliert schildert er die Schule, die er in seiner Heimat Guinea-Bissau besucht hat. „Ich war ein guter Schüler, nicht der beste, aber wirklich gut“, erzählt er merklich stolz. „Mein Vater hatte ein Lebensmittelgeschäft, dort habe ich oft mitgeholfen. Bildung war meinem Vater sehr wichtig, darum hat er mich immer aufgefordert, zu lernen.“ Als in seiner Heimat der Bürgerkrieg ausbricht, beginnen die Schwierigkeiten für die Familie. Sein Vater habe sich an den Kämpfen nicht beteiligen wollen, sei aber dadurch zwischen alle Fronten geraten. Amadu, kaum älter als zehn Jahre, befand sich plötzlich auf der Flucht. Er habe seine „Reise“ angetreten, wie er es nennt. Allein und zu Fuß. „Ich wollte den Schmerz hinter mir lassen.“ Genau so beschreibt er dieses Ereignis, das sein ganzes Leben bestimmen wird.

Heute bedauert er seine Flucht. „Es war ein Fehler, meine Heimat zu verlassen, auch wenn die Situation schlimm war. Jetzt kämpfe ich in Österreich ums Überleben“, sagt Amadu. Seit 17 Jahren ist er hier, hat aber keinen legalen Aufenthalt. „Hier bin ich aufgewachsen. Ich habe immer die Wahrheit gesagt und nie etwas Schlimmes gemacht. Ich habe alles getan, was von mir verlangt wurde. Darum verstehe ich nicht, warum ich keine Chance bekomme und hier nicht normal leben darf“, sagt er bedrückt. Das wiederholt er mehrmals im Gespräch, es beschäftigt ihn. Er versteht nicht, dass seine Fluchtgründe von der Asylbehörde nicht anerkannt werden und er deshalb keine Papiere bekommt, um legal hier zu leben. Als völlig unfair empfindet er, dass manche Flüchtlinge bereits nach kurzer Zeit einen Asylstatus bekommen.

Amadu erinnert sich aber auch an schöne Zeiten in Österreich, als es noch keine negative Entscheidung von der Asylbehörde gab und noch Hoffnung bestand. Damals habe er im Seengebiet im Flachgau als Hilfskraft in der Gastronomie gearbeitet. Seine Augen bekommen einen feuchten Glanz, als er von dieser Zeit erzählt. „Die Arbeit hat mir sehr gut gefallen und das Team war wie eine Familie für mich. Ich durfte sehr viel selbstständig in der Küche machen und wollte eigentlich Koch werden.“ Der Chef habe ihm viel beigebracht, er könne sogar anspruchsvolle Gerichte kochen, schildert er voller Stolz. Er überlegt kurz und nennt dann einige Menüs, die er zubereiten durfte, wie Putenstreifen mit Gemüse und Salat oder Cordon bleu mit Reis. Damals habe er auch viel Sport betrieben, sei täglich am See gelaufen und habe Fußball gespielt. Eine glückliche Zeit.

Dann kam das böse Erwachen. „Mein Herz war gebrochen, als ich den negativen Bescheid bekommen habe.“ Diese Situation habe ihn richtig krank gemacht und er gesteht: „Eine Weile habe ich sogar viel Alkohol getrunken, das war mein Freund, der mich glücklich machte.“ Er beteuert, das sei vorbei, er trinke nicht mehr. Gegen die ablehnende Entscheidung hat er Berufung eingelegt, dann einen neuen Asylantrag gestellt. Verschiedene Beratungsstellen haben ihm allerdings klar-gemacht, dass er keine Aussicht auf Erfolg haben werde. Inzwischen hat er zwar eingesehen, dass ihm ein legales Leben in Österreich verwehrt bleiben wird. Das auch zu akzeptieren fällt ihm aber schwer. Dennoch hat er einer freiwilligen Rückkehr in seine Heimat zugestimmt. Die Aussicht auf ein illegales Dasein und ständige Angst vor der Verhaftung haben zu dieser Entscheidung beigetragen.

Die Fremdenpolizei hat ihn ein halbes Jahr in Schubhaft genommen, schließlich hat man ihn ins Rückkehrzentrum in Fieberbrunn in Tirol gebracht. „Dort war ich ein Jahr lang, das
war wie ein Gefängnis“, berichtet Amadu. „Ich wollte meine Tochter besuchen, aber das Heim hat das nicht erlaubt. Sie haben mir gesagt, dass ich meine Tochter nicht sehen kann. Das habe ich nicht mehr ausgehalten, darum bin ich weggegangen. Worauf hätte ich denn noch warten sollen? Nach einem Jahr hat die Botschaft immer noch keine Papiere für mich ausgestellt, die wollen mich gar nicht zurücknehmen.“

Nur hat er auch in Österreich keinen Ort mehr, wo er hingehen könnte. Seit einigen Monaten lebt Amadu daher auf der Straße und verkauft die Straßenzeitung Apropos. Er hat auf einen Standplatz in der Stadt Salzburg gehofft, hier gibt es aber bereits viele Verkäufer. Daher steht er jetzt beim Spar-Markt in St. Gilgen, obwohl ihn die Wochenkarte für den Bus 29 Euro kostet. Er will mir die Karte zeigen, zum Beweis, dass er legal in die Arbeit pendelt. Dabei glaube ich ihm sowieso, finde es aber schade, dass er so viel Geld für den Transport ausgeben muss. „Am Anfang war es schwierig, aber die Leute wissen jetzt, dass ich keine Probleme mache“, erzählt er über seine Tätigkeit. „Viele Kunden wissen, dass ich gut Deutsch spreche und sie sich mit mir unterhalten können. Alle sind freundlich zu mir.“ Worüber unterhalten sie sich? Erzählt er ihnen auch von sich? „Wir reden meistens nur ein bisschen, über unwichtige Sachen. Aber manche wissen, dass es mir nicht gut geht. Es gibt nette Leute, die mir sogar fünf Euro für die Zeitung geben“, berichtet Amadu. Abschließend meint er: „Wo ist meine Heimat? Ich fühle mich hier in Österreich zuhause. Dieses Land kenne ich viel besser als mein Herkunftsland. Mit Papieren wäre ich ein normaler Mensch. Ich will eine Familie haben und wie ein normaler Mensch leben.“