Arbeit gesucht, Heimat gefunden

Irgendwann in den frühen Sechzigerjahren sind die Ersten gekommen. Ob aus der Türkei oder aus Jugoslawien – dem sich zusehends industrialisierenden Österreich war das egal, Hauptsache (billige) Arbeitskräfte. Die nannte man „Gastarbeiter“ und implizierte damit, was beide Seiten dachten: Kommen, arbeiten, wieder heimkehren. Integration und Spracherwerb weder erwünscht noch notwendig. Noch heute, drei Generationen später, stellen Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien (Serben, Bosnier, Kroaten) sowie Türken die größten Gruppen unter den in Salzburg lebenden Ausländern beziehungsweise ihren Nachkommen. Zahlenmäßig stärker sind nur die Deutschen, für die Salzburg als Alterssitz, wegen nachbarschaftlicher Nähe und als Studierstadt attraktiv ist, sowie neuerdings die Rumänen. Die Zuordnungen sind schwierig, die Zählweisen mannigfaltig. Gut 2.400 kroatische Staatsbürger leben in der Landeshauptstadt, die Kulturvereine zählen zudem mindestens 3.000 weitere Pass-Österreicher mit kroatischen Wurzeln. Die meisten der Salzburger Kroaten stammen eigentlich aus Bosnien und haben sich nach den Unabhängigkeitskriegen für die kroatische Staatsbürgerschaft entschieden.

Kriegswirren waren es auch, die nach 1945 die ersten Kroaten nach Österreich gehen ließen, die kroatische Mission hier ist eine der ältesten Europas. Die zweite Welle kam in den 60ern, die letzte und größte während der Kriege am Balkan, zwischen 1991 und 1996. Damals wuchs die in Mülln beheimatete kroatische Pfarre so stark, dass man in die große Andräkirche am Mirabellplatz übersiedeln musste. Dort gibt es noch heute weit mehr und vor allem viel besser besuchte Messen in kroatischer Sprache als auf Deutsch. Kein Wunder, dass die Kroaten im Andräviertel gefühlt die stärkste Migrantengruppe stellen. In ihrem geistlich-kulturellen Zentrum am Mirabellplatz laufen alle Fäden zusammen, also auch die wirklich wichtigen Infos, etwa über frei werdende Wohnungen und Geschäftslokale, vakante Stellen (zum Beispiel als Hausmeister) und Ähnliches. Hunderte der Salzburger Kroaten sind in eigenen Vereinen organisiert, vom Fußball- über den Schachclub bis hin zur Kultureinrichtung, zusammengefasst in einem Dachverband. Es gibt sogar eine Schule, wo jeden Samstag für ein paar Stunden die kroatische Sprache unterrichtet wird, damit jene Kinder, deren Muttersprache bereits Deutsch ist, in der Sprache ihrer Vorfahren auch schriftlich halbwegs fit wird. Gesprochen wird kroatisch ja nach wie vor und man sieht auch die Fernsehprogramme aus der (früheren) Heimat – in manchen Familien mehr, in manchen weniger.

Brauchtumspflege ist eine der großen Stärken der kroatischen Community. Die Wurzeln der Herkunft werden in vielen Vereinen lebendig gehalten und bei großen Festen. Jure Mustac, ÖVP-Gemeinderat und derzeit Obmann des kroatischen Zentrums, organisiert jedes Jahr das große Fest der Kroaten, bei dem die Wallerseehalle in Seekirchen aus allen Nähten platzt. Umso mehr verwundert es, dass die Kroaten in der gastronomischen Szenerie Salzburgs bisher keine großen Spuren hinterlassen haben. Im Andräviertel pflegt ein Wirt erfolgreich die Fischküche Kroatiens, in Gneis kommen die Fleischfreunde auf ihre Rechnung – das wars. Was die Kroaten wie fast alle Migrantengruppen aus dem Balkanraum großschreiben: familiäre Bande. Man feiert im großen Familienverbund und pflegt die Kontakte intensiver, als viele Österreicher dies tun, und man unterstützt einander in allen Lebenslagen. „Bei uns ist es üblich, dass jeder nach seinen Fähigkeiten unentgeltlich hilft, wenn Bau- oder Reparaturarbeiten in Haus und Wohnung anstehen, Nachhilfe oder Betreuung benötigt wird oder jemand Rat in rechtlichen Dingen braucht. Da wäscht eine Hand die andere, das ist Ehrensache“, schildert Mustac den Zusammenhalt in der kroatischen Gemeinschaft.

