Die stille Macht der Pauke

 

Sie ist das Instrument mit der größten Wucht im Orchester. Solopauker Michael Mitterlehner-Romm über Timing und Gesamtklang. Und warum er seine Möglichkeiten nie ganz ausspielen darf.

von Georg Wimmer

Eine Pauke kommt niemals allein. Im Kern besteht sie aus einem Metallkessel, bespannt mit Ziegen- oder Kalbsfell, das meist mit zwei Holzschlägeln gespielt wird. Seit Urzeiten lieben wir Menschen dumpfe, rhythmische Klänge, die uns in Schwingung versetzen oder gar zum Tanzen bringen. Eine gewöhnliche Trommel könnte das auch. Aber die Pauke kann mehr: Sie ist auf einen klar definierten Ton gestimmt – etwa auf ein C oder ein G. Zwei Pauken bedeuten zwei Töne, und mit zwei Tönen beginnt eine Melodie. Musikalisch eröffnet das eine neue Welt.

In Opern unterstreichen Paukenschläge besonders dramatische Momente auf der Bühne. Das Publikum ahnt: Gleich passiert etwas. Ein Gewitter rollt heran, Soldaten marschieren auf, oder jemand bricht zusammen und stirbt. Pauken künden ebenso besonders magische Momente an. Wie raffiniert sie sich beispielsweise in Verbindung mit Bläsern einsetzen lassen, zeigt Richard Strauss gleich zu Beginn seiner sinfonischen Tondichtung Also sprach Zarathustra: Tam, Tum! Tam, Tum! Tam, Tum! Tam, Tum! Nirgendwo geht die Sonne pompöser auf als hier.

Der Weg zur Pauke führt auch für professionelle Musiker nach wie vor über die Trommel. Michael Mitterlehner-Romm ist in einem kleinen oberösterreichischen Ort aufgewachsen, das Elternhaus stand eingerahmt von zwei Wirtshäusern gegenüber der Dorfkirche. Wenn am Sonntagvormittag die Blasmusik aufmarschierte und der Bub aus dem Fenster schaute, war ihm klar: So einer wie der ganz am Ende mit der Trommel will ich auch einmal werden. Das Talent dazu zeigte er mit vielerlei Alltagsgegenständen wie Löffeln und Töpfen. Im Alter von fünf Jahren, während seine Altersgenossen in die Flötenstunde mussten, schickten ihn die Eltern zum Schlagzeugunterricht. Er ging aufs Musikgymnasium, studierte am Bruckner-Konservatorium und am Mozarteum. Seit 1998 ist Michael Mitterlehner-Romm Schlagwerker und Solopauker im Mozarteumorchester Salzburg.

Nicht das Solo ist das Ideal, sondern der Mischklang

Die Anforderungen an einen Pauker (Paukerinnen sind noch selten) sind in den letzten 200 Jahren deutlich gestiegen. Seit Erfindung der Schraubenpauke kann man das Fell der Pauke mit mehreren Schrauben anziehen oder lockern. So lassen sich die Tonhöhen präzise einstellen. Zuvor war das ein eher umständlicher Prozess, für den man Haken und Schnüre verwendete. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts ermöglichte die Kurbelpauke den Wechsel der Tonhöhe per Hand mit einer einfachen Drehbewegung. Mit der Pedalpauke hat das Instrument vorläufig seinen Zenit erreicht. Seitdem kann der Pauker mit dem Fuß die Tonhöhe wechseln und hat währenddessen die Hände frei zum Schlagen. Komponisten haben diese technischen Möglichkeiten begeistert aufgenommen und setzen die Pauke viel facettenreicher ein. Sie kann jetzt gleitende Töne, sogenannte Glissandi, her-vorbringen. In der Neuen Musik wird sie schon mal als Percussion-Instrument oder mit einem Kontrabassbogen gespielt. Die Pauke ist Mittel für alle möglichen Spezialeffekte, indem etwa eine Klangschale auf dem Fell positioniert wird. Die Verwendung verschiedenster Schlägel aus Holz oder Kork über Bambus bis hin zu Metall mit Mantel aus Filz oder Flanell ist ohnehin Standard. „Die Herausforderung ist jetzt häufig, dass man bei hoher Geschwindigkeit den Ton genau trifft“, sagt Mitterlehner-Romm. Im Falle eines Stücks, das er einmal im Ensemble von Joe Zawinul bei der Ars Electronica aufführte, musste der Wechsel der Tonhöhe beispielsweise innerhalb von einer Sechzehntelnote erfolgen.

