Auf zu neuen Ufern!

 

Schriftsteller Manfred Baumann traf die Verkäuferin Laura Graziella Palzenberger.

 

„Tu parli italiano?“ Sie bemüht sich, Neugierde in ihren Gesichtsausdruck zu legen. In jedem Fall schaut sie belustigt. Ob ich Italienisch spreche? Ja, ein wenig. „Un poco“, antworte ich. „Meine Urgroßmutter väterlicherseits war Italienerin“, erkläre ich. „Mia bisnonna era italiana.“ Sie lacht. „Va bene. Ich habe einen italienischen Papa. Da haben wir ja schon einiges gemeinsam“, stellt sie fest. „Certo“, sage ich. Im Grunde spielt es zu diesem Zeitpunkt überhaupt keine Rolle, was wir tatsächlich sagen. Wir reden zwar miteinander. Aber in erster Linie geht es darum, dass wir vor allem so tun, als ob wir miteinander reden. Für den Fotografen. Wir stehen auf der kleinen Terrasse. Wir lehnen uns ans Geländer, versuchen uns locker zu geben. Andreas Brandl macht Fotos. Im Freien. Vor dem Eingang zum Apropos-Büro. Ich hatte schon vor einigen Jahren einmal die Gelegenheit, eine Apropos-Verkäuferin zu treffen, mit ihr ein Gespräch zu führen. Das war in einem Café, bei Kaffee und Kuchen. Der Fotograf saß damals gleich am Nebentisch. Er war die ganze Zeit mit uns. Nahe bei uns. Doch das ist dieses Mal gar nicht möglich. Denn jetzt haben wir eine Pandemie. Also Fotos im Freien. Auf Abstand achten. Posieren für die Aufnahmen. Und das richtige Reden kommt erst danach im Bürogebäude. In einem eigenen Raum. Nur die Apropos-Verkäuferin und ich. Sonst keiner. „Abbiamo una situazione speciale.“ Wir blödeln ein wenig auf der Terrasse vor dem Eingang, während Andreas Brandl sich Mühe gibt, uns ins rechte Bild zu setzen. Ja, wir befinden uns tatsächlich in einer ganz speziellen Situation. Und wenn es auch noch gar nicht wichtig ist, was wir tatsächlich miteinander reden, bekomme ich doch schon einen ersten Eindruck von meiner Gesprächspartnerin. Sie wirkt anmutig. Sie trägt die Anmut auch im Namen. Graziella. Das ist ihr zweiter Vorname. Laura Graziella. Gäbe es nicht Corona, würden wir vielleicht in einem Café sitzen, zusammen mit dem Fotografen. Andererseits, wenn es Corona nicht gäbe, dann würden wir uns vermutlich gar nicht treffen, Laura Graziella Palzenberger und ich. Dann würde Laura weiterhin nur in der Gastronomie tätig sein.

Dann müsste sie nicht versuchen, sich als Zeitungsverkäuferin etwas dazuzuverdienen. Dann wären wir beide gar nicht hier. Doch es ist, wie es ist. Zum Glück gibt es Apropos. Und das ist gut. „Ja, ich kannte schon früher viele Verkäufer und Verkäuferinnen von Apropos. Vom Bahnhof, vom Saftladen. Ich habe ihnen oft Zeitungen abgekauft“, erzählt sie. „Um einige habe ich mich auch gekümmert. Ihnen etwas zugesteckt. Essen, ein bissl Geld. Damals habe ich natürlich nicht gedacht, dass ich vielleicht selbst einmal als Zeitungsverkäuferin auf der Straße unterwegs bin.“ Doch seit einem Jahr befinden wir uns eben alle in einer Ausnahmesituation, in der Coronakrise. Laura hat als Kellnerin gearbeitet. In den letzten Jahren in einem Restaurant mit asiatischer Küche. Das kann sie derzeit nicht mehr. Zumindest nicht mehr als Kellnerin. Restaurants sind zu. Immer wieder. Wegen Corona. „Was ich noch machen kann, ist Telefondienst. Bestellungen aufnehmen. Für Lieferungen. Ich musste also etwas Zusätzliches suchen, um dazuverdienen zu können.“ Und sie hatte Glück, wie sie sagt. Zufällig war gerade ein Platz frei, als sie bei Apropos anfragte. Sie bekam die Stelle. „Auf zu neuen Ufern!, habe ich mir gedacht.“ Und dann ist sie an einem Novembertag des vergangenen Jahres losmarschiert. „Ich wusste anfangs gar nicht, was ich sagen soll. Lesen Sie gerne über Salzburg?, habe ich meistens gefragt und die Zeitung angeboten. Es ging dann schon.“

