Der große Traum von Octavian

 

von Elke Laznia

Eine alte Legende – und ein neues Opfer

Octavian Tinca verkauft Apropos beim Obi in der Karolingerstraße – und träumt von einem kleinen Haus in Rumänien. Dafür zahlt er einen hohen Preis.

Im Süden Rumäniens, im Kreis Argeș, steht ein Kloster, das seit Jahrhunderten Menschen anzieht – nicht nur wegen seiner Schönheit, sondern auch wegen der Legende, die sich um seinen Bau spinnt. Sie erzählt von einem Baumeister, Manole, der eine prächtige Kathedrale errichten wollte. Doch alles, was er tagsüber baute, stürzte nachts wieder ein. Verzweifelt betete er um Hilfe. Im Traum sprach eine Stimme zu ihm: Nur wenn er das erste Wesen, das ihn am Morgen begrüße, lebendig einmauere, werde das Bauwerk Bestand haben. Manole hoffte auf seinen Hund. Doch es war seine Frau, die ihn am Morgen begrüßte. Und so vollendete er das Kloster – unter großem Schmerz und persönlichem Verlust.

Diese Legende kennt auch Octavian Tinca. Er wurde 1988 in der Nähe dieses Klosters geboren. Er spricht nicht davon, wenn man ihm begegnet – und doch scheint sie in seinem Leben mitzuschwingen. Denn auch er baut. Und auch er bringt Opfer.

Zwischen Salzburg und Oeștii

Wer im Obi in der Karolingerstraße einkauft, hat ihn vielleicht schon gesehen: einen ruhigen Mann mit freundlichen Augen, ein Apropos in der Hand. Kein aufdringlicher Verkäufer, sondern jemand, der da steht – mit Haltung, mit Geduld. Manchmal aber auch mit einer gewissen Unruhe. Wenn zwei, drei Stunden kaum jemand stehen bleibt, zieht es ihn fort, dann muss er ein paar Schritte gehen, sich bewegen und durchatmen.

Octavian ist seit drei Jahren bei der Straßenzeitung, verkauft sie mit Ausdauer und Stolz. Drei Monate darf er jeweils in Salzburg bleiben, dann muss er zurück nach Rumänien, zu seiner Familie. Endlich! Seine Frau Raisa ist 25 Jahre alt, die gemeinsamen Kinder heißen Ioan (7), Emanuel (4) und Damaris (1). Dazu kommt Rafael, 15, sein Sohn aus erster Ehe.

Sie leben in einem kleinen Raum mit angeschlossener Küche, einer Art Ausgedinge auf dem Grundstück seiner Eltern in Oeștii. Fünf Menschen, ein Raum, ein Bett. „Wir haben gemeinsam nur ein Bett, in dem wir alle fünf schlafen“, sagt er. „Aber wir sind gern zusammen.“ Und das ist für ihn das Wichtigste – dass sie alle beieinander sind.

Der Traum vom Haus

Octavian will ein kleines Haus auf dem elterlichen Grundstück bauen. Der Platz wäre da, und einen Teil der Baumaterialien hat er bereits. Für das Fundament bräuchte er allein 19 m3 Beton – eine gewaltige Aufgabe für jemanden ohne geregeltes Einkommen. Sein Schwiegervater, kein gelernter Maurer, aber erfahren, will helfen.

Es fehlt nur an zwei Dingen – an Zeit und an Geld.

Denn in Rumänien verdient man kaum mehr als 300 Euro im Monat. „Das reicht nicht zum Überleben“, sagt Octavian. Seine Frau arbeitet nicht, weil die Kinder noch zu klein sind und ihre Mutter brauchen. Das Kindergeld ist gering, die Ausgaben bleiben. Also fährt er nach Salzburg – auch wenn es ihm jedes Mal schwerfällt, die Familie zu verlassen. „Meine Kinder fragen jeden Tag, wann ich wiederkomme“, sagt er. Dann wird er still.

