Hilfsbereit sein? – No na! Was sonst?

 

Autor Paul Launiger trifft unseren ehemaligen Verkäufer Gerhard Entfellner.

 

von Paul Lahninger

 

„Täglich mehrmals bekomme ich per Whatsapp Nachrichten und Mails von Familien in Indien, denen ich helfen konnte. Schon als Kind hatte ich von meinem Vater gelernt, für die da zu sein, die weniger Glück im Leben haben. Für meinen Vater war es selbstverständlich, für alte Nachbarn Holz zu hacken oder ihnen bei der Feldarbeit zu helfen. Er nahm mich mit zu den armseligen Bauernhöfen, die damals, in den 60er-Jahren, noch bewirtschaftet wurden. Dort habe ich auch gelernt, dass geschrubbte Böden oder sauberes Geschirr Luxus sein können. Wer all seine Kräfte braucht, um über die Runden zu kommen, dem ist so mancher Dreck egal. Dies zu erleben war eine gute Vorbereitung auf Indien, doch Indien war damals noch unvorstellbar weit weg. 

Als ich dann eine Schule in der Stadt Salzburg besuchte, sah ich zum ersten Mal Menschen, die nichts besitzen als das, was sie am Körper tragen, Männer, die jahrelang in der Psychiatrie eingesperrt worden waren und die dann, ohne jede Unterstützung, auf die Straße gesetzt wurden. Manche wuschen sich im Winter in den Brunnen der Stadt. Die Stadtregierung versuchte, sie zu vertreiben, Höhlen am Mönchsberg, in denen Obdachlose Unterschlupf fanden, wurden zugemauert. In meinem Internat hatten wir so viel Essen am Tisch, dass es immer einen Kübel mit den Resten für die Schweine gab, und vor unseren Fenstern saßen frierende Menschen, die um ein Stück Brot bettelten. Als dann die Straßenzeitung „Asfalter“ gegründet wurde, hab ich mich mit einem Pack Zeitungen auf die Straße gestellt, um Obdachlose zu ermutigen, auch als Verkäufer anzufangen.

Manche würden sagen, ich wäre arm dran. Meine rechte Seite wurde bei der Geburt durch einen Kristellerhandgriff verletzt, so war ich jahrelang gelähmt und meine Wirbelsäule musste mit einem Stück Stahl verstärkt werden, doch irgendwie scheint es, das gehört zu meinem besonderen Lebensweg. Ich habe gelernt, mit meinen körperlichen Grenzen zurechtzukommen. Ich konnte eine Lehre als Spediteur und Bürokaufmann abschließen und kam ins südliche Burgenland, nach Rechnitz. Dort gibt es „Leichen im Keller“, Massengräber ermordeter ungarischer Juden. Dies wird immer noch vertuscht oder geleugnet. Ich bin dieser Geschichte nachgegangen und wurde von vielen Seiten angefeindet. Diese Anfeindungen haben mich erst recht dazu gebracht, in Archiven zu recherchieren. Eine aus der Luft gegriffene Klage brachte mich kurz ins Gefängnis, in den „Gemeindekotter“ von Rechnitz. Natürlich wurde ich freigesprochen. Dennoch fühlte ich mich in Rechnitz nicht mehr sicher. Ich ließ mein Haus zurück, meinen Garten, meine Bienenstöcke. Und ich musste etwas tun, um meine Seelenkräfte zu stärken. So entschied ich mich, meditieren zu lernen, und ging für ein Jahr nach Goa in Indien. Dort packte mich die Not der Kinder und es blieb nicht bei einem Jahr.

