
Zu aufgeweckt?
Für Nicole Bertram war es neben dem anfänglichen Schock eine Hilfe, als ihr Sohn die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekam. Denn damit haben sich Türen geöffnet, die den Weg zurück in ein erträgliches Familienleben geebnet haben. Und sie hat herausgefunden, dass er nicht der Einzige in der Familie mit dieser Besonderheit ist.
Titelinterview mit Nicole Bertram
von Monika Pink
Frau Bertram, was verbinden Sie mit dem Begriff „aufgeweckt“?
Nicole Bertram: Das ist für mich ein total süßer und lieber Ausdruck. „Aufgeweckt“ klingt auf jeden Fall freundlich, lustig und intelligent. Ich assoziiere damit nur Positives. Eine Person, die hereinkommt, eine Ausstrahlung hat und gute Stimmung verbreitet.
Haben Sie über Ihren Sohn jemals die Rückmeldung bekommen, dass er „aufgeweckt“ ist?
Nicole Bertram: Nie! Aufgeweckt ist positiv, in Bezug auf die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung ADHS werden nur negative Adjektiva verwendet, wie zum Beispiel auffällig, störend, anders, sozial nicht angepasst. Wenn unser Psychiater nicht gesagt hätte, lesen Sie mal dieses Buch oder schauen Sie sich das und das an, wäre ich nie draufgekommen, dass das auch was Positives sein kann.
Inwiefern positiv?
Nicole Bertram: Es waren Menschen mit ADHS, die das Feuer erfunden haben und nicht nur darum herumgesessen sind, heißt es. Das finde ich einen schönen Vergleich. Das sind die kreativen Leute, die sich was trauen, was noch nie jemand anderer gemacht hat. Man hat Gedankensprünge, die für andere nicht nachvollziehbar, aber total cool sind. Man kommt unweigerlich auf Ideen, auf die andere nicht kommen. Einstein, Mozart, es gibt viele berühmte Genies mit ADHS.
Wie ist es dazu gekommen, dass bei Ihrem Sohn ADHS diagnostiziert wurde?
Nicole Bertram: Im Kindergarten wurde uns schon recht früh gesagt, wir sollen ihn mal anschauen lassen. Ich habe mir nichts dabei gedacht, denn er war das ruhigste von meinen drei Kindern. Es wurde erhöhter Förderbedarf festgestellt und er wurde als Integrationskind geführt, aber das war es dann auch schon. Im letzten Kindergartenjahr fing es an, dass er aus Gruppenspielen ausgeschlossen wurde, weil er sich nicht angepasst hat, weil er andere Ideen hatte, weil er etwas gesehen hat und einfach losgerannt ist. Da wurde es schon schwierig, wir mussten ihn ein paar Mal früher abholen. Aber richtig schwierig ist es dann mit der Einschulung geworden.
Was ist in der Schule passiert?
Nicole Bertram: Das war eine Katastrophe, da haben wir ganz schlimme Sachen erlebt. Nach zehn Tagen habe ich schon die ersten Anrufe gekriegt. Er hat sich im Klo...