Stark, aber nicht unverwundbar

Octavian ist niemand, der jammert. Er spricht ruhig, überlegt, bedacht, lächelt viel. Zeigt Fotos seiner Familie. Die kleine Damaris ist sein ganzer Stolz. „So süß, sie fängt gerade an zu sprechen“, sagt er. Seine Augen strahlen. Doch manchmal kommen ihm die Tränen. Nicht aus Schwäche, sondern aus Erschöpfung. „Manchmal weine ich. Wegen des Stresses, der Sorgen, des Alleinseins.“

Sein Auto, mit dem er meist anreist, ist gerade kaputt. Wie er zurück nach Rumänien kommen soll, weiß er noch nicht. Aber zurück muss er – denn dort ist seine Familie, und dort kann er das Auto notdürftig reparieren.

„Wenn es nicht so wichtig wäre“, sagt er, „würde ich meine Familie nicht allein lassen.“

Mit zwei Händen, die zupacken können

Manchmal ist er für andere Menschen eine echte Hilfe. Eine über 90-jährige Dame in Salzburg hat er bei unterschiedlichen Arbeiten unterstützt. Anfangs hatte sie Angst – was, wenn er ihr etwas antut, wenn etwas fehlt, wenn er sich etwas nimmt? Octavian sagte nur: „Du wirst es vielleicht nicht sehen. Aber Gott sieht es.“ Seitdem ist Vertrauen da und sie sind befreundet. Sie liest in der Bibel, die auch ihm so wichtig ist.

Octavian hat keinen gelernten Beruf, nur sieben Jahre Schule. Aber er kann anpacken. Rasen mähen, jäten, kleine Reparaturen, Hilfe beim Bauen. „Ich arbeite gern“, sagt er. Wer Hilfe braucht, kann ihn einfach ansprechen. Und wenn er etwas nicht kann, lernt er es – schnell und zuverlässig.

Natürlich gibt es einen großen Nachteil: Ohne festen Wohnsitz ist es schwer, offiziell Arbeit zu finden. Momentan übernachtet Octavian in einer Garage. Er spricht nicht viel darüber. Er schämt sich nicht – aber es macht ihn müde.

Glaube, Liebe, Hoffnung

Der Glaube ist Octavians Halt, die rumänisch-orthodoxe Kirche sein Zuhause. Eine Zeitlang war er sehr engagiert in der kirchlichen Gemeinschaft, doch seine Frau sagte: „Du bist zu oft dort.“ Sie wollte, dass er mehr bei der Familie ist. Jetzt betet er allein, liest in der Bibel und verbringt weniger Zeit in der Kirche – aber die Bedeutung bleibt. „Der Glaube hält mich am Leben.“

Seine Frau hat er über Familienkreise kennengelernt. Sie ist fleißig, ehrlich, liebt die Kinder.

„Ich würde nie fremdgehen“, sagt er. „Ich bring das Geld nach Hause. Für sie mache ich das alles.“

Wie er sich einen schönen Abend vorstellt? „Mit der Familie, den Kindern. Einen Film schauen. Spielen. Lachen.“

Der Kontakt zu seinem ältesten Sohn ist ihm ebenfalls wichtig. „Er redet nicht viel. Aber ich versuche, für ihn da zu sein.“

Ein Opfer für etwas Bleibendes

Vielleicht ist es kein Zufall, dass Octavian in der Nähe jenes Klosters geboren wurde. In seiner Geschichte schwingt etwas von der alten Legende mit: der Wunsch, etwas Bleibendes zu schaffen, ein Zuhause. Und der Preis, den man dafür zahlt.

Er würde nicht mehr nach Salzburg kommen, sagt er, wenn er in Rumänien genug verdienen könnte. Wenn es gelingt, das Haus zu bauen – dann hätte er das, wofür er so hart arbeitet. Ein Dach über dem Kopf. Für seine Familie. Und ein wenig Ruhe. Er sehnt sich nach einem guten, gemeinsamen Leben.

Wenn Sie Octavian treffen – beim Obi, an einem Vormittag, an einem grauen oder sonnigen Tag –, dann halten Sie kurz inne. Brauchen Sie eine Zeitung? Oder einfach die Begegnung mit einem Menschen, der viel zu erzählen hat – von Sorgen und Träumen, vom Arbeiten und Lieben, und vom Glück, eine Familie und einen Glauben zu haben.