Ein Lächeln kann eine Brücke sein

Hier sitze ich also und warte auf dich.

Ich schaue auf die Uhr und bemerke ein leichtes Zittern meiner Hände. Sie sind feucht und ich wische sie schnell an meiner Hose ab. In meinen Romanen beschäftige ich mich mit Personen, die vor vielen hundert Jahren gelebt haben. Nur in meiner Fantasie unterhalte ich mich mit ihnen. In wenigen Augenblicken geschieht etwas ganz Neues. Ich werde einem realen Menschen gegenübersitzen und mir seine Lebensgeschichte anhören.

Ich atme tief durch. Obwohl ich dich seit Jahren kenne, bin ich nervös. Gespannt erwarte ich das, was über den gewohnten freundlichen Gruß hinausgeht.Costel Barbu ist auf allen deinen Apropos Zeitungen aufgedruckt. Deine ruhige und bescheidene Art ist mir vertraut. Und dein Lächeln mit dem du mich beschenkst, auch wenn ich keine deiner Zeitungen kaufe.

Ein Schluck von dem Tee in der gemütlichen Lounge beruhigt mich. Pünktlich um fünf kommst du zur Tür herein und nimmst neben mir Platz. Deine Augen leuchten lebhaft. Sofort beginnst du zu erzählen.

Meine zurechtgelegten Fragen sind vergessen und ich höre dir nur zu. Die Melodie deiner Sprache ist weich und gleicht dem Italienischen. Das eine oder andere Wort verstehe ich, ansonsten wandert mein Blick zwischen dir und unserer Dolmetscherin Doris hin und her. Geschickt versteht sie es deine kurzen Erzählpausen zu nutzen, um mich an dem Gespräch teilhaben zu lassen.

Dein Name Costel ist eine Abwandlung von Constantin und du kommst aus der Stadt Craiova im südlichen Rumänien. Mit 350.000 Einwohnern ist sie die viertgrößte Stadt deines Heimatlandes.
„Wie Salzburg die viertgrößte Stadt Österreichs ist“, fügst du hinzu.

Vor der Wende war Craiova eine bedeutende und blühende Industriestadt. In einer großen Fabrik warst du dort seit deinem fünfzehnten Lebensjahr beschäftigt. 22.000 Arbeiter haben in dem Werk Dieselmotoren und Eisenbahnlokomotiven produziert. Bis nach der Wende die große Krise kam und die Fabrik stillgelegt wurde. Zwei Jahre konntest du noch in der Heimat bleiben, dann musstest du weg. Vor sechzehn Jahren hat dich dein älterer Bruder nach Salzburg mitgekommen und seit fünfzehn Jahren verkaufst du Apropos.

Du nimmst einen Schluck von deinem Cappuccino und nickst. Mit Ernst und Nachdruck sprichst du von „deiner“ Zeitung. Voll Dankbarkeit jenen gegenüber, die dir die Möglichkeit bieten, zu arbeiten und deinen Lebensunterhalt zu verdienen.

In der Fabrik warst du Teil der werkseigenen Fußballmannschaft. Einige Jahre hast du dort gespielt und bist viel in Rumänien herumgekommen.
Fußball!

Deine Augen strahlen und du überschwemmst Doris und mich mit Jahreszahlen von Champions League Finali, Europapokalspielen und Weltmeisterschaften. Gerne verknüpfst du Ereignisse deines Lebens mit Pokalsiegen von Fußballmeisterschaften. Craiova hat eine berühmte Fußballmannschaft genauso wie Salzburg. Einmal bist du in der Red Bull Arena gewesen und konntest ein Spiel live miterleben. Aus deiner Erzählung ist die Freude zu spüren, die dir die Erinnerung daran bis heute bereitet. Fußball ist deine große Leidenschaft. Auch in Grödig bist du gerne am Fußballplatz. Dort am Fuße des Untersberg lebst du mit deiner Lebensgefährtin Isabell in einer kleinen Wohnung.

„Sie arbeitet als Raumpflegerin und kocht gut.“ Du lachst und fasst dir an deinen Bauch. „Es schadet nichts mehrmals am Tag zu essen! Besser als mehrmals am Tag geschlagen zu werden!“ zitierst du mit einem Augenzwinkern ein rumänisches Sprichwort.

2018 hattest du mit über hundert Kilo dein Höchstgewicht. Nach der Operation im Landeskrankenhaus waren es nur noch 70 kg. Mit Hilfe der Kochkünste von Isabell hast du wieder einiges zugenommen.

Wieder möchtest du dich bedanken, dieses Mal dafür, dass du im Krankenhaus so gut behandelt wurdest. Alle im Krankenhaus waren zuvorkommend und liebenswürdig. So wie alle in Salzburg immer freundlich und nett zu dir waren. Du nickst, um deinen Worten Nachdruck zu verleihen.
In Salzburg fühlst du dich angekommen und angenommen, nicht mehr als Fremder.

