Die Hausbank im Klostertal

 

von Katharina Eigner

Es dauert ein bisschen, bis Ciprian aus seinem Leben erzählt. Der Apropos-Verkäufer und ich treffen einander in der Lounge des Hotels Auersperg. Ein Fotograf huscht beinahe unsichtbar um uns herum, ein Kellner bringt Getränke, die Dolmetscherin sucht nach dem idealen Sitzplatz. Mit meinen ersten Fragen pralle ich ab; Ciprians Antworten kommen einsilbig und verhalten. So geht es nicht, denke ich. Also suche ich nach Gemeinsamkeiten. 

Aus welchem Teil Rumäniens er kommt, will ich wissen. 

„Aus Valea Mănăstirii.“ Tal des Klosters. 

„Klostertal!“, nicke ich. „Das gibt es in Österreich auch!“ 

Ciprian taut ein bisschen auf. Das rumänische Klostertal ist allerdings fast 1300 Kilometer von Salzburg entfernt, erklärt er mir. 1300 Kilometer, die er zurücklegen muss, um seine Familie zu sehen. Um das winzige Dorf in der Region Siebenbürgen zu erreichen, sein Zuhause. 

Kein leichter Weg, für den sich Ciprian entschieden hat. Seit vier Jahren ist er Apropos-Verkäufer, pendelt zwischen Salzburg und Rumänien. Ciprian schickt jeden verdienten Euro nach Hause und sieht seine Familie nur alle paar Wochen. 

Was sein Traumberuf war, frage ich ihn. Der berufliche Plan A sozusagen. Eigentlich wollte Ciprian Automechaniker werden, hat als Jugendlicher in der Werkstatt im Dorf ausgeholfen. Die Arbeit hätte ihm gefallen, aber der Schulabbruch hat ihn die Chance auf eine Lehre gekostet. Ciprian wurde früh Vater und musste eine Familie ernähren. Ein Plan B musste her. 

Es ist wie überall auf der Welt: Ohne Schulabschluss sind die Möglichkeiten begrenzt. Dazu ist Valea Mănăstirii wirtschaftlich weit ab vom Schuss. Pitesti, die nächstgelegene Kleinstadt, ist nicht viel besser. Ein Bekannter vermittelte Ciprian Arbeit. Er verdingte sich auf Baustellen in Deutschland, bis ein Arbeitsunfall alles veränderte. Der erste Wendepunkt, einer von vielen. Ciprian erzählt vom gebrochenen Arm, mit dem er nach Hause geschickt wurde. Von seiner Operation in Rumänien, die viel zu spät erfolgt ist. Von verletzten Nerven und seiner kraftlosen rechten Hand.

Aber Kraft, sagt Ciprian, kommt nicht nur aus den Händen. Kraft kommt von Gott und vom Leben für die Familie. 

Erzähl mir von deiner Familie, bitte ich ihn. Zum ersten Mal lächelt Ciprian und zeigt mir Fotos: von seinem Sohn, der Friseur werden möchte, und dem Kleinen, gerade einmal sieben Monate alt. Das nächste Bild zeigt Ciprians Haus, und seine Miene verfinstert sich wieder. Das Haus, in dem er und seine drei Geschwister aufgewachsen sind, ist seit ein paar Wochen eine Brandruine. Leer, verkohlt und unbewohnbar. Das Feuer brach in einer Nacht aus, als Ciprian zu Hause war. Brandgeruch hat ihn geweckt, erzählt er. 

„Alle haben geschlafen, ich wusste nicht, wen ich zuerst retten soll.“ Er schüttelt den Kopf. „Meinen Bruder, der querschnittgelähmt ist? Die Kinder? Oder meine Frau?“ 

Wie durch ein Wunder haben es alle ins Freie geschafft, niemand wurde verletzt. Warum das Feuer ausgebrochen ist, bleibt ein Rätsel, aber das spielt auch keine Rolle. Es gibt keine Brandermittler, keine Feuerwehr, keine Versicherung, die für den Schaden aufkommt. Die Löschversuche der Nachbarn waren erfolglos, von Ciprians Zuhause ist fast nichts mehr übrig. Bereits vor dem Brand hat Ciprian sein Erspartes ins Haus gesteckt, wollte das Dach erneuern. Jetzt muss er wieder bei null anfangen.

Einstweilen sind seine Frau und die beiden Kinder bei einer Tante im Ort untergebracht. Zehn Personen in zwei Zimmern, Pflegefall inklusive. Eine Belastungsprobe für alle Beteiligten. „Das muss sich ändern“, sagt Ciprian. Ob er sich einen Neubeginn irgendwo anders vorstellen könne, frage ich ihn. Jetzt, wo sein Zuhause nicht mehr existiert, ihn eigentlich nichts mehr hält in Valea Mănăstirii. Aber Ciprian schüttelt energisch den Kopf. Er ist fest entschlossen, sein Elternhaus wieder bewohnbar zu machen. Das sei er seinem Vater schuldig. „Er hat mir vor sechs Jahren das Haus überschrieben, bevor er gestorben ist. Ich MUSS es wieder aufbauen.“ 

Schon wegen seines Bruders, für den er sorgen muss. Wenn Ciprian in Österreich ist, übernimmt seine Frau die Pflege. Dafür und für den Wiederaufbau braucht er jeden Cent. Ciprian ist mit der Zeitung in der Stadt unterwegs, im Andräviertel und in Mülln. Einen festen Standplatz hat er nicht, aber er ist dankbar für die Chance, Apropos-Verkäufer zu sein.

Was er besonders an seiner Heimat liebt, will ich noch wissen. Und dann erzählt Ciprian von der Hausbank. Davon, dass er schon mit seinem Vater dort gesessen ist. Von Abenden, an denen er mit seiner Frau dort sitzen möchte und vielleicht mit seinen Kindern, wenn alles wieder ist, wie es war. In Österreich gibt es auch Hausbänke, sage ich, und Ciprian lächelt.