Besuch bei einer Tagesmama
„Um Gottes willen …“ bekreuzigt sich die ältere Dame, als sie mit dem Zählen der Kinder fertig ist. Das war die bisher irritierendste Wortmeldung, erinnert sich Maria. Aber auch „Wow, sind das alles Ihre?“ und staunendes Lächeln sind dabei. Fast täglich saust Maria mit ihrem Lastenrad Richtung Wald. Oben lugen bis zu vier wackelnde Fahrradhelme heraus. Zurück fährt sie zusätzlich beladen mit Steinen, Schneckenhäusern und Moosstücken, gut festgehalten in kleinen Kinderhänden. Was manche überrascht innehalten lässt, ist Marias Alltag: Maria ist hauptberuflich Tagesmutter und täglich mit bis zu vier Kleinkindern auf Entdeckungsreise.
von Judith Mederer
Wer eine Betreuung für das eigene Kleinkind sucht, hat in Salzburg verschiedene Möglichkeiten: Fremd betreut werden können Kleinkinder bis drei Jahren neben Krabbelstube und alterserweiterter Kindergruppe auch bei Tageseltern. Häufig sind es Mütter mit eigenen kleinen Kindern, die sich zur Tagesmutter ausbilden lassen. Sie nutzen den Vorteil, ihre Kinder selbst zu beaufsichtigen, und verdienen gleichzeitig Geld mit der Betreuung haushaltsfremder Kinder.
Anders kam Maria L. zum Beruf Tagesmutter. Ihre eigenen Kinder waren bereits im Oberstufenalter, als sie Herdschutz, Absturzsicherung und Co. in der Wohnung erneut montierte. Seit einem Jahr begleitete sie im Rahmen der Integrationsarbeit Menschen – mehrheitlich Frauen – zum Arbeitsmarktservice. Für den Einstieg in die Arbeitswelt bzw. die Belegung von Kursen musste vorab eine Kinderbetreuung nachgewiesen werden; und weil das in den meisten Fällen schwierig bis unmöglich war, entschied Maria: „Gut, dann übernehm halt ich die Kinderbetreuung.“ Vom anfänglichen Babysitten zur offiziellen Tagesmutter war es nur noch ein kleiner Schritt. Heute ist Maria das fünfte Jahr Tagesmutter. Als ausgebildete Elementarpädagogin ist sie sozusagen vom Fach.
Gemeinsam begleiten
Pünktlich um 8 Uhr läutet es bei Familie L. und die Mamas, Papas, Omas oder Opas geben einander die Klinke in die Hand. Zurück lassen sie das Liebste, was sie haben. Ein kurzes Bussi und Winken und rein wackeln die Kleinen ins Zweitzuhause. Für die nächsten Stunden ist ganz selbstverständlich Maria die Bezugsperson Nummer eins. Marias Arbeitszeiten sind von Montag bis Freitag 8 bis 15 Uhr. Wer innerhalb dieses Zeitrahmens eine Betreuung für das Kind sucht und idealerweise in Marias Nähe wohnt oder arbeitet, hat gute Karten auf ein erstes Kennenlerngespräch. Passt die Chemie auf beiden Seiten, steht einer gemeinsamen (Betreuungs-)Zukunft nichts mehr im Wege und es folgen die vertraglichen Dinge …
Wald und Wiese inklusive
„Wir gehen jeden Tag raus. Wir bewegen uns quer durch den Wald, klettern über liegendes Holz und Baumstämme, durchqueren ausgedehnte Matschfelder und überwinden steile ‚Hänge‘…“ können die Eltern in Marias Konzept lesen. Auf welche Art und Weise die Bildungsziele erreicht werden, kann Tagesmama oder -papa nämlich selbst entscheiden. Der vorgegebene Bildungsrahmenplan für Österreich lässt Freiraum für eigene Ideen und Umsetzungsmöglichkeiten. Maria macht das, wovon sie überzeugt ist und was sie gut kann: Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der sensomotorischen Integration und Sprachförderung. Maria ist überzeugt, dass Spielen und Bewegung in der Natur am besten für die Entwicklung ihrer Knirpse ist. Staunen und Anfassen funktionieren bei jedem Wetter. Und so gehören Gummistiefelchen ab Größe 18 und wasserdichte Matschhose zur Grundausstattung.
