Es wird kalt… und immer kälter

 

Viele Notreisende sind in der Stadt – auch in Zeiten der Pandemie. Weil sie hier Geld verdienen müssen, um ihre Familien in der Heimat zu unterstützen, zu versorgen. Unsere Autorin hat einen von ihnen getroffen. Und war überrascht.

von Eva Daspelgruber

Er strahlt mich an. Nicht nur mit einem Lächeln – auch mit den Augen. Ich bin verwundert, denn offenbar habe ich mir einen Menschen ohne Zuhause anders vorgestellt, irgendwie traurig. Jedenfalls nicht so positiv und zuversichtlich wie mein Gegenüber, einer von vielen Verkäufer*innen dieser Straßenzeitung.

Zu unserem Gespräch in der Redaktion fuhr er 45 Minuten mit dem Bus. Normalerweise würde er jetzt vor einem Supermarkt in einer kleinen Stadt stehen und Zeitungen verkaufen. So, wie er es von Montag bis Samstag immer macht. Um Geld zu verdienen für seine Familie, die in Rumänien lebt und für die er sorgen muss.

Mein Interviewpartner erzählt mir von der aussichtslosen Situation in seiner Heimat. Darüber, dass in seinem Dorf, rund hundert Kilometer von Bukarest entfernt, hauptsächlich ältere Menschen leben. Und viele Kinder, die bei den Großeltern untergebracht sind, während ihre Eltern in andere europäische Länder reisen, um Geld zu verdienen und es in die Heimat zu schicken. Eine Bleibe kann er sich nicht leisten.

Hier in der Landeshauptstadt halten sich die meisten Notreisenden auf. Deshalb ist es auch der Stadt ein wichtiges Anliegen, Organisationen wie die Caritas zu unterstützen, die mit ihren mobilen und ambulanten Angeboten für Menschen in Not da sind.

Wo er denn schläft, frage ich ihn. Draußen, kommt als Antwort. Derzeit besteht keine andere Möglichkeit. Das „Haus Franziskus“ der Caritas, in dem er schon in den letzten sechs Jahren einige Nächte verbrachte, hat seine Pforten (zu der Zeit, als wir das Interview führen) als Notschlafstelle nur für anspruchsberechtigte Obdachlose geöffnet. Dort können Notreisende wie er sonst auf Zuweisung durch die Sozialberatung maximal 30 Nächte verbringen. Dieses Limit gibt es einerseits, weil auch andere zum Zug bzw. Bett kommen sollen, und andererseits, weil diese Unterkunft nicht als Dauerlösung gedacht ist und Betroffene selbst initiativ werden sollen. In dieser besonderen Zeit der Pandemie steht dort nur noch knapp die Hälfte der maximal 90 Plätze zur Verfügung, da die Zimmer aufgrund der aktuellen Bestimmungen nicht wie gewohnt belegt werden können.

Neben dem „Haus Franziskus“ können Frauen seit Mitte November im „Haus Elisabeth“ unterkommen. Dort, wo die Schlafplätze ebenfalls stark reduziert wurden, befindet sich auch ein Tageszentrum.

Um alle Obdachlosen und Notreisenden trotz der aktuellen Bestimmungen unterbringen zu können, hat die Caritas, gemeinsam mit dem Land Salzburg, in dessen Zuständigkeit die Unterbringung von Notreisenden fällt, noch im November eine Lösung gefunden. Um die Kapazitäten der letzten Jahre zu gewährleisten, wurde mit 19. November 2020 ein dritter Standort in der Fanny-von-Lehnert-Straße 4 aufgesperrt. Diese Unterkunft soll dann nicht nur nachts, sondern rund um die Uhr für Obdachlose offen stehen.

Mein Gesprächspartner erzählt mir, dass im Zuge des ersten Lockdowns im März viele seiner Landsleute heimgefahren sind. Das ist jetzt anders, denn die Angst vor dem Virus und einer Erkrankung ist kleiner geworden, das Geldverdienen steht im Vordergrund. Schließlich möchte er, dass seine Töchter die Schule besuchen und gute Bildung erhalten. Und das kostet, denn neben den Schulgebühren muss auch noch der Bus dorthin bezahlt werden. Als er letztes Jahr mit einer Zahlung in Verzug war, wurden die Kinder sofort abgemeldet. Das soll nicht mehr vorkommen, auf gar keinen Fall. Auch wenn jetzt weniger Leute einkaufen gehen als früher und eher kontaktscheu sind – er steht trotzdem mangels Alternativen jeden Tag vor „seinem“ Supermarkt.

Dort, wo wir gerade bei geöffnetem Fenster am jeweils anderen Ende des großen Tisches Kaffee trinken und plaudern, befindet sich eine langjährige Einrichtung der Sozialen Arbeit gGmbH. In der Glockengasse stehen zehn Einzelzimmer als Notschlafstelle zur Verfügung – ebenfalls mit einer Beschränkung von 30 Nächten pro Jahr. Auch hier wird Wert darauf gelegt, das Angebot als Überbrückung zu sehen, während die Menschen selbst aktiv nach einer dauerhaften Bleibe suchen.
Mein Gegenüber zeigt mir ein Foto von seinem kleinen Sohn, der einmal eine bessere Zukunft haben soll als er. Genauso wie die beiden Töchter, die derzeit zu Hause sind, weil in Rumänien die Schulen wieder geschlossen haben.

Zum Abschluss unseres Gesprächs frage ich ihn, was derzeit sein größter Wunsch wäre, und bin auf die Antwort gespannt. Ein gebrauchtes Tablet oder ein alter Laptop, kommt spontan zurück. Für seine Töchter, die derzeit mit dem Smartphone der Mutter dem Online-Unterricht folgen müssen, was keine optimale Lösung ist. Er schaut sich derzeit auf Flohmärkten nach einem passenden Gerät um wenig Geld um.

Wieder bin ich erstaunt von diesem Menschen, der seine Nächte in der Kälte verbringt und sich nichts sehnlicher wünscht als eine gute Bildung für seine Töchter. Beim Abschied drücke ich ihm meine tiefe Bewunderung aus – für seine positive Ausstrahlung und ebensolche Lebenseinstellung. Und das, obwohl keine Aussicht auf Änderung oder gar Besserung seiner Situation besteht. <<