Welche Rolle der Pauke im klassischen Orchester zukommt, hängt vom Stück und vom Komponisten ab. In einem Konzert für Geigen wird man das Schlaginstrument naturgemäß sparsam einsetzen. Bei Mozart ertönen Pauken nahezu immer gemeinsam mit Trompeten. Bei Wagner oder Bruckner wiederum können Pauker so gefordert sein, dass manche schon Wochen vor der ersten Probe mit dem Armtraining beginnen. Nur so können sie die Schläge bis zum Schluss sowohl mit der geforderten Intensität als auch mit der gebotenen Eleganz ausführen. Ein Pauker hat natürlich nicht immer alle Hände voll zu tun. Die meiste Zeit heißt es wie bei allen Orchestermusikern Takte zählen bis zum nächsten Einsatz. Michael Mitterlehner-Romm hat in seinem Leben „schon Millionen Pausentakte gezählt“. Inzwischen ist er in der Lage, gleichzeitig an etwas anderes zu denken, und weiß doch genau: Ich bin jetzt beispielsweise bei Takt 157. So kann er sich während des Zählens ganz der Musik hingeben und den Kolleginnen und Kollegen gut zuhören. Das ist die Basis für das eigene Spiel.

Resonanz ist der Grund, warum Musikerinnen Musik machen

Denn den wirksamsten Effekt entfaltet die Pauke nicht im Solo, sondern im Mischklang. Der erfordert aber eine gute Abstimmung mit den anderen Instrumenten. „Wenn ich mit den Trompeten spiele, dann versuche ich, selbst wie ein Trompeter zu spielen“, sagt der 57-Jährige. Damit ich die Intervalle exakt treffe, versuche ich auch zu atmen wie ein Trompeter.“ Dabei darf er nie lauter werden als die Kollegen – obwohl er die physikalischen Möglichkeiten dazu hätte. Besonders in einem engen Orchestergraben, wo die Trompeter vor ihm die Felle der Pauken im Nacken spüren, ist Zurückhaltung angesagt. Das gebietet schon die Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit der Kollegenschaft.
Erschwert wird die Arbeit der Orchestermusikerinnen durch den Umstand, dass die Instrumente auf bis zu 30 Meter Entfernung verteilt sind. Die Pauken stehen ganz hinten rechts. Damit alles als harmonisches Zusammenspiel wahrgenommen wird, so Mitterlehner-Romm, müssen seine Schläge „eine Tausendstelsekunde zu früh“ erfolgen. Eine weitere Herausforderung: Der Pauker weiß, dass das Publikum jeden Schlag anders wahrnimmt als er selbst. „Der Aufschlag auf das Fell klingt für mich immer hart.“ Mit zunehmender Entfernung wird die Resonanz weicher.

Resonanz in der Musik, das ist für Mitterlehner-Romm eine Art von Raumklang. Das Zusammenwirken von Material, Musikern und Raum. Über ihre Instrumente wissen die Musikerinnen bestens Bescheid, neue Spielorte lassen sich dagegen schwer einschätzen. Deshalb gibt es an jedem Spielort für das Orchester eine Akustikprobe. Resonanz, das ist für Mitterlehner ebenso die Reaktion des Publikums. Das kann die hochkonzentrierte Stille im Konzertsaal sein, in der selbst ein Kranker nicht mehr zu husten wagt. Resonanz kann ebenso ein verhaltener Applaus sein, oder im Idealfall ein stürmisches Klatschen, das von Bravo-Rufen begleitet wird. Resonanz ist der Grund, warum Musiker Musik machen. Michael Mitterlehner-Romm hätte nichts dagegen, wenn schon nach einem Satz oder einem Akt ein Zwischenapplaus käme, was beim altgedienten Konzertpublikum allerdings verpönt ist. Aber vielleicht sind auch in Sachen Publikumsresonanz noch Entwicklungen möglich.