Vor deinen Kunden möchtest du den Hut ziehen.

Sie sind dir vertraut und du kennst jeden einzelnen. Manchmal machst du dir Sorgen, wenn einer von ihnen längere Zeit nicht kommt. Bis zu zehn Stunden pro Tag stehst du vor dem Sparmarkt in Itzling. Wenn du es dir gestattest, nimmst du dir ein bisschen frei und gehst in die Altstadt. Du bewunderst die Schönheit Salzburgs und fragst dich, wie es gut gehen soll, wenn jedes Jahr noch mehr Touristen kommen.

Heimweh nach Craiova hast du selten. Der Vater ist vor zehn Jahren gestorben, die Mutter hast du verloren, als du gerade dreizehn warst. Einzig deine ältere Schwester lebt noch dort und deine Exfrau und deine beiden Töchter. Du wirst mit einem Mal einsilbig und Doris hat Mühe dich zum Weitererzählen zu ermuntern.
Ihr habt jung geheiratet. Bald darauf bist du Vater geworden. Immerhin, die ersten fünfzehn Jahre waren gut. Dann habt ihr euch getrennt. Die beiden Töchter sind verheiratet und du hast zwei Enkelsöhne. Du weißt, dass es ihnen gut geht, mehr brauchst du nicht zu wissen.

Meiner Frage, ob die Trennung von deiner Frau auch ein Grund war die Heimat zu verlassen, weichst du aus.
Stattdessen erzählst du mir von deinem älteren Bruder Ionel und seiner Familie. Du hast einen wichtigen Teil deiner Familie hier und hast daher selten Heimweh. Außerdem ist die lange Fahrt nach Craiova mühsam und teuer. Zu teuer für deinen Verdienst.

Fünf Jahre möchtest du noch arbeiten und deine Zeitung verkaufen. Dann bist du 63 und hoffst in Pension gehen zu können. Deine Beitragsjahre in Rumänien reichen für eine kleine Pension und du planst dich in Craiova niederzulassen. Du schmunzelst.

„Als ich mit vierzig nach Salzburg gekommen bin, war ich alt. Jetzt mit fast sechzig bin ich wieder ein junger Mann. Das Leben in Salzburg hat mich verjüngt! Der Vater ist 76 Jahre alt geworden, ich möchte mindestens achtzig werden!“

Du spürst meinen fragenden Blick und bemühst dich, das Gesagte näher zu erklären.

„Die gute Luft und die schöne Landschaft!“. Mit einem Mal wirst du nachdenklich. Dein Blick schweift in die Ferne.

„Das Leben in Rumänien ist hart. Die allgegenwärtige Korruption vergiftet das Zusammenleben der Menschen. Es gibt keine Perspektiven und das Land liegt darnieder. Die Jungen verlassen vor allem die ländlichen Gebiete und es gibt Gegenden, wo nur noch alte Frauen leben. Vor der Wende hat das Ceauşescu Regime den 23 millionsten Rumänen gefeiert. Seither ist die Bevölkerung geschrumpft. Etwa zwei Millionen leben im Ausland. Viele in Italien wegen der Ähnlichkeit der Sprachen.“

Du bemerkst die bedrückte Stimmung und schwenkst sofort auf dein Lieblingsthema um.

Fußball und Sport. Klingende Namen kommen über deine Lippen: Helmuth Duckadam, ein ikonenhaft verehrter Tormann oder Nadia Comaneci eine Kunstturnerin, Weltsportlerin und Idol für Generationen von jungen Rumäninnen. Du kennst sie alle und Stolz schwingt in deiner Stimme mit, wenn du über die Sportidole deiner Heimat erzählst. Im nächsten Atemzug bist du um einen Ausgleich bemüht und schwärmst von den österreichischen Fußballern Krankl, Prohaska und Janko.

„Ich habe mich in Salzburg verliebt, in die Schönheit der Stadt, die Musik und die Freundlichkeit seiner Bewohner.“

Ich schaue auf die Uhr. Mehr als zwei Stunden sind vergangen und ich habe das Gefühl, du würdest gerne weiter aus deinem Leben erzählen.

„In und um Craiova leben heißblütige Menschen. Sie sind kommunikativ und offenherzig und sehen sich selbst als die Italiener Rumäniens!“

Du lächelst dein bescheidenes Lächeln als wir uns verabschieden. Ich bleibe einige Augenblicke allein zurück. Ein Sprichwort kommt mir in den Sinn: „Ein Lächeln kann eine Brücke sein.“
Ein Lächeln und eine Zeitung!

Danke Apropos!