
Fünf Jahre obdachlos, sieben Jahre Knast
Georg Aigner wird als Kind oft geschlagen und fängt bereits mit zwölf Jahren an zu trinken. Mit 25 fliegt er wegen des Trinkens aus seinem letzten Job, und weil er nur noch rauft, auch aus seiner Familie und aus seinem Dorf. Fünf Jahre lebt der fortan obdachlose Pinzgauer in der Stadt Salzburg vom „Schnorren“. Erst als er nach einem Überfall sieben Jahre ins Gefängnis muss, hört er auf zu trinken und ändert sein Leben. Denn draußen wartet seine neue Freundin Evelyne auf ihn. Sie gibt ihm Halt. Durch sie, seine heutige Ehefrau, wird er Straßenzeitungsverkäufer. Inzwischen ist Georg Aigner bekannt für seine Stadtspaziergänge und Schulvorträge. Darin gibt er viel von seinem Leben preis, um zu zeigen: Obdachlosigkeit kann jeden treffen, doch mit Hilfe kommt man wieder auf die Beine.
von Sabine Deubler
Georg ist das jüngste von acht Geschwistern, als er 1969 in einem kleinen Oberpinzgauer Dorf auf die Welt kommt. Seine Mutter ist Hausfrau, sein Vater ernährt als Busfahrer die zehnköpfige Familie.
Seine Kindheit ist kein Zuckerschlecken. Ich habe so einige „Fotzen“ gekriegt, für mich war das normal. Der Pfarrer in der Schule hat mich viel geschlagen und der Lehrer auch. In der dritten Klasse Volksschule hat meine Mutter einen Brief bekommen. Ich kam dann in die Hilfsschule (die heutige Sonderschule). Warum, weiß ich gar nicht. Das Lernen habe eigentlich funktioniert, meint Georg rund 40 Jahre später zurückblickend. „Lernen ist sehr wichtig für euch“ – diesen Satz wird er so viele Jahre später Schulkindern in Salzburger Schulen erzählen. Doch mit acht Jahren hat er keine Wahl, als er damals aus der Volksschule fliegt. Er wählt, es seinen Geschwistern gleichzutun, als diese zu rauchen und zu trinken beginnen. Mit zehn Jahren lernte ich rauchen. Ich hatte meine Geschwister hinter der Holztruhe rauchen gesehen. Das wollte ich auch. Mit zwölf Jahren begann ich zu trinken. Zum Trinken gab es überall etwas. Das war damals nicht schwer.
Der Vater bestimmt, dass sein jüngstes Kind Metzger werden soll. Nach der Sonderschule beginnt Georg also mit 14 Jahren in Zell am See eine Metzgerlehre. Die Stadt ist 25 Kilometer von seinem Heimatdorf entfernt. Der Lehrling kommt nur am Wochenende heim. Sein Chef mag ihn. Georg gefällt die Arbeit. Wäre da nicht die schulische Hürde. Was er in der Sonderschule gelernt hat, ist für die Berufsschule einfach zu wenig. Ein Mal pro Jahr musste ich für neun Wochen in die Berufsschule nach Salzburg fahren. Da bin ich durchgefallen. Ich habe einfach zu wenig gewusst. Nach der neunten Woche fuhr ich zurück nach Zell am See zum Meister. Der machte gerade Buchhaltung und schaute mich ernst an. Er war groß und breit wie ein Schrank. Ich dachte: „Jetzt gibt’s Fotzen. Der erschlägt mich.“ Er ist nicht aufgestanden. Er hat gemeint: „Georg, du machst deine Lehre weiter. Ich zahle dir drei Jahre lang dein Lehrgeld aus und dann bist du Geselle. Die Schule vergessen wir.“ Aber für mich hat das nicht gepasst. Andere müssen lernen und bei mir wäre es so ohne Schule gegangen.
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