Ein paar Schritte voraus

Pionierinnen. Ohne Binnen-I. Vorkämpferinnen, Entdeckerinnen, Innovatorinnen – Leitsterne, Orientierungsfiguren, Vorbilder. Es gibt sie (auch in Salzburg) viel häufiger als vermutet.

von Wilhelm Ortmayr

Bunte Blätter mit mehr oder weniger Hochglanz lieben Rankings. Sie sind anschaulich, haben ultimativen Charakter und suggerieren Vollständigkeit. Wer nicht gelistet ist, ist nichts. Und der Ober sticht den Unter. So einfach ist die Indianerwelt.

Wenn es darum geht, den Blick auf Frauen zu werfen, denen man das Attribut „Pionierin“ zuschreibt, wird kein Ranking und keine lange Liste dem Thema gerecht. Egal wie man das Pionierhafte definiert. Geht es um Frauen, die etwas in Angriff nehmen, was bisher nur Männer getan haben? Um Frauen, die etwas in noch nie dagewesener Art und Weise machen? Oder um Frauen, die vorpreschen und gegen Wände rennen, und damit anderen Frauen Wege ebnen?

Wenn es um Frauen in Männerdomänen geht fällt einem unweigerlich Louise Piëch, geborene Porsche ein. Die Tochter des legendären VW-Käfer-Konstrukteurs hatte natürlich von klein auf „Benzin im Blut“ und fuhr als junge Frau in den 20er-Jahren selbst Autorennen, doch dass sie 1952, nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes allein an die Spitze des noch jungen österreichischen Porsche-Unternehmens treten sollte, war nicht vorgegeben. Die „gnädige Frau“ machte VW zum Marktführer und das Automobilhandelshaus zum erfolgreichsten in Österreich, sie entwickelte ein Vertriebsnetz für Volkswagen und baute auch eigene Einzelhandelsbetriebe auf. Ihr Führungsstil wird als klar und durchaus dominant beschrieben, allerdings verwoben mit einer „menschlichen“ Komponente, die damals, in den 50er- und 60er-Jahren, bei Männern offenbar völlig fremd war.

Ebenfalls nicht in die Wiege gelegt worden war Helga Rabl-Stadler das Amt der Festspielpräsidentin. Zunächst als Journalistin tätig, übernimmt die promovierte Juristin mit 35 das familieneigene Modehaus Resmann, zieht in den Nationalrat ein, wird Wirtschaftskammerpräsidentin. Der Umstieg 1995 in die Welt der Kultur und damit in einen hochdiffizilen Wirtschaftsbetrieb waren ein gewagter Schritt. Rabl-Stadler fördert Frauen in ihrem Umfeld ganz bewusst und hat Frauen auch stets ermutig, sich große und mutige Schritte zuzutrauen. „Wer anderer als eine Frau würde diesen Wahnsinnsjob auch nicht schaffen“, hört man immer wieder aus Festspielkreisen, für den es „Managerqualität, ungeheures diplomatisches Geschick und viel Geduld in einer Person“ braucht.

Rabl-Stadler gilt als bestvernetzte Frau Salzburgs, teilen muss sie diesen Titel nur mit Susanne Riess. Die erste Wüstenrot-Generalin kennt (auch dank ihrer politischen Vergangenheit) Gott und die Welt, heißt es, und weiß ihr Netzwerk auch klug zu nützen: Sie hat ein treffsicheres Gespür für Win-Win-Situationen, also gute Themen und die dafür passenden Partner, und sie gilt als extrem zielstrebig bei der Umsetzung ihrer Ideen. Eine davon war es Frauen zum Thema zu machen. Noch nie zuvor hatte Wüstenrot so viele weibliche Führungskräfte wie heute, die Arbeitsplatzzufriedenheit – speziell bei Frauen – ist hoch.

Was in der Wirtschaft stattfindet, lässt in der Wissenschaft noch auf sich warten. Eine Rektorin gab es an der Universität Salzburg noch nie, Vizerektorinnen dafür seit etwa 20 Jahren in steigender Zahl. Die Historikerin Sylvia Hahn hat dieses Amt bis vor kurzem bekleidet und sich dabei dezidiert und mit Erfolg der Frauenförderung verschrieben. Auch ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt „Frauen und Migrationsforschung“ gibt der ehemaligen Ministersekretärin (bei Johanna Dohnal) ausreichend Gelegenheit, Neuland zu betreten. Gleiches gilt für die Kommunikationswissenschafterin Elisabeth Klaus, die erst kürzlich mit dem Gabriele-Possanner-Würdigungspreis ausgezeichnet wurde. Klaus zählt seit den 80er-Jahren zu den engagiertesten und wichtigsten Geschlechterforscherinnen und hat durch ihre Arbeit die Bedeutung von Frauen im Journalismus herausgearbeitet und viel zum Wissen über Geschlecht und Medien beigetragen. Pionierarbeit anderer Art hat Brigitte Winklehner geleistet. Der Romanistin sind die Gründung und der Aufbau des Chinazentrums der Universität Salzburg zu verdanken und damit ein großer Schritt hin zu regelmäßigem Austausch und einem besseren Verständnis der Kulturen. Begonnen hat die Kooperation 1999, als von China als kommender wirtschaftlicher Weltmacht noch niemand in Österreich eine echte Wahrnehmung hatte. Schon gar nicht in der Politik.

