Der Stress mit dem Urlaub der Anderen
Jeder ist Gastgeber, jeder Reisender. Dennoch sinkt allerorten das Verständnis für die Lebenswelt des Gegenübers, weil die Dimensionen überbordend werden. Gefragt sind Fachleute und der Gestaltungswille der Politik.
von Wilhelm Ortmayr
Manchmal sehne ich mich nach den Lockdowns zurück und nach den Monaten der Pandemie. Zum Beispiel wenn ich über den Marko-Feingold-Steg gehe oder vom Bürgerspital zum Waagplatz. Im Gewusel der Getreidegasse befallen mich regelrechte Schübe einer Krankheit, die sich derzeit den Weg durch halb Europa bahnt: Ich leide an Overtourism.
Die Innenstadt ist mein Lebensraum, dort wohne ich. Der tägliche Slalom (im Winter Riesentorlauf) zwischen Gästen aus allen Teilen der Erde ist kein Thema mehr, den nehme ich längst sportlich. Weit mehr stören mich die sommerlich leger bekleideten Gebieter, denen ihre vom Scheitel bis zur Sohle zwangsverhüllten Frauen stets zwei Schritte hinterhertrippeln müssen. Übertourismus hat auch eine kulturelle Dimension.
Für meine Freunde in Parsch, Schallmoos oder Lehen hingegen existiert das Problem überhaupt nicht, es sei denn Sommer und Regen treffen zusammen. Dann sprechen sie von einem Verkehrschaos, das umgekehrt ich, der Fußgänger, nicht kenne. Für die Kaufleute der Riedenburg und Maxglans hat diese Misere hingegen nichts mit zu vielen autofahrenden Touristen zu tun, sondern nur mit dem Fehlen einiger tausend Parkplätze im Mönchsberg. Übertourismus ist auch eine Frage der Sichtweise.
„Zu viel“ ist relativ
Tatsächlich ist das Phänomen „Overtourism“ weder klar definierbar noch eindeutig zu quantifizieren. Auf jeden Stadtsalzburger kommen in etwa 0,1 gewerbliche Gästebetten und 20 touristische Nächtigungen pro Jahr. Der Tourismus erwirtschaftet im Jahr eine gute Milliarde Euro. Das sind rund zehn Prozent der regionalen Wirtschaftsleistung, der Anteil der im Tourismus Beschäftigten ist etwa gleich hoch. Fremdenverkehr ist somit ein wichtiger Wirtschaftszweig, aber längst nicht der ökonomische Herzschlag der Stadt. Fachleute sprechen von einer gesunden Struktur. Und dennoch wird, wenn von Overtourism die Rede ist, in Österreich gerne Salzburg in einem Atemzug mit Hallstatt genannt.
Zum Vergleich: In Saalbach-Hinterglemm kommen auf jeden Bürger 792 Nächtigungen und 6,0 Gästebetten. Und trotzdem meint der Glemmtaler: „A wench mehr geht oiwei.“ Der Fremdenverkehr hat das Tal reich gemacht und ernährt es bis heute bestens. Das möge bitte unbedingt so bleiben.
Das große Geschäft – nur nicht mit allen
Die Tourismusbranche schwebt nach dem Covid-Tief wieder auf einer weltweiten Wachstumswelle und alle Zeichen stehen auf Expansion. Mehr Flüge, mehr Hotelbetten, mehr Reiseveranstalter – man hat das Gefühl, auf den jähen pandemiebedingten Einbruch ist im gesamten Sektor eine Art Goldgräberstimmung ausgebrochen. Dabei ist die Spitze noch lange nicht erreicht. Die Märkte China und Japan schwächeln noch leicht, Indien beginnt erst mit dem großen Wachstum. Befeuert durch viel zu niedrige Flugpreise werden schon demnächst überall die touristischen Allzeitrekorde purzeln. Nicht ganz zufällig wird am Salzburg Airport gerade jetzt der große Ausbau geplant.
Doch auch nicht zufällig bahnen sich gerade heuer vielerorts Protestwellen den Weg. Der überbordende Massentourismus wird in Städten wie Venedig, Malaga, Barcelona oder Dubrovnik zunehmend abgelehnt, denn er schafft – in individuell unterschiedlicher Wahrnehmung – eine Vielzahl realer Probleme und Interessenskonflikte, wie Inga Horny, die Präsidentin des Dachverbandes Stadtmarketing Austria, jüngst in einem Fachmagazin ausführte: Umweltbelastung, soziale und infrastrukturelle Belastung, der Verlust alltäglicher Einkaufs-Infrastruktur, hohe Preise für Dienstleistungen, kulturelle Erosion, Kapazitätsprobleme, zu hohe saisonale und räumliche Konzentration sowie Wohnungsprobleme bringen die Gefahr mit sich, dass der Widerstand gegen Touristen wächst. Vor allem gegen jene, die „wenig Geld dalassen“.
