Von Zauberern und Hexen

 

Der Jackl, die Hexen und das Teuflische: Ganz dunkler Punkt in Salzburgs Geschichte oder bloß noch Stoff für Sagen und Erlebnisschauen? Gedanken über Aktuelles und den Staub von 340 Jahren.

 

von Wilhelm Ortmayr

 

Am Ende waren es 167 Tote. Nur den Zauberer Jackl selbst konnte man nie finden. Dabei war wegen ihm, dem 20-jährigen Jakob Koller, das schwerste Hexen- und Zaubererpogrom auf Salzburger Boden überhaupt erst in Gang gekommen. In Wahrheit freilich war die Verfolgungswelle wohl nicht zufällig ein blutiger Feldzug gegen Bettler und andere Menschen am Rand der Gesellschaft, betrieben von eifrigen Justizbeamten, gebilligt vom Erzbischof und sehr genährt von einer Bevölkerung voller Aberglauben und Zukunftspessimismus, der nach Schuldigen suchte.

Die Prozesslawine begann mit Barbara Koller, Jakobs Mutter. Sie war Abdeckerin (Beseitigerin von Tierkadavern) im Raum Werfen und damit Angehörige einer sozial geächteten Gruppe. 1675 wurde sie nach einem Opferstockdiebstahl in Golling unter Hexereiverdacht festgenommen. Unter Folter gestand sie, eine Hexe zu sein, und wurde in Salzburg hingerichtet. Ihr Sohn tauchte unter und wurde zum Mythos, vor allem weil man seiner nie habhaft werden konnte, egal wie weit man das Kopfgeld auch erhöhte.

Angeblich hatte der Jackl eine größere Gruppe von Bettelkindern in einer „Blutsgemeinschaft“ um sich geschart, andere Erzählungen ranken sich um teuflische Wiedertaufen, die Verwandlung in einen Wolf und die Fähigkeit, aus Holzspänen Mäuse zu machen. Hexensabbate und Hostienschändungen gehörten ebenso zum gängigen Vorwurfsritual gegen angebliche Zauberer und Hexen, das Herbeiführen von Missernten, Unwetter, Tierfehlgeburten oder Feuersbrünsten sowieso.
„Hast du den Zauberer Jackl gekannt?“ lautete daher nicht umsonst stets die erste Frage Sebastian Zillers, der in den Salzburger Prozessen Ankläger und Richter zugleich war. Dies war ebenso üblich wie die Anwendung der Folter, von der man sich versprach, dass dadurch der Teufel (also die Besessenheit) aus dem Angeklagten getrieben werden könne und dieser die reine Wahrheit sage. Tatsächlich kamen einige Angeklagte frei, weil sie trotz härtester Folter nichts gestanden. Man sah dies als Indiz, dass einer nicht vom Teufel besessen (also nicht mit ihm im Bunde) war. Die Schmerzen müssen unbeschreiblich gewesen sein. Nicht umsonst sagten die meisten Verdächtigen schon beim Anblick der Folterwerkzeuge, was die Anklage von ihnen erwartete. Das verkürzte das Martyrium.

Folter, Hexenjagden und Pogrome waren in Europa bis ins frühe 18. Jahrhundert keine Seltenheit, weder in katholischen Gegenden noch in protestantischen. Sie kamen in kleinen Herrschaftsgebieten wie Salzburg öfter vor als in großen Fürstentümern, in Krisenzeiten häufiger als in Phasen der Prosperität. Auffallend an den Salzburger Verfolgungen ist, dass die Ermordeten meist männlich und sehr jung waren, die Hälfte im Teenageralter. Was hingegen auch bei anderen Pogromen am ganzen Kontinent vorkam: Überproportional oft handelte es sich bei den Getöteten um mittellose Personen aus dem Landstreicher- und Bettlermilieu. Genau diese Gruppe nämlich wollte man vielerorts loswerden. Die Obrigkeit, um ihre Macht zu legitimieren, die Bevölkerung, um lästige „Mitesser“ und lebendige „Beweise“ des materiellen Niedergangs auszulöschen.

Fritz Messner, Mastermind der Lungauer Querschläger, hat sich mit seiner Band und der Theatergruppe Mokrit schon im Jahr 2004 der sozialen Problematik dieser Zeit angenommen. Die „Bettlerhochzeit“ handelt von exakt jener Gruppe verarmter junger Menschen, die durch die wirtschaftliche Krise nach dem Dreißigjährigen Krieg und den Niedergang des Silberbergbaus an den sozialen Rand gedrängt wurden. „Als solche waren sie auch für die Regierenden unangenehm, weil am immer häufigeren Auftauchen von Bettlern für alle sichtbar wurde, dass die Zeiten schlecht waren und die Herrscher vielleicht doch nicht so fähig“, resümiert Messner den sozialen Background der Jackl-Prozesse.

