Ich bin – ein Mensch

 

von Katharina J. Ferner

 

Etwas früher als geplant komme ich im Büro von Apropos an, ich war lange nicht mehr in der Glockengasse, verbinde die Straße mit einer Zeit von jugendlichen Theaterproben und trete in Erinnerungen getaucht ein. Der Frühling hat noch einmal Schnee gebracht. Als ich den Mantel ablege und mich für die Fotos bereit mache, kommt auch Ionela. Ich höre sie sofort mit der Dolmetscherin losplaudern, und obwohl ich nur Einzelnes verstehe, freue ich mich einfach, dass wir drei hier angekommen sind und ich Einblick bekomme in ein Leben, das so ganz anders verläuft als die, die ich kenne. Als ich später nachrechne, bemerke ich, dass wir ungefähr gleich alt sein müssen.
Ionela startet das Gespräch gleich, indem sie erzählt, dass sie eben noch im Saftladen duschen war, der sei nicht weit von ihr, sie habe nämlich heute unter der Brücke geschlafen. Sie erklärt auch, dass es in den entsprechenden Unterkünften wie der Notschlafstelle eine 14-tägige Wechselregelung gebe. Das bedeute konkret: abwechselnd zwei Wochen auf einer Matratze zu schlafen und zwei Wochen auf der Straße. Die Regeln seien allgemein noch strenger geworden, wegen Corona. Sie verstehe das natürlich, aber sie sei gerade eben schon froh über die Dusche gewesen. Dass sie heute interviewt wird und sich jemand für ihre Geschichte interessiert, sei etwas Besonderes. Nun sei es aber gut, einfach einmal hier angekommen zu sein. Sie sagt das alles mit einer Selbstverständlichkeit, einer Wärme in der Stimme, die sofort den ganzen Raum erfüllt.

Ionela erzählt. Sie kommt aus einem Dorf im südlichen Teil Rumäniens. Sie hat drei Kinder, einen dreizehnjährigen Sohn und zwei Töchter, vierzehn und acht Jahre alt. Wenn nicht gerade Corona ist, gehen die Kinder in die Schule. Zumindest eine Volksschule gibt es in der Nähe, ein Gymnasium befindet sich erst in der nächstgrößeren Stadt und die ist 30 Kilometer entfernt. Der Bus dorthin fährt selten und viele nehmen den Weg gar nicht erst auf sich. Ionela hofft aber, dass insbesondere ihre Töchter eine längere und bessere Bildung erhalten als sie selbst. Sie hat die Schule mit fünfzehn abgebrochen, als sie mit dem ersten Kind schwanger war. Seitdem schlägt sie sich mit Hilfsarbeiten durch. Die schlechte Arbeitssituation in Rumänien brachte sie wie so viele in ein anderes Land, in ihrem Fall – Österreich. Dass es letztendlich Salzburg wurde, liegt an den positiven Erfahrungen, die sie dort bereits gemacht hat und der halbwegs regelmäßigen Busverbindung. Alle zwei bis drei Monate steigt Ionela in so einen Bus und fährt entweder zum Arbeiten nach Salzburg oder zu ihrer Familie nach Hause. Auch in dieser Woche hofft sie auf eine Verbindung. 100 Euro kostet eine Fahrt.

Früher erwartete sie dort tatsächlich ein Haus. Im September 2020 allerdings, als die Familie eine Stromleitung zu ihren Nachbarn legen wollte, löste ein Kurzschluss einen Hausbrand aus. Ionela zeigt mir Videos auf ihrem Handy und beginnt zu weinen, als ihre Kinder durchs Bild laufen. Die Nachbarn halfen sowohl beim Löschen als auch beim Aufbau eines Verschlags, in dem die Familie seither wohnt. Es kam keine Feuerwehr. Im jetzigen Aufbau gibt es keine Isolierung und der Boden besteht aus festgetretener Erde, aber zumindest sind die Kinder am Leben, sagt Ionela.

Während sie in Salzburg ist, kümmert sich ihr Mann um die Kinder. Das war nicht immer so, auch er hat eine Zeit lang hier gearbeitet. Sonst gibt es keine Familie, die sie unterstützen kann. Die Schwiegereltern sind bereits verstorben, die eigenen Eltern zu alt und krank. Der Vater erlitt bei einem Unfall eine Kopfverletzung und lebt seitdem mit Einschränkungen. Ihre Mutter hat mit ihren 60 Jahren bereits einige Operationen hinter sich. Ionela hat eine Schwester, die als Reinigungskraft in Wien beschäftigt ist, und einen Bruder. Beide haben ebenfalls eine Familie, die es zu versorgen gilt.

Vor der Pandemie war die Situation etwas einfacher. Ionela hatte einen fixen Job als Abwäscherin in einem Lokal in Elixhausen. Davor hatte sie gebettelt oder tageweise gepfuscht. An einem dieser Tage wurde sie auf Apropos aufmerksam. Dass sie nun als Zeitungsverkäuferin arbeiten kann, sieht sie als eine glückliche Fügung. Sie ist sichtlich dankbar, nun wieder einer Beschäftigung nachgehen zu können, auch wenn die Lebensumstände schwierig bleiben.

Der Wunsch, die Familie nach Salzburg zu holen, bleibt momentan nicht zuletzt aufgrund der finanziellen Umstände ein unerfüllbarer. Mit dem Geld, das Ionela hier verdient, kann sie dieser immerhin im Heimatdorf eine kleine Absicherung bieten. Das Dorf wird zudem von den Maltesern unterstützt. Für eine Zeit bekamen sie Sozialhilfe. Ein weiterer positiver Aspekt ist die Verdoppelung des Kindergelds von 20 auf 40 Euro pro Kind. Aber die Schule ist teuer, ebenso wie die Medikamente für die Eltern.

Zum Schluss betont Ionela noch einmal, wie dankbar sie dafür ist, hier sein zu dürfen. Sie sieht die Arbeit bei Apropos als Möglichkeit und schätzt die Freundlichkeit der Salzburger*innen.
Das Interview wurde auf Rumänisch und Deutsch geführt. Es ist zu einem wesentlichen Teil auch der Dolmetscherin Doris zu verdanken, dass dieses Gespräch in einer solchen Offenheit geführt werden konnte. Vielen Dank dafür.