Anders als wenn die Kleinen bei Oma und Opa untergebracht sind, kann im Bundesland Salzburg Tagesmutter oder -vater nur sein, wer ein Konzept und eine entsprechende Bewilligung vom Land Salzburg vorweist. Wenn sich die Wohnsituation ändert, also es zum Beispiel einen Wohnraum mehr gibt, kein Garten mehr zur Verfügung steht oder es ein zusätzliches Haustier gibt, muss beides entsprechend abgeändert bzw. neu bewilligt werden. So wissen die Eltern der zu betreuenden Kinder, was ihre Liebsten erwartet, und können das passende Konzept auswählen. Allerdings ist das mehr Theorie. Betreuungsplätze bei Tageseltern sind rar und speziell in den letzten Jahren ist die Dringlichkeit, einen Platz sobald als möglich zu bekommen, rasant gestiegen – da ist das Konzept oft nebensächlich. Hauptsache, das Kind ist gut aufgehoben. „Ähnlich wie bei der Urlaubsbuchung wird immer kurzfristiger angefragt.“ Maria weiß ein Lied davon zu singen. Apropos Singen: Im Laufe der Jahre hat Maria ihr Waldwissen stetig weiterentwickelt. Stolz zeigt sie mir ihre neu installierte App, mit der sie Gezwitscher dem richtigen Vogel zuordnen kann. „Horch, das ist der Zilpzalp, der hat ein ganz typisches Rufen!“ – Tatsächlich!
Aus Sicht der Tageseltern
Wer als Tagesmama arbeiten will, benötigt zur Ausübung des Berufes die Genehmigung der Landesregierung und eine durch Schulung erworbene fachliche Eignung (sofern sie noch keine pädagogische Ausbildung hat). Daneben muss sie persönlich geeignet sein, Kinder zu betreuen, und über kindgerecht gestaltbare Räumlichkeiten verfügen. Arbeitgeber ist in Salzburg entweder das Hilfswerk Salzburg oder das Tageselternzentrum (TEZ). Wer nicht im Angestelltenverhältnis arbeiten will, müsste das Bundesland wechseln. Betreuung ist nämlich Ländersache. Und Selbstständigkeit als Tagesmutter oder -vater in Salzburg nicht erlaubt.
Maria legt ihre Arbeitszeiten selbst fest und arbeitet weitgehend selbstständig. Für viele sind das die wichtigsten Vorteile. Berücksichtigen sollte man jedoch, dass das Gehalt variiert je nach Anzahl der Kinder und Betreuungsstunden. Wer auf ein fixes Gehalt angewiesen ist, kann da schon mal Durststrecken durchleben. Und was ist, wenn Maria krank ist? „Mich belastet es, wenn ich weiß, was alles dranhängt, wenn ich mich krankmelde.“ Im Krankheitsfall haben die Eltern der betreuten Kinder das Recht, dass ihre Kinder bei einer anderen Tagesmutter untergebracht werden. Ob man einem Zweijährigen einen kurzfristigen Wechsel ohne Eingewöhnung zumuten will, sei dahingestellt.
„Ich mag meinen Beruf! Ich mache das, was ich gern tue und gut kann, und liebe, was von den Kindern zurückkommt … Es ist schon enorm, wie sich die Kleinen im letzten Jahr entwickelt haben“, zeigt mir Maria lächelnd die Fotos, die sie für die Erinnerungsalben für Mamas und Papas vorbereitet. Das Album gibt es immer am Ende des Jahres: in analoger Form – zum Staunen und Anfassen.