
Schöner Schein
Wer schön ist, hat es im Leben leichter. Doch in der Welt der manipulierten Bilder steigen die Erwartungen. Der Druck, bestimmten Schönheitsidealen zu entsprechen, nimmt zu.
von Georg Wimmer
Schönheit bestimmt unser Leben vom Anfang bis zum Ende. Wir freuen uns über ein schönes Baby, eine schöne Hochzeit oder eine schöne Leich. Schönheit ist die Währung in Sachen Erotik und Sexualität. Sie beschreibt die großen Lebensziele, wenn wir von der schönen Wohnung oder vom schönen Urlaub träumen. Schöne Kinder bekommen in der Schule bessere Noten. Als Erwachsene können sie vor Gericht mit milderen Strafen rechnen, treffen auf mehr Hilfsbereitschaft und erhalten um 10 Prozent höhere Gehälter. Dieses sogenannte Attraktivitäts-Stereotyp ist in der Wissenschaft gut dokumentiert. Männer werden demnach schon als intelligenter und erfolgreicher eingeschätzt, wenn sie nur in Begleitung einer schönen Frau auftreten. Wer schön ist oder diesen Anschein erweckt, hat es im Leben leichter. Weniger gut erforscht ist, warum wir schönen Menschen andere positive Eigenschaften zuschreiben.
Schon in der Philosophie der Antike stand Schönheit immer in Verbindung mit dem Guten und dem Wahren. So entstand die Erwartung, dass schöne Menschen klüger sind oder sich sittsamer verhalten. Was sich als Trugschluss erwiesen hat. Der Glaube an das Gute im Schönen lebt aber fort, so der Philosoph Konrad Paul Liessmann: „Mit Schönheit ist fast immer die Hoffnung verbunden, dass sie tatsächlich das Glück im Sinne eines gelingenden Lebens bedeuten könnte.“
Wer ist das schöne Geschlecht?
Charles Darwin war der Ansicht, dass sogar Tiere einen Sinn für das Schöne haben. Er beobachtete, dass in der Tierwelt meistens Männchen das schönere Geschlecht sind. Sie müssen auf sich aufmerksam machen durch große Hörner, Balztänze oder ein schickes Federkleid. Die Weibchen sehen dagegen häufig schlicht aus. Darwins Paradebeispiel ist der Pfau, der Weibchen mit seinem Federnrad beeindruckt. Männliche Pfauen, so seine Schlussfolgerung, müssen schön sein. Sonst wählen die Hennen andere als Partner für die Fortpflanzung.
Beim Menschen galt ebenfalls lange Zeit nicht die Frau als das schöne Geschlecht, sondern der Mann, so die Wiener Psychologin und Schönheitsforscherin Nora Ruck: „In der griechischen Antike wurde das Idealbild von Schönheit durch den Mann verkörpert.“ Auch später noch hätten Männer sich genauso herausgeputzt wie Frauen. Erst in der Moderne mit der Arbeitsteilung habe sich dies verändert, betont Ruck. Männer verdienten das Geld, Frauen repräsentierten das Haus. Dazu gehörte es auch, hübsch auszusehen.
Doch was ist überhaupt Schönheit? Im Laufe der Zeit haben sich die Vorstellungen davon ständig verändert. Schöne Frauen im alten Griechenland unterscheiden sich deutlich von jenen des Mittelalters, wo üppige Formen angesagt waren. Die Rubens-Frau wiederum hätte heute bei kaum einer Modelagentur eine Chance. Die sehr schlanke Frau als Objekt der Begierde ist historisch gesehen jedenfalls die Ausnahme. Und während sich ideale Körperformen in Afrika und Asien keineswegs decken, zeigen neuere Untersuchungen durchaus Gemeinsamkeiten über die Kulturen hinweg. Das überraschendste Ergebnis dabei: Es gibt offenbar einen Zusammenhang zwischen dem Durchschnittlichen und dem Schönen. Nicht das außergewöhnliche oder extravagante Gesicht gilt als attraktiv. Werden Testpersonen Fotos vorgelegt, so bewerten sie das unauffällige, regelmäßige Gesicht am besten.
Durchschnittlich schön
Die zweite Überraschung: Frauen und Männer haben sehr ähnliche Vorstellungen davon, wie ein schönes Gesicht beim anderen Geschlecht aussieht. Für männliche Testpersonen, die Frauen beurteilen, sind dies: große Augen, kleine Nase, kleines Kinn, hohe Wangenknochen, hohe Augenbrauen und ein offenes Lächeln. Frauen schätzen an Männern ganz ähnliche Faktoren – nur das Kinn darf kräftiger sein. Gemeinsamkeiten sind hingegen glatte Haut, Jugendlichkeit und symmetrische Gesichtszüge. Bei der Bewertung von Frauen spielt zudem das „Kindchenschema“ eine Rolle. Große Augen und volle Lippen machen ein weibliches Gesicht noch anziehender.