Dem „Zauberer Jaggl“ selbst hat Messner ein eigenes Lied gewidmet, das gut abbildet, wie sich das Jackl-Bild in der innergebirglichen Volksseele sehr bald verschoben hat. Er ist in den Sagen, vor allem im Lungau, nach wie vor präsent, doch meist als „Guter“. Schrecken oder Grauen löst er ebenso wenig aus wie das Schicksal seiner Leidensgenossen noch für Betroffenheit sorgt. „Der Jaggl ist zum Helfer der Verzweifelten, der Armen und der zu Unrecht Beschuldigten geworden, eine Art Schutzpatron für Außenseiter und Ausweglose“, schildert Messner. Auch die Teilnehmer der „Bettlerhochzeit“ wenden sich flehend an ihn, den Unauffindbaren, als sie in die Fänge der erzbischöflichen Hexenjäger geraten.
Nun freilich widmet sich auf Burg Hohenwerfen eine „spannende Sonderausstellung“ (so der Pressetext) den „Zauberern und Hexen in Salzburg“. Die Schau lief schon 2020 und wurde zu einem Besuchermagnet. „Auf insgesamt vier Ebenen des historischen Zeughauses tauchen Besucher in die Welt der Hexen und Zauberer ein … Die Ausstellung fasziniert und fesselt mit authentischen und zum Teil gruseligen Exponaten, Multimedia-Installationen und märchenhaften Figuren.“ Und als Draufgabe spricht zu den den Besuchern eine leibhaftige „Barbara Koller“, die man „als Hexe verdächtigt, verfolgt und eingesperrt hat“. So weit der weichgespülte Werbetext, die Schau selbst geht etwas sensibler um mit dem Geschehenen.
Und dennoch: Die Hexenprozesse, das Bettlerpogrom als mystisches Familienevent in Ausstellungsform? Das macht nachdenklich. Kann man sich, darf man sich einem Verbrechen so nähern, wenn 340 Jahre den Schrecken der Betroffenheit verwischt haben? Wird auch der Holocaust im Jahr 2300 tauglich sein für ein Disney World?

Wer sich dem heiklen Thema der „Zauberbubenprozesse“ näher widmen möchte (vielleicht oder gerade, um die Ereignisse mit Kindern aufzuarbeiten), kann mittlerweile aus dem Vollen schöpfen. Das verdanken wir primär Heinz Nagl, der im Jahr 1966 eine Dissertation veröffentlichte, für die er wirklich alle zum Thema vorhandenen Akten und Korrespondenzen aus dem 17. Jahrhundert aufgearbeitet hatte. Auf dieser Forschung baut eigentlich alles auf, was später publiziert wurde – egal ob wissenschaftlich oder künstlerisch. Auch Felix Mitterer schreibt in seiner Autobiografie, erst Nagls Werk habe ihm das Schreiben seines Stückes „Die Kinder des Teufels“ ermöglicht.

Heute ist lediglich Nagls Beurteilung der Rolle des Erzbischofs umstritten – verbunden mit der wichtigen Frage, inwieweit die Pogrome konzeptiv geplant, gezielt gegen Bettler gerichtet und von oberster Stelle initiiert worden waren. Der Salzburger Journalist und Sachbuchautor Wolfgang Fürweger bejaht in seinem auch für Nichthistoriker gut lesbaren Buch „Verbrannte Kindheit“ (2015) diese Frage. Heinz Nagl hingegen war vom Gegenteil überzeugt: Es ging den Anklägern um Hexerei und Zauberei. Dass die Hingerichteten fast allesamt Bettler und jugendlich gewesen seien, liege einzig und allein an der Zielperson Jakob Koller, dem Zauberer Jackl.

Es ist eine akademische Debatte und (wie Fürweger richtig schreibt) eine zynische obendrein. Denn für die 167 Ermordeten und die noch mehr Gefolterten und Eingesperrten war es egal, ob man sie quälte und tötete, weil sie Bettler waren oder weil man sie tatsächlich für Zauberer und Hexen hielt, die mit dem Bösen im Bunde standen. Ihr Tod war „grausam und unnötig“.
Macht er uns heute noch betroffen? Heute, wo wieder Bettler in Salzburgs Städten sitzen … und die Zeiten, so hört man, wieder rauer, unruhiger, wirtschaftlich schlechter werden …?