In dieser Hinsicht unterscheidet die Kroaten wenig von den Türken, die in der Stadt leben. Türken? Darunter versteht man Türken, Kurden und Menschen anderer Volksgruppen mit türkischem Pass (knapp 2.500) sowie Österreicher, die in diesen Regionen ihre familiären Wurzeln haben (weitere gut 2.000). Auch sie pflegen ihren familiären Zusammenhalt sehr, wobei längst nicht alle türkischen Familien wirklich groß sind. Denn anders als etwa die Salzburger Kroaten, die schwerpunktmäßig aus zwei kleinen Regionen stammen und dementsprechend auch oft weitschichtig verwandt sind, kommen die türkischen Einwanderer aus der ganzen Türkei. Es kennt also nicht jeder jeden schon aus der alten Heimat. Nachgeholt wird das gerne in einem der vielen türkischen Cafés oder einer der Teestuben, die es in der Bahnhofsgegend, in Lehen und in Itzling gibt. Dort sitzen und plaudern die Männer, dort sieht man auch gemeinsam fern – vor allem wenn wichtige Fußballspiele anstehen. Viele der Männer sind in Vereinen aktiv, türkische Frauen hingegen treffen einander eher „informell“, beim Einkaufen oder in kleinerem Rahmen. Plattformen, Interessen- oder Sportvereine gibt es für sie kaum.

Beim Einkaufen freilich ist man unter sich. Wie kaum eine andere Volksgruppe haben die Türken ihre „Konsumwelt“ mit nach Österreich gebracht: Supermärkte, Bäcker, Läden mit Milchprodukten oder Süßwaren, Fleischer und natürlich Gaststätten. Auch in Sachen Religionsausübung bleibt man unter sich. Fast jede der muslimischen Volksgruppen in Salzburg hat eigene Bethäuser oder Moscheen – die Türken gleich mehrere. Einen zentralen geistlich-kulturellen Sammelpunkt (wie St. Andrä für die Kroaten) kennen die Türken somit nicht. Die ersten Türken, die ins Land kamen, siedelten sich vor allem in der Industriestadt Hallein an, nach und nach auch in Salzburg. Zunächst kamen nur Männer, ohne Familien. Einer von ihnen war der Großvater von Tarik Mete, Jurist und SPÖ-Gemeinderat in der Landeshauptstadt. „Er wollte für ein paar Jahre bleiben und Geld verdienen, niemand hat ihm gesagt, er solle Deutsch lernen und sich integrieren“, erzählt Mete über seinen Opa. Diese Themen kamen erst aufs Tapet, als die Arbeiter zunehmend ihre Familien ins Land holten. Metes Vater war 14, als er mit Mutter und Geschwistern nachkam und in Hallein alsbald eine Maschinenschlosserlehre absolvierte. Durchaus zum Unverständnis einiger türkischer Freunde, die eher den schnellen Verdienst als Industriearbeiter im Sinn hatten als Aus- und Fortbildung. Heute holen die türkisch-stämmigen Bürger den einstigen Bildungsrückstand sukzessive auf. Mete III. ist ein typisches Beispiel. Er hat sechs akademische Abschlüsse. „Früher war es eine Sensation, wenn ein Türke spondierte, heute sind es bei jeder akademischen Feier in Salzburg eine ganze Handvoll“, erzählt Mete, der neben seinem Hauptberuf mit seiner Frau in Bahnhofsnähe ein Lernhilfe-Institut betreibt. Der Bildungsaufstieg, nicht nur der türkischen Volksgruppe, ist ihm ein Anliegen. „Bildung ist ein Schlüssel zur Integration und zu einem guten Miteinander der Volksgruppen“, lautet sein Credo. Bildung hat in der gesamten türkischen Community im Lauf der Jahrzehnte einen immer größeren Stellenwert bekommen, vor allem bei der Jugend. „Nur wer sich artikulieren kann und sich in der Gesellschaft zurechtfindet, wird auch gehört und ernst genommen.“

Ist daran auch der klare Wunsch abzulesen, dauerhaft in Österreich zu bleiben? „Jene, die in Österreich geboren sind und deren Eltern auch schon lange hier sind, können sich gar nichts anderes vorstellen. Für sie ist die Türkei nicht mehr als ein Urlaubsland und das Land ihrer Vorfahren“, erzählt Mete. Von den „Gastarbeitern“ der Sechziger- und Siebzigerjahre seien hingegen einige in der Pension wieder zurück in die Heimat gezogen. Weil gleichzeitig die Migrationsbewegung aus der Türkei schwächer werde, wachse die Community derzeit zahlenmäßig kaum. Einige Junge kommen, einige Ältere gehen – meist nach dem Arbeitsleben. Bei den Kroaten hingegen geht kaum jemand zurück in die alte Heimat, nicht mal in der Pension. „Die Gegenden, aus denen die meisten stammen, sind wirtschaftlich und infrastrukturell nicht besonders attraktiv“, erklärt Mustac. Wenn überhaupt, dann seien es eher Menschen aus der Region Zagreb, aus Istrien oder den reicheren Gegenden Dalmatiens, die zurückgingen. „Manche bauen dort ein Häuschen und leben in der Pension dort und in Salzburg. Die Fahrt dauert ja nur ein paar Stunden.“ Unzweifelhaft sind es neben ökonomischen Gesichtspunkten die familiären Verbindungen, also Kinder und Enkel, die den Abschied aus Österreich erschweren. Beides zusammen hat aus „Gastarbeitern“ im Lauf der Jahre Einwanderer, Neubürger und letztlich Österreicher mit ausländischen Vorfahren gemacht. Obwohl das von beiden Seiten zunächst überhaupt nicht geplant war.