Das letzte Puzzlestein zum Glück

 

von Eva Daspelgruber

 

Rund fünfzig Menschen befanden sich auf der offenen Ladefläche des Lastwagens, der in Richtung Libyen fuhr. Plötzlich entstand Aufregung. Kidnapper waren hinter ihnen her und der Fahrer musste Gas geben und versuchen, ihnen zu entkommen. Immer schneller und schneller fuhr er, die Menschen hinten hatten große Angst und keine Möglichkeit, sich irgendwo festzuhalten. Unter ihnen Eki, die ich erst vor ein paar Minuten kennenlernte und die mir heute ihre Geschichte erzählt. Sie ist noch immer dankbar, diese Fahrt überlebt zu haben. Ein Glück, das nicht alle ihrer Begleiter*innen hatten. Aufgrund der Turbulenzen fielen einige von der Ladefläche und verendeten vermutlich in der Wüste, so meine Gesprächspartnerin.

Sie hatte sich erst kurze Zeit zuvor auf den Weg begeben. Verlassen vom Vater ihres Sohnes, ohne finanzielle Mittel und Zukunftsperspektiven machte sie sich auf nach Europa. Andernfalls hätte sie sich vermutlich einen Strick gekauft, erzählt sie. Wir führen das Interview auf Englisch, einer Sprache, in der sie sattelfest ist. Ihre Muttersprache ist eigentlich Edo, merkt sie an, jedoch lernen alle aufgrund der Vielzahl an Sprachen in ihrem Herkunftsland Englisch.

Mit mehr als fünfzig Personen verbrachte sie in Libyen ihre Zeit in einem einzigen Raum, bevor sie sich mit anderen auf ein Boot begab, das sie nach Italien und somit Europa bringen sollte. Um acht Uhr abends verließ das Gefährt die Küste. In den frühen Morgenstunden wurden die mehr als hundert Reisenden aufgefordert, ihre Schwimmwesten auszuziehen und damit in Richtung eines auftauchenden Helikopters zu winken. Erst um zehn Uhr vormittags, also nach mehr als zwölf Stunden im Boot, erreichte ein Rettungsschiff die Menschen. Für Eki war klar, dass Schwangere und Kinder den Vortritt haben sollten. Das sahen nicht alle so. Große Unruhe entstand, weil viele plötzlich unter den Ersten sein wollten, die auf das sichere Schiff gelangten. Das führte unglücklicherweise dazu, dass das Boot kippte und einige Personen ertranken, darunter ein Baby.

Zwei Tage verharrten die Menschen am Schiff, eine Frau bekam Wehen und wurde ins Krankenhaus gebracht. In Italien angelangt, verbrachte Eki sechs Monate in einem Camp in Genua, wo es immer wieder Streitigkeiten unter Bewohnern gab. Das Ganze ging so weit, dass die Menschen gebeten wurden, das Camp zu verlassen, bevor die Polizei eintraf und einige Bewohner festnahm. Die junge Frau reiste dann zu einer Bekannten in die Hauptstadt, bevor sie sich wenig später auf den Weg nach Österreich begab, wo sie eine Freundin in Wien kontaktierte und einen Asylantrag stellte.

Die Behörden teilten ihr allerdings mit, dass Italien für sie zuständig >>
sei. In der Zwischenzeit hatte sie jemanden kennengelernt. Er war ein Kunde, der immer bei ihr die Straßenzeitung kaufte und sie schließlich zum Kaffeetrinken einlud. Die beiden wollten heiraten, was aber in Österreich nicht möglich war und nach Italien verlegt werden musste.

Dort erwarb sie auch ihre ersten Kenntnisse in Lesen und Schreiben, was ihr in Nigeria verwehrt geblieben war. Nur die Brüder hatten dort eine Schule besucht, Mädchen würden ohnehin heiraten und dann Kinder bekommen, Bildung sei da nicht unbedingt notwendig, hieß es dort. Sie absolvierte erfolgreich Sprachprüfungen sowohl in Italienisch als auch in Deutsch.

Darüber hinaus musste die Nigerianerin für eine Aufenthaltserlaubnis in Österreich fehlende Dokumente nachreichen und dazu noch einmal in ihr Herkunftsland reisen. Das erfüllte sie mit großer Sorge, da sie nicht sicher war, wieder zurückkehren zu können. Aber alles ging gut, nach zwei Wochen Wartezeit erreichte sie der ersehnte Anruf zur Abholung der Papiere. Leider hatte sie in dieser Zeit keine Gelegenheit, ihre Familie zu treffen, weil sie abrufbereit viele Kilometer entfernt warten musste.

Vor allem ihren Sohn, der bei seiner Großmutter lebt, vermisst sie sehr. Er ist mittlerweile zehn Jahre alt und Eki unternimmt alles, damit sie ihn bald hier in Österreich empfangen kann. Bis zu einem Jahr kann das dauern, meint sie. Aber dann wäre ihr Glück perfekt. „So happy, so very happy“ sei sie in ihrer neuen Heimat, so die 32-Jährige. Glücklich und dankbar, in einem Land zu leben, in dem einem der Staat nicht zusieht beim Sterben, wenn man sich eine medizinische Behandlung nicht leisten kann.

Seit ein paar Monaten hat sie nun auch einen Job hier. Den ersten „echten“ ihres Lebens, wie sie stolz verkündet. An ihren arbeitsfreien Tagen verkaufe sie noch immer Apropos. Sie bekam in der Glockengasse nicht nur die Möglichkeit zum Verkauf dieser Zeitung, sondern weitere wertvolle Hilfestellungen, die ihr beim Beschreiten ihres Weges sehr geholfen haben.

Bald wird die mutige junge Frau ihre zweite Deutschprüfung absolvieren. Und hoffentlich nicht mehr lange darauf warten müssen, ihr Kind fest in die Arme schließen zu können.

Alles Gute, Eki!