Apropos Politikerinnen: Die haben und hatten es in Salzburg immer eher schwer. Dabei gab es tolle Vorreiterinnen. Elfriede Karl schafft es trotz formal niedrigem Bildungsabschluss bereits mit 38 als Staatsekretärin in die Regierung Kreisky, später wird sie sogar Ministerin. In ihrer Zuständigkeit für Familien und Frauen erreicht die ruhige, aber zielstrebige Sozialdemokratin mehr als manche ihrer lauten Nachfolgerinnen: das zweite Karenzjahr, die Möglichkeit der partnerschaftlichen Teilung des Karenzurlaubs, die Einbeziehung Unverheirateter mit Kindern und Alleinerziehender in die Familienförderung. Heute selbstverständlich, damals Meilensteine. Solche setzt auch Martha Weiser, ÖVP-Stadträtin für soziales und Wohnungswesen in den 60-er und 70-er Jahren. Frauen, die sagen, was sie denken, sind damals in der ÖVP noch eine Irritation ohne Gleichen. Dennoch schafft Weiser Beachtliches: Die Aktion „Essen auf Rädern“ und die Einrichtung der Hauskrankenpflege gehen auf sie zurück.

Dann allerdings dauert es bis 2004 ehe Salzburg seine erste Landeshauptfrau und die ersten Bürgermeisterinnen bekommt. Eine des Pinzgauer Trios, Sonja Ottenbacher, ist heute noch im Amt. Ihr Vorgänger hätte damals lieber seinen Schwiegersohn auf dem Bürgermeistersessel gesehen, doch Ottenbacher gab nicht klein bei, kandidierte und gewann haushoch. Heute sind acht Salzburger Gemeinden unter weiblicher Führung, das sind kaum sieben Prozent. Der Anteil an Gemeindevertreterinnen ist um vieles höher, was beweist, dass es an kommunalpolitischem Interesse gewiss nicht mangelt.

In eine richtige Männerdomäne eingedrungen ist auch die Dirigentin Elisabeth Fuchs. Dirigentinnen sind für das Publikum noch ungewohnt. Denn (siehe Politik) der Beruf ist nicht familienfreundlich und die Ausbildung extrem teuer. Wie gut, dass Fuchs zunächst Lehramt Mathematik/Musik studiert und eher spät ihre Liebe zum Dirigat entdeckt hat, zu einem Zeitpunkt, wo sie schon jenes „Standing“ hatte, dass man als Dirigent braucht. Ihr extremes Organisations- (und Rechen-)talent erlaubt es ihr heute, ihr eigenes Orchester zu führen, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern zu sein und nicht nur künstlerisch ihren eigenen Weg zu gehen.

Zum Glück brauchte Fuchs, wie auch so manche Pionierin in Politik und Wirtschaft nie einen lupenreinen, unterbrechungsfreien Lebenslauf. Denn den benötigt sehr wohl, wer als Beamtin oder im Wissenschaftsbereich eine bahnbrechende Karriere hinlegen will. Im öffentlichen Dienst sind Frauen an der Spitze immer noch eine Seltenheit. Die Landeshauptstadt hat seit kurzem ihre erste Magistratsdirektorin und es gibt eine Abteilungsleiterin (von sieben). Im Land liegt die Quote bei 20 Prozent.

Nicht ganz unähnlich ist das Bild auf der Uni. Warum? Auch dort ist (anders als in vielen Bereichen der Wirtschaft) der Karriereverlauf zwischen 30 und 40 mitentscheidend über die Top-Jobs. Jenes Alter also, in dem Akademikerinnen Kinder bekommen, wenn sie denn welche bekommen. Kein Wunder, dass führende Frauen in Wirtschaft und Kultur tendenziell eher Kinder haben als Frauen im Uni- oder Verwaltungsbereich beziehungsweise in der Politik (es sei denn sie sind Quereinsteigerinnen). Und selbst da ist Mutter sein ein Aufreger. Als 2017 (zum nahezu ersten Mal) eine Frau mit zwei Kindern unter 14 Ministerin wird, noch dazu eine Frau, die 200 Kilometer von Wien entfernt lebt, ein Ministeramt antrat, war die Vereinbarkeit von Familie und Beruf absolutes Schlagzeilenthema. Einem Mann aus Bregenz mit drei Kindern unter 14 wird die Frage kein einziges Mal gestellt. Was die Vermutung nahelegt: Es braucht auch mehr männlich Pioniere. Im Journalismus. Und in den Familien.