Ein Leben zwischen Câmpulung und Salzburg

 

Ich treffe Georgiana Fieraru Anfang Dezember an einem besonders kalten Tag. Am Weg zur Apropos-Redaktion bin ich froh über die Handschuhe, obwohl es nur ein kurzes Stück am Rad ist, und ich frage mich, von wo Georgiana gerade kommt, wo sie diese kalte Nacht verbracht hat. Im Auto, erzählt sie mir dann, nachdem sie mir herzlich die Hand gedrückt hat. Sie kommt gemeinsam mit ihrem Mann seit mehr als zehn Jahren nach Salzburg. Tagsüber verkaufen sie die Straßenzeitung Apropos, nachts schlafen sie im Auto. Meistens am selben Parkplatz, erzählen sie. Nur wenn die Polizei kommt, müssen sie den Standort wechseln.

 

von Anna Maria Stadler

 

Georgianas Leben spannt sich zwischen zwei Orten auf: Câmpulung und Salzburg. Sie ist in der Nähe von Câmpulung aufgewachsen, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Während sie ihre Kindheit dort in schöner Erinnerung hat, von der Natur und den Tieren spricht, erlebt sie das Dorf, in dem sie gemeinsam mit ihrem Mann und den zwei Kindern, sowie dem Schwiegersohn und nun auch mit der kleinen Enkelin lebt, heute anders. Jetzt gibt es nichts mehr, sagt sie. Vieles ist kaputt gegangen. Es gibt dort keine Arbeit für sie, sodass sie immer wieder die zweitägige Reise auf sich nehmen, um nach Salzburg zu fahren. Als ich meinem Freund später von dem Gespräch erzähle, fragt er: Câmpulung? Ist das nicht der Ort, wo dein Urgroßvater gelebt hat? Ich google Câmpulung, dessen Klang auch mir vertraut vorkommt, und sehe, es gibt noch eine zweite Ortschaft in Rumänien, die ähnlich heißt. Es ist der Ort, aus dem mein Urgroßvater war.

In Salzburg hätten sie mehr Möglichkeiten, sagt Georgiana. Den Sohn nehmen sie nur in den Schulferien mit. Es sei wichtig, dass er in die Schule gehe, um einmal Arbeit zu finden, betont sie. Die meiste Zeit im Jahr seien sie deshalb ohne die Kinder hier. Dazwischen fahren sie für ein paar Wochen nach Hause, aber sie seien mehr hier als zu Hause. Sie haben hier mehr Freund:innen als in Rumänien. Wie ihr die Menschen begegnen, bei ihrer Arbeit, will ich wissen. Manche kaufen die Zeitung, manche nicht, sagt Georgiana.

Freund:innen haben ihnen von Apropos erzählt, so hat sie ihr Weg nach Salzburg geführt. Ihr Mann verkauft an einem anderen Standort die Straßenzeitung. Er ist bei unserem Gespräch dabei. Sie sind im selben Dorf aufgewachsen und kennen einander seit ihrer Kindheit. Mittlerweile sind sie seit zwanzig Jahren verheiratet. Als sie geheiratet haben war Georgiana 13 Jahre alt, er war 16. Alle Erinnerungen, die sie hat, seien gemeinsame Erinnerungen, erzählt Georgiana lächelnd. So erinnert auch er sich noch an die Puppe von Georgianas Schwester, mit der sie als Kind am liebsten gespielt hat.

Wie ein gewöhnlicher Tag bei ihr aussieht, frage ich sie. Sie stehe auf und danke Gott dafür, dass sie gesund ist. Früher habe sie wenig darüber nachgedacht, wie ein Tag verläuft, aber heute sei sie froh über jeden Tag, an dem es ihr halbwegs gut geht, denn sie habe eine schwere Operation hinter sich. Sie musste aufgrund einer Krebserkrankung operiert werden, das Geld für die Operation hat sie mit Hilfe ihrer Freund:innen zusammenbekommen. Doch schon einen Tag nach dem Eingriff wurde sie nach Hause geschickt, ihr Mann habe sich um sie gekümmert. Sie zeigt mir ein Foto von der langen Operationsnarbe. Sie konnte mehrere Monate lang nicht nach Salzburg kommen, und auch jetzt kann sie nicht den ganzen Tag an ihrem Verkaufs-Standort stehen, weil sie noch Schmerzen hat. Seit sie selbst krank war, schaue sie Erkrankte mit einem anderen Blick an. Sie sei froh darüber, jetzt wieder hier sein zu können und die bekannten Gesichter zu sehen. Manche haben nicht geglaubt, dass sie wieder zurückkommen wird.

Als die Kinder noch kleiner waren, habe sie auch zu Hause bleiben müssen, und ihr Mann ist allein nach Salzburg gefahren. Das sei eine schwere Zeit gewesen, erzählt sie. Sie habe im Wald Brennholz gesammelt, wie es jetzt ihr 14-jähriger Sohn tut, wenn sie nicht da sind. Wenn das Geld ganz knapp war, ist sie Blut spenden gegangen. Für ihre Kinder und ihren Schwiegersohn wünscht sie sich, dass sie Arbeitsplätze in Rumänien finden, und dass sie nicht an den Rand gedrängt werden. Sie spricht von den Ausschlüssen, die sie dort erfahren und davon, dass sie selbst ein paar Jahre in der Schule war, aber es sei eine sehr schlechte Schule gewesen. In Salzburg habe sie einen Deutsch-Kurs besucht, aber durch die Maßnahmen rund um Covid fände dieser nun nicht mehr statt. Die Pandemie habe das Leben für sie sehr erschwert, besonders den Grenzübertritt.

Sie könne es kaum erwarten, Weihnachten nach Hause zu fahren, sagt Georgiana. Wenn sie alle zusammen zu Hause sind, sei das wunderschön. Aber der Abschied sei jedes Mal sehr schmerzhaft. Ihre Tochter ziehe die Enkelin manchmal besonders süß an, und schicke ihr dann ein Foto davon, damit die Großeltern bald nach Hause kommen. Sie zeigt mir ein Foto von einer lachenden Einjährigen in einem roten Kostüm.

Was sie sich wünscht, frage ich sie, und sie zählt nur auf, wofür sie dankbar ist: Für ihre Familie und für ihre Freund:innen hier, für die Unterstützung, die sie erfährt. Für die Chancen, die sie hier bekommen. Sie sei sehr dankbar. Sie habe vielleicht nur diesen Wunsch, fügt sie später noch zögernd hinzu: hier einmal eine kleine Garçonnière anmieten zu können.