Wir müssen Räume schaffen, wo Verbindung möglich ist
Die Kulturanthropologin Bettina Ludwig betreibt Spurensuche im doppelten Sinn: zum einen, indem sie mit den weltbesten Spurensuchern in der Kalahari-Wüste forscht. Zum anderen, weil sie dadurch dem Menschsein an sich auf die Spur kommt und erkennt, wozu wir alles imstande sind. Sie ist überzeugt, dass wir die Herausforderungen der Zukunft meistern – wenn wir Themen wie Liebe, Zugehörigkeit und Menschlichkeit ins Zentrum unseres Tuns stellen.
Titelinterview mit Bettina Ludwig
von Monika Pink
Beim Wort „Spurensuche“ beginnen Ihre Augen zu leuchten – warum?
Bettina Ludwig: Für mich ist das ein totales Nerd-Thema. Ich habe mich innerhalb der Kulturanthropologie auf die Jäger-Sammler-Forschung spezialisiert, und im Konkreten auf das Spurenlesen oder „animal tracking“. Ich habe bei der Community der San in der Kalahari-Wüste geforscht, das sind die weltbesten Spurenleser – und es ist wirklich faszinierend, was sie da für ein Expertenlevel entwickelt haben!
Welche Bedeutung hat das Spurenlesen für die Menschen in der Kalahari-Wüste?
Die Menschen brauchen das Spurenlesen zum Leben und Überleben auf sozialer und ökonomischer Ebene. Da geht es zum einen um Orientierung, zum anderen um Nahrungssuche, aber auch um Sicherheit. Denn die Leute müssen sich darin bewegen, ohne dass sie auf einen giftigen Skorpion oder eine giftige Schlange steigen. Ich habe mich einmal verlaufen, aber du wirst wiedergefunden, weil sie einfach deine Spur verfolgen. Ich sage immer, der Boden ist das Facebook der Kalahari, die kennen alle Spuren von allen Menschen.
Es geht also nicht nur um Tierspuren?
Damit man sich vorstellen kann, wie gut die das machen: Ich bin einmal in der Kalahari-Wüste mit drei Spurenlesern mitgefahren, wir waren am Jeep-Dach bei so 40 km/h auf einer Sandstraße, links und rechts überall Tierspuren. Sie haben immer besprochen: Was war das für ein Tier? Wann ist das da gegangen? Ich kannte schon einige Vokabel von Tiernamen, doch irgendwas habe ich nicht verstanden und habe den Tracker neben mir gebeten, das zu übersetzen. Seine Antwort war: „Das ist nicht wichtig, das war mein Cousin, der vor drei Tagen da gegangen ist.“
Was haben Sie in der Kalahari-Wüste bei den San erforscht?
Ich habe mir angeschaut: Machen das Spurenlesen nur Männer, Frauen und Männer oder auch Kinder? Wann lernt man das und wie? Speziell hat mich diese eine Theorie beschäftigt, dass Spurenlesen der Ursprung von Wissenschaft ist. Uns Menschen gibt es seit 300.000 Jahren, und seit 300.000 Jahren lesen wir Spuren. Aufgrund dieses Spurenlesens hat sich unser Gehirn auf eine ganz...