Freundschaft!

Von einer Seele in zwei Körpern schrieb Aristoteles. Und Hans Albers sang mit Heinz Rühmann: „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Schönste, was es gibt auf der Welt.“ Tatsächlich meinen Psychologen: Wer Freunde hat, ist glücklicher.

von Georg Wimmer

Wenn wir keine Freunde hätten, wären die Praxen von Psychotherapeuten völlig überlaufen, und Millionen Menschen lägen regelmäßig auf der Couch, anstatt bei einem guten Glas zusammen zu sitzen. Meine Freunde verstehen mich. Sie stärken mich, sie halten zu mir, selbst wenn ich falsch liege. Sollten sie mir einmal doch mitteilen müssen, dass ich völlig daneben bin, dann fangen sie mich verlässlich wieder auf. Freunde und Therapeuten sind natürlich nicht so einfach austauschbar. Was ich bei meiner Therapeutin bekomme, ist nicht das totale Vertrauen und bedingungslose Zu-mir-Stehen, sondern eher eine Art professionelle Empathie. Außerdem bleibt von meiner Seite immer ein Rest an Zurückhaltung, weil es eben Dinge gibt, die ich nur meinen allerbesten Freunden anvertraue. Meine Therapeutin kann ich zum Beispiel schlecht fragen, ob sie mir Geld leiht.

Freundschaft gibt es in allen Kulturen, und es gab sie zu allen Zeiten. Aber ab wann ist man befreundet? Wer ist ein Bekannter und wer ein Freund? Was macht eine gute Freundschaft aus? Freundschaften sind so unterschiedlich wie die Menschen und das, was sie letztlich so stark verbindet. Ein Aspekt jedoch, der sich bei allen Philosophen durchzieht, die sich von Aristoteles aufwärts mit dem Thema beschäftigt haben, ist die Gleichheit. Die Basis für Freundschaft bilden neben gegenseitiger Sympathie offenbar gleiche oder zumindest ähnliche Interessen, Weltanschauungen und Werte. Nicht umsonst ist häufig von einer „Gemeinschaft des Geistes“ oder von „Seelenverwandten“ die Rede. Was keineswegs heißt, dass Freunde oder Freundinnen die gleichen Stärken und Schwächen teilen müssen. Von Winnetou und Old Shatterhand, über Asterix und Obelix bis hin zu Harry Potter, Hermine Granger und Ronald Weasley: Was in Filmen mitunter holzschnittartig rüberkommt, zeigt im wahren Leben tatsächlich Wirkung: Gute Freunde können einander ergänzen und gemeinsam Dinge erreichen, die jeder für sich alleine nicht schaffen würde. Goethe und Schiller oder auch Marx und Engels wird nachgesagt, dass sie jeweils als Duo unschlagbar waren. Dass Freundschaft einen Nutzen bringen kann, ist unbestritten. Steht der Profit allerdings im Vordergrund, so kann es selbst mit den großartigsten Freunden schnell vorbei sein. Karl-Heinz Grasser und Walter Maischberger sollen sich nicht mehr so gut verstehen, seit ihre Geschäfte schlecht laufen.

Die Psychologen Michael Argyle und Monika Henderson schreiben in ihrem Klassiker „Die Anatomie menschlicher Beziehungen“, dass Freundschaft im Unterschied zur Ehe eine tiefe Verbindung ist, die nicht durch ein besonderes Ritual begründet werde. Allerdings gibt es unter Freunden und Freundinnen viele kleine Rituale, mit denen ihre Beziehung immer wieder aufs Neue gefeiert und gefestigt wird, und manchmal muss Freundschaft auch bewiesen werden. Für einen Freund macht man selbstverständlich Dinge, die unangenehm sein können. Wenn es ihm hilft, wird man für einen Freund vielleicht Dinge sagen, die nicht ganz den Tatsachen entsprechen. Als vor einigen Jahren ein Trainer für die österreichische Fußball-Nationalmannschaft gesucht wurde und Herbert Prohaska seinen Spezi Andreas Ogris ins Spiel bringen wollte, tat er das mit dem Hinweis, dass dieser nicht nur das ÖFB-Team trainieren könne, sondern „mit Sicherheit auch den FC Barcelona“ – und der war zu jener Zeit unbestritten der beste Club der Welt. Andreas Ogris hatte bis dahin aber bloß Erfahrungen als Coach beim Simmeringer FC und dem ASK Schwadorf gesammelt. Noch so ein gigantischer Freundschaftsbeweis von Prohaska und er wäre seinen Job als ORF-Fußballexperte los gewesen.

Freunde finden ist leichter, solange man jung ist, das beginnt schon im Kindergarten. Solche Beziehungen haben aber meist wenig mit dem zu tun, was Erwachsene unter Freundschaft verstehen. Denn kleine Kinder sind noch stark auf sich selbst bezogen. Besonders bei Mädchen spielt später die beste Freundin eine Schlüsselrolle. Ihr wird fast alles anvertraut, sie ist meistens wichtiger als Eltern oder Geschwister. Allerdings können auch solche Freundschaften von einem Tag auf den anderen zerbrechen, wenn plötzlich eine andere „beste Freundin“ auftaucht. Burschen tun sich da leichter. Sie haben ebenfalls einen guten Freund, doch der ist in der Regel austauschbarer. Die Unterschiede in der Art und Weise, wie Männer und Frauen ihre Freundschaften führen, verändern sich auch im Erwachsenenalter nicht, haben Argyle und Henderson herausgefunden. Während Männer häufig nur einen einzigen engen Freund haben und ansonsten eher Bekanntschaften pflegen, spielen gute Freundinnen im Leben von Frauen immer eine wichtige Rolle. Frauen besprechen untereinander auch intime Dinge; Männer eher nicht so. Aus einer Umfrage des Linzer Meinungsforschungsinstitutes IMAS geht hervor, dass die Zahl der Freunde ab dem 25. Lebensjahr abnimmt. Letztlich pflegen Österreicherinnen oder Österreicher im Schnitt genau vier Freundschaften, gerade die Begleiter aus Jugend- oder Studienzeiten bleiben oft ein Leben lang.

Dass etwa 90 Prozent unserer Freunde uns nicht nur ähnlich sind, sondern auch das gleiche Geschlecht haben, scheint ebenfalls kein Zufall zu sein. Schon Harry und Sally wussten im gleichnamigen Kultfilm: „Männer und Frauen können keine Freunde sein, der Sex kommt ihnen immer dazwischen.“ Eine Freundschaft zwischen Mann und Frau ist aber selbstverständlich möglich. Die gegenseitige Anziehung ist nur selten völlig von der Sexualität losgelöst. Zumindest in jüngeren Jahren. Unter Studierenden enden bis zu zwei von drei solcher Freundschaften im Bett. Die wenigsten dieser Verbindungen verwandeln sich in eine Romanze, ergab eine Studie in den USA. Doch immerhin 80 Prozent der freundschaftlichen Verbindungen blieben bestehen, als sie wieder platonisch wurden. Dass Freundschaften das Risiko für Depressionen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken, haben Wissenschaftler ebenfalls herausgefunden. Mit vertrauten Menschen an der Seite werden Probleme offenbar als weniger bedrohlich empfunden, in schwierigen Situationen werden weniger Stress-Hormone ausgeschüttet. Freunde spielen demnach als „lebensverlängernde“ Maßnahme eine wichtigere Rolle als Verwandte. Das liegt möglicherweise auch daran, dass man sich Freunde selber aussuchen kann. <<