„Wenn unser Beschützerinstinkt angesprochen wird, so wirkt sich das auch auf unser Schönheitsempfinden aus. Wir sind nicht nur sexuelle Wesen“, sagt der Salzburger Fotograf Joachim Bergauer. Ein schönes Bild müsse letztlich unsere komplexe Gefühlswelt ansprechen. Eine Voraussetzung dafür sei Ebenmäßigkeit, so Bergauer. „Brad Pitt mit einem hängenden Auge würde keinen Menschen interessieren.“ Neben dem Ebenmaß spielen die richtigen Proportionen eine Rolle. Ein Gesamtkunstwerk ist immer mehr als die Summe von schönen Einzelteilen. Ein Umstand, den die plastische Chirurgie nicht übersehen darf. Cleopatras Nase im Gesicht von Angelina Jolie wäre eine glatte Fehlbesetzung. Damit Ebenmäßigkeit nicht langweilig wird, so Bergauer, brauche es aber einen „Störfaktor“. Als Beispiel nennt er das bekannte Foto von einem afghanischen Mädchen mit grünen Augen, das um die Welt ging.
Das Versprechen von Glück
Eine der berühmtesten Definitionen von Schönheit findet sich in einer Fußnote. In seinen Reflexionen über die Liebe kommt der französische Schriftsteller Stendhal (1783– 1842) zu dem Schluss, dass „Schönheit nur ein Versprechen von Glück“ sei. Wobei die Betonung auf Versprechen liegt. Schönheit weckt Erwartungen, Begierden und Sehnsüchte, stellt aber nicht selbst dieses Glück dar. Sie lässt uns ahnen, dass es mehr gibt auf der Welt als Nützliches oder Unnützes. In der digitalen Welt ist Schönheit geradezu zur Pflicht geworden. Überall sehen wir Bilder von makellosen Menschen mit Vorbildwirkung. Erfolg und Liebe scheinen allein eine Frage des Aussehens. Wo es die Kosmetik nicht schafft, die Natur zu korrigieren, ist die Chirurgie zur Stelle. Fettabsaugung, Korrektur von Nase, Ohren, Wangen, Kinn, Busen und Po sind Routine geworden. Darüber hinaus geraten zunehmend Körperteile ins Visier, die – mit Ausnahme von Pornostars – nicht öffentlich gezeigt werden, wie Vulvalippen (Kürzung) oder Hodensack (Straffung).
Diktat von Männern
Der menschliche Körper war immer schon Träger von sozialen, erotischen und ästhetischen Botschaften, weiß die Grazer Soziologin Waltraud Posch. Trainiert und geformt, verziert, verhüllt und entblößt und nicht zuletzt operativen Eingriffen unterzogen. „Der Körper wurde von den Menschen zu allen Zeiten als Baustelle begriffen, an der ständig gearbeitet werden muss“, bringt es Posch auf den Punkt. Das Phänomen ist auch nicht auf westliche Kulturen beschränkt. Bei Völkern in Äthiopien oder Brasilien gelten handgroße Lippenteller als schön. Bei den Padaung im Nordosten von Thailand bekommen Mädchen von klein auf Metallringe um den Hals gelegt, um diesen zu strecken. In Japan und China galt bis ins 20. Jahrhundert der sogenannte Lotus-Fuß als besonders anmutig. Erreicht wurde das Idealmaß von bis zu zehn Zentimetern durch Knochenbrechen und extremes Abbinden der Füße im Kindesalter.
Es ist kein Zufall, dass besonders Mädchen und Frauen unter Schönheitsdiktaten leiden. Laut der Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Lechner sei Schönheit ein Diktat der Männer, das der Unterdrückung von Frauen diene. Doch im Kapitalismus werde zunehmend auch von Männern erwartet, dass sie Zeit und Geld investieren, um ästhetische Erwartungen zu erfüllen. Werbung sowie Abnehm- und Modelshows rufen zur Körperarbeit auf. In Modelshows gewinnen jene Teilnehmer:innen, die am härtesten an sich gearbeitet haben – und nicht unbedingt die schönsten.
Neuer Trend Lookism
Als in den 1970er-Jahren die Attraktivitätsforschung einsetzte, befasste sie sich nicht nur mit der Frage, was Schönheit ausmacht. Man wollte überdies etwas entgegensetzen, wenn Menschen aufgrund der äußeren Erscheinung benachteiligt werden. Ein Trend, der heute als Lookism bezeichnet wird. Eine Maßnahme wäre etwa, dass digital bearbeitete Bilder in Modemagazinen als solche gekennzeichnet werden müssen, wie dies in Frankreich mit dem Photoshop-Gesetz schon der Fall ist.
Denn Faktum ist auch: Manipulierte Fotos wecken unerfüllbare Wünsche. Frauen fühlten sich nach dem Lesen von Frauenzeitschriften unwohl mit ihrem Körper, berichtete die Psychologin Nora Ruck. Männer, die häufig mit makellosen Frauenbildern konfrontiert werden, haben höhere Erwartungen an ihre eigenen Partnerinnen. Schön zu sein bereitet in unserer Gesellschaft Druck. „Körperliche Schönheit hat sehr viel damit zu tun, dass man sich mit den Augen der anderen sieht“, so Nora Ruck. „Wir haben vergessen, uns von innen zu sehen, und konzentrieren uns zu sehr darauf, welches Bild wir nach außen hin abgeben.“