Rund um Goa leben Vorfahren der Roma in armseligen Dörfern. Die Kinder müssen arbeiten, damit die Familien überleben können. Es tat mir weh, die dürren Gestalten zu sehen, die sich für einen Hungerlohn abplagen mussten. So habe ich jeden Tag ein paar Kinder eingeladen, mit mir in einem Wirtshaus zu essen. Die Mutter eines fröhlichen Buben lud dann mich zum Essen in ihre Unterkunft ein. Da kam ich auf die Idee, die 100 Rupien, die mich ein Abendessen in einer Gaststätte kostete, der Familie zu geben und mit ihnen zu essen. Für 100 Rupien (ca. 1 Euro) konnte sich die Familie einen Tag lang ernähren. Drei Monate lang war ich jeden Abend ihr Gast, ich lernte ihre Sprache, das Gormati. Freunde in Österreich waren bereit, Patenschaften für Kinder zu übernehmen, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen. Und wir gruben einen Brunnen im Dorf, um die kargen Böden zu bewässern. Bald konnten die Dorfbewohner Gemüse am Markt verkaufen. Auch in umliegenden Dörfern wurde ich mit meinen neuen Freunden aktiv. Wir verlegten Wasserleitungen und bauten bessere Häuser. Das Projekt wurde als „Gerhard Charity Trust“ mit 25 Angestellten organisiert. Und immer wieder tauchte unerwartet etwas Hilfreiches auf. 

Ich hatte einen Container mit Hilfsgütern aus Österreich organisiert. Der indische Zollbeamte war es gewohnt, für jede Freigabe ein beachtliches „Trinkgeld“ zu nehmen. Da ich nicht bereit war, über die vorgeschriebenen Zollgebühren hinaus Bestechungsgeld zu zahlen, verweigerte der Beamte die Freigabe der Hilfsgüter. Ich nahm mir ein Hotel in Bangalore und überlegte, was zu tun ist. Bei einem Spaziergang sah ich ein Büro der Indian Times. Das ist es, dachte ich, ging hinein und erzählte meine Geschichte. Am nächsten Tag war ein Artikel über die festgehaltenen Hilfsgüter aus Österreich in der Zeitung zu lesen und noch am selben Abend war mein Container freigegeben.

„Möchtest du den Dalai Lama treffen?“

Täglich trainierte ich, zu meditieren. Da dachte ich mir, ich würde gern mit dem Dalai Lama reden, und so kaufte ich mir eine Zugkarte nach Dharamsala, quer durch Indien. Eigentlich wusste ich weder, ob der Dalai Lama zu diesem Zeitpunkt in Indien war, noch, ob es überhaupt möglich wäre, bei ihm vorzusprechen, doch in meinen Meditationen stimmte ich mich auf die Begegnung ein. In Dharamsala traf ich zufällig einen indischen Minister. Ich erzählte von meinem Projekt, da sagte er: „Mein Freund, möchtest du mitkommen, den Dalai Lama zu treffen?“ So ging mein Wunsch tatsächlich in Erfüllung.

Seit 2001 wohne ich wieder in Salzburg, ich war Mitgründer der Wärmestube, ich begleite eine Flüchtlingsfamilie und engagiere mich für Herzens-Meditation. Ich habe eine Ausbildung zum Sozialarbeiter abgeschlossen, mit der Uni Salzburg zusammengearbeitet und 2004 ein Forschungszentrum mitbegründet. Meine Unterlagen über Rechnitz habe ich der Korruptionsstaatsanwaltschaft übergeben. Ich wünsche mir, dass Verantwortliche endlich den Mut haben, offiziell zu Österreichs Schuld in der Nazizeit zu stehen, und diese betrauern. Dann brauchen wir auch das antiquierte Amtsgeheimnis nicht mehr.

Über die Massengräber in Rechnitz habe ich ein Buch geschrieben. Ich male Bilder mit Bezug zur Zusammenarbeit. Täglich schreibe ich an meine Freunde in Indien. Die Kinder, die ich in Goa zum Essen eingeladen hatte, sind jetzt erwachsen, einige von ihnen führen das Projekt weiter und stolz schicken sie mir Fotos ihrer eigenen Kinder. Die Dörfer der Gormati haben sich gut entwickelt. Mein Vater hatte große Freude mit meinem Einsatz in Indien. Als er davon hörte, wollte er mir gleich sein Fahrrad schicken, damit ich es dort jemandem schenken kann. Er zeigte mir, wie gut es tut, für andere da zu sein. Es macht mich glücklich, wenn ich helfen kann, auch wenn das für mich selbstverständlich ist.“