Der durchschnittliche Salzburg-Gast, der hier übernachtet, gibt 230 Euro pro Tag aus, der Festspielgast sogar 414 Euro. Der Tagestourist hingegen gerade mal 35. Doch auch hier müsse man differenzieren, warnen die Tourismusmanager vor überschnellen „Aussperrungen“, etwa durch hohe „Eintrittspreise“ für gewisse Destinationen. Denn Tagesgast ist nicht gleich Tagesgast. Unzählige Sightseeing-Gruppen von Asiaten oder Südamerikanern lassen tatsächlich keinen müden Cent in der Mozartstadt. Gäste, die im Salzburger Land urlauben, sorgen hingegen erstens dort für hohe Wertschöpfung und sie geben auch in der Stadt spürbar mehr aus als der Bustourist.
Es gibt kein Patentrezept
So unterschiedlich sich „als überbordend empfundener Tourismus“ darstellt, so wenig gibt es Patentlösungen zu seiner Vermeidung. Auch Salzburgs Stadtpolitik hat kein Allheilmittel parat. Aber man dreht doch zunehmend an den richtigen Schrauben und beherzigt, was Fachleute raten. Der Stopp für größere Hotelbauten war ein dämpfender Schritt. Auch der Zeitslot für Reisebusse an den beiden Terminals (Paris-Lodron-Straße bzw. Nonntal), der im Vorfeld über ein Online-Reservierungssystem gebucht werden muss, zeigt Wirkung. Die Zahl der Busse ging zurück und die Busgruppen werden zeitlich und räumlich gleichmäßiger verteilt als früher. Zudem hat die stadteigene Tourismus Salzburg GmbH (TSG) ein Angebot für die autofahrenden Tagestouristen geschnürt und dieses intensiv kommuniziert: pro Pkw um fünf Euro am Messeparkplatz parken und per Direkt-Shuttle zum Hanuschplatz und retour. Nun hofft man auf die Vernunft der Tagestouristen.
Nicht zuletzt raten alle Fachleute den Touristikern und Politikern dazu, viel intensiver sowohl mit den Bürgern als auch mit den Gästen zu kommunizieren. Die TSG macht das bereits recht erfolgreich über Befragungen unter Hotelgästen (online wie analog) oder bei den immerhin fast 260.000 Käufern der Salzburg Card, der All-Inclusive-Karte für Salzburg-Gäste. 2023 wurde schon jede dritte Karte digital ausgestellt (Handyticket), die jeweiligen Käufer sind somit „gut erreichbar“.
Bis Ende Juli lief zudem eine großangelegte Befragung, zu der gleichermaßen die einheimische Bevölkerung, Gäste und die Tourismusbranche selbst eingeladen waren. Dabei konnte jeder mitteilen, wie er das touristische Angebot Salzburgs sieht, wo er Stärken und Schwächen ortet, wo man Probleme sieht und wohin die Entwicklung gehen sollte. Die Untersuchung, die derzeit in Auswertung ist, wird begleitet von einem sehr breiten Diskussionsprozess, der schon seit Monaten im Gange ist.
Er soll letztlich in die „Tourismusperspektive Salzburg 2040“ münden. Die Stadt sucht eine „Strategie für ganzheitlichen Qualitätstourismus“, erklärt TSG-Sprecherin Martina Trummer. Man wolle die Marken- und Positionierungsstrategie Salzburgs neu definieren – Zielrichtung: nachhaltige Premium-Destination. „Das besondere Augenmerk liegt darauf, sämtliche Akteure, also Stakeholder, Bevölkerung, Politik und Gäste, auf einen gemeinsamen Weg zu vereinen. Das hat es in dieser Form in Salzburg noch nicht gegeben“, so Trummer.
Regeln durch Regieren
Was dann noch fehlt, ist der politische Wille, im eigenen Bereich die Hausaufgaben zu machen: Die Stadt benötigt ein schlüssiges und gut umsetzbares Verkehrskonzept, auch für den Tourismus. Ein solches ist leider auf Jahre nicht zu erwarten. Und Salzburg muss auch den Einfluss des Tourismus auf das Thema Wohnraum sehen. Airbnb listet aktuell etwa 600 mietbare Wohnungen in der Stadt Salzburg auf, andere Zählungen sprechen von 800, ja sogar 1000 Wohnungen, die ganzjährig für touristische Zwecke vermietet werden. Dazu kommen Hotelprojekte, die Wohnraum verdrängt haben, sowie Ferienwohnungen, von denen längst nicht alle „legalisiert“ worden sind. Zu groß ist die Zahl der Schlupflöcher, zu gering der Wille der öffentlichen Hand, den Dingen wirklich auf den Grund zu gehen. Verabsäumt man es, diese Problemfelder in Angriff zu nehmen, wird der Gast Sündenbock bleiben – für hohe Mieten und oftmaligen Stau.