Damals in der Au

von Schreibwerkstattautor Rudi Plastinin

Vor langer Zeit war in der Lieferinger Au ein großes Schotterwerk. Reich an Schotter und Sand wurden die Besitzer, weil sie Tag und Nacht baggerten. So entstanden drei große Baggerteiche. Einer davon besteht noch heute: der Karlsbader Teich zum Fischen und zur Erholung. Siggerwiesen hat es damals noch nicht gegeben zur Müllverbrennung. Da hat das Magistrat beschlossen, zwei Baggergruben mit dem Müll der Stadt zu füllen. Schön langsam bauten sich dann auch Obdachlose und Sandler in der Au mit Pappkarton und Plastik eine wasserdichte kleine Hütte. Sie ernährten sich von den essbaren Lebensmitteln aus der Müllgrube. Gesammelt haben sie alles Brauchbare und eine Rangordnung hatten sie natürlich auch. Eines Tages fanden sie sogar Bargeld, Schmuck und andere wertvolle Sachen. Aber das war tödlich! Ein Sandler hat deswegen einem anderen den Kopf mit einem Ski eingeschlagen. Fünf Jahre Haft hat er dafür bekommen.

Es war auch so, dass nicht jeder in die Müllgrube gehen und suchen durfte oder zu den Sandlern. Eine ältere Frau aber durfte schon jeden Tag Essensreste für ihre Schweine und Hühner suchen gehen. Ich war damals ungefähr 15 Jahre alt und ging auch oft zur Müllgrube. Ich wohnte ja gleich in der Nähe. Aber nicht, um reich an etwas zu werden. Mein Weg führte mich gleich zu den Sandlern. Ich kannte sie alle. Die Hütte war eingerichtet wie ein schönes Wohnzimmer. Wir saßen oft am Lagerfeuer und erzählten, was es Neues gab. Ich bekam dort viel zu hören und oft auch ein wertvolles Geschenk wie zum Beispiel ein Radio.

Heute wachsen über den damaligen Müllgruben schöne Bäume auf einer grünen Wiese. Kaum jemand weiß noch, was sich unter der Wiese verbirgt und was im Laufe der Jahre dort alles Schreckliche und Unglaubliche passiert ist. Ich bin auf jeden Fall immer noch reich an Erinnerung an längst vergangene Erlebnisse meines Lebens.