Den Umgang mit Leuten ist Laura natürlich gewohnt, aus ihrem Beruf als Kellnerin. „Ich bin ja im Gastgewerbe aufgewachsen. Meine Eltern eröffneten die erste Pizzeria in der Stadt Salzburg, das Camino.“ Der Vater war Italiener, aus Montecatini Terme, in der Nähe von Florenz. Die Mutter kommt aus dem Lungau. „Mama und Papa haben sich zufällig in Graz kennengelernt, an einer Telefonzelle, wo beide telefonieren wollten.“ Daraus wurde die große Liebe, aus der drei Kinder hervorgingen, Laura und ihre beiden Schwestern, Lisa und Sarah. „Gemeinsam mit den Schwestern wollte ich heuer im Jänner nach Italien fahren, zur Familie in der Toskana. Aber es ging ja nicht, wegen Corona.“ Laura hat engen Bezug zur italienischen Familie. Sie war auch als Kind viel bei der nonna, bei der Oma. Lauras Mutter lebt noch. Der Papa starb 2011. Damals wurden die drei Familienlokale geschlossen. Aber Laura blieb in der Gastronomie tätig. Als Kellnerin in anderen Betrieben. Und Gastronomie im erweiterten Sinn gehört wohl bald auch zum Berufsfeld von Lauras Sohn Patrick. Er befindet sich gerade in Ausbildung. „Solange er noch nicht fertig ist, ist er noch auf meine Unterstützung angewiesen. Deshalb ist es gut, dass ich mit Zeitungverkaufen dazuverdiene.“ Normalerweise macht Laura ihre Runden vor allem im Zentrum der Stadt. Gegenwärtig findet man sie aber auf dem Mirabellplatz. „Die Stelle ist gut, vor allem bei Regen und Kälte. Den Platz habe ich von Nello übernommen“, sagt sie lächelnd. „Zumindest so lange, bis er wieder zurückkommt.“ Sind die Leute nett zu ihr? „Ja. Nicht alle, aber die allermeisten. Manche bringen mir auch etwas mit, zu essen, zu trinken. Einige geben auch mehr Geld als die Zeitung kostet. Man lernt wirklich viele nette Menschen kennen.“ Laura ist auch in der Apropos-Schreibwerkstatt. „Das mache ich gerne. Das ist auch eine gute Chance, dass die Leute mich besser kennenlernen, wenn sie von mir etwas lesen.“

„Zugänglich“ hieß das erste Thema, mit dem Laura sich in der Schreibwerkstatt zu befassen hatte. Da galt es über Fragen nachzudenken wie: Wann und wo haben sich Türen für dich geöffnet? „Ich habe viel gekämpft in meinem Leben. Ich hatte sogar eine Psychose zu überwinden wegen Magersucht. Das war nach dem Tod meiner geliebten Lungauer Omi. Ich habe viel durchgemacht. Aber es haben sich immer wieder Türen aufgetan. Auch dass ich die Chance bekam, für Apropos tätig zu sein, ist so eine offene Tür.“ „Und welche Tür sollte noch aufgehen?“, frage ich. „Vielleicht die Liebe …“, antwortet sie und lächelt. „Vielleicht jemanden kennenlernen, mit dem man alt werden möchte. Ich denke, dass das irgendwann einmal klappt.“ Und dann setzt sie noch hinzu: „Und dass ich bald viele Stammkunden habe. Das wünsche ich mir auch. Aber ich habe ja erst angefangen als Zeitungsverkäuferin.“ Und erneut lächelt sie. Anmutig, so wie immer. Also dann: alles Gute dafür, Laura Graziella!