Vorbauen für den Winter
Während sich menscheneins nach und nach in seine vier Wände zurückzieht und sich bei Tee in die Decke kuschelt, arbeitet einer unermüdlich auf Hochtouren: Der Biber hat noch viel zu tun, bevor er sich’s gemütlich machen kann. Im Herbst baut oder renoviert er seine Behausung, damit Schnee, Kälte und Feinde draußen bleiben.
Das Licht schwindet, der Biber kommt. Aus seinem Maul ragt ein großer Ast, den er hinter sich herzieht. In der Dämmerung beginnt Baumeister Biber sein Nachtwerk: Er schleppt Äste und Zweige, bevorzugt über den Wasserweg, herbei, türmt sie auf und klatscht obenauf noch eine ordentliche Portion Lehm oder Schlamm, um alles abzudichten. Wichtig ist ihm neben der Stabilität der Behausung, dass sich der Eingang unter Wasser befindet. So fühlt sich der Nager sicher gegen Eindringlinge. Wenn es wenig Wasser gibt, muss er noch weiteres Baumaterial herbeischaffen, mit dem er einen Damm baut, um Wasser zu stauen. Nur so ist gewährleistet, dass der Eingang zur Burg „unsichtbar“ – unter Wasser – bleibt. Und er die Sicherheit hat, dass sein Daheim vom Feind, zum Beispiel vom Fuchs, geschützt ist. Winterschlaf wird der Biber darin aber keinen halten, deshalb muss er neben Baumaterial auch Nahrungsvorräte sammeln. Es ist viel zu tun im Herbst!
Auf Bibers Spuren
Mit Biologin und Biberexpertin Karin Widerin mache ich mich auf den Weg und tauche ein in die Welt des Bibers. Wir treffen uns beim Kraftwerk Lehen. An den Bau im Jahr 2010 erinnert sich die ehemalige Biologielehrerin noch sehr gut. Vor Baustart schrieb sie ein Gutachten, dass es in der Nähe Biber-Nagespuren gibt. Das Kraftwerk konnte dadurch zwar nicht verhindert werden, aber es wurde ein Umgehungsgerinne mitgeplant. Dieses Gerinne soll Tieren die Möglichkeit geben, einen Ersatzlebensraum zu finden. Der Biber, von dem die Nagespuren damals stammten, wurde zwar durch den Kraftwerksbau vergrämt, aber elf Jahre später wurden erstmals wieder Biber gesichtet. Sie bauten eine Biberburg im Umgehungsgerinne, die heute noch bewohnt ist. Die Burg liegt direkt neben dem Radweg, getrennt durch ein Geländer und das Gerinne. Als wir dort sind, sieht sie eher aus wie ein chaotischer, von Pflanzen überwucherter Berg an Geäst. Genaue Beobachter:innen erkennen da und dort helle Stellen an den Ästen, die zeigen, dass der Biber hier am Werk war und dran geknabbert hat.
Tierische Hausgemeinschaft
In der Burg wohnt der Biber in seinem Familienverband. In einer vollständigen Familie leben ältere und jüngere Nachkommen nebeneinander. Für die Kinder ist bereits nach zwei Jahren Schluss im Hotel Mama: Die Zweijährigen werden vertrieben – wenn es sein muss, energisch –, damit Platz ist für die nächsten Geschwister. So ist die Größe einer Familie relativ konstant und sie lebt beständig in ihrem Revier, das je nach Nahrungssituation zwischen 500 Metern und mehreren Kilometern groß sein kann. Ein „vertriebener“ Biber muss sich ein eigenes Revier suchen. Es kann vorkommen, dass er dafür bis zu 130 km weit schwimmt. So wurde zum Beispiel der Wallersee über die Fischach besiedelt.
Von Running Sushi und Bibersoletti
Während wir sprechen, ist Frau Widerin kurz abgelenkt vom Lärm eines großen Krans, der eine Art Floß aus der Salzach entfernt. Solche Flöße entstehen immer wieder durch Wasserwirbel, die Unrat an die Oberfläche bringen. Baumschnitt, alte Äste, Essensreste bilden dann schwimmende Flächen, auf denen Biber gern sitzen und nach Essbarem suchen. Die Biber lieben diese Flöße, ihr „Running Sushi“, erklärt Widerin lachend. Dass für unser Interview ausgerechnet eine Foodora-Tasche auf dem Floß liegt, ist auch für uns ein gefundenes Fressen.
Wir wandern entlang des Ufers des Umgehungsgerinnes. Auf der einen Seite des Flusslaufes ist es sehr wild verwachsen. Ein Natur-Idyll gleich neben dem Kraftwerk! Wir entdecken einen Ast mit eindeutigen Biberspuren. Die Zahnspuren sind gut erkenn- und erfühlbar. Der Biber wird manchmal als Zerstörer wahrgenommen, weil er scheinbar wahllos Bäume fällt und ein Ästechaos hinterlässt. „Wenn er keine Bäume fällen muss, macht er’s nicht“, erklärt Widerin. Biber fressen gern dünne Rinden und im Sommer krautige Pflanzen, mindestens 200 verschiedene Arten sind bereits bekannt. Im Winter, wenn kein geeignetes Ufergehölz vorhanden ist, kommt es vor, dass er Bäume fällt, um an die oberen Äste zu gelangen. Er frisst nämlich nur die dünne Rinde. Und so entstehen abgenagte Äste, sogenannte „Bibersoletti“.
Das hinterlassene Ästechaos, das manchmal als „Unordnung“ wahrgenommen wird, ist für das Ökosystem sehr wichtig. Österreichs Flüsse sind großteils Kanäle, Fische können sich nicht mehr verstecken. Wenn der Biber Dämme baut und Astmaterial ins Wasser bringt, entsteht eine Unordnung, die die Fische als Versteck nutzen können. Untersuchungen zeigen, dass in Biberrevieren der Fischbestand zunimmt. Bäume, die der Biber annagt – sogenanntes stehendes Totholz –, sind außerdem Quartier oder Nistplätze für Spechte, Fledermäuse und Insekten.
Geil!
Ein paar Schritte weiter inspizieren wir kniend das Ufer. Frau Widerin erkennt in einem Häufchen, das für Laien wie ein kleines Sandhäufchen aussieht, das Bibergeil. Der Biber markiert mit dem öligen Sekret sein Revier. Im Mittelalter sind Biber deshalb bejagt worden, weil Bibergeil mit Gold aufgewogen wurde, es war ein Allheilmittel für alles einschließlich Potenzproblemen. Und – ja – es riecht ähnlich wie Moschus.
Biber, wo bist du?
Vor rund 150 Jahren wurden die in Salzburg lebenden Biber ausgerottet. Heute erobern sie nach und nach ihr ursprüngliches Gebiet zurück. Explosionsartig geht das nicht, dafür sorgt der Biber selbst, der in seinem Revier nur seine Familie duldet. In welchem Ausmaß er sich vermehrt, ist dank zahlreicher (oft freiwilliger) interessierter Menschen gut dokumentiert. Sie begehen regelmäßig Flussläufe und notieren Veränderungen, Fraßspuren, Burgen und Biberpfade. Die so gesammelten Informationen werden im „Bericht zum Bibermonitoring“ dokumentiert. Frau Widerin ist fachliche Leiterin des Bibermonitorings, Grundlage für das Bibermanagement im Land Salzburg. Wir blättern den 270 Seiten starken Bericht durch und ich picke eine Kartierung heraus: Revier 94 „Salzach Überfuhrsteg“: Hier wurden auf dem Satellitenbild – gekennzeichnet mit kleinen gelben Punkten – rund 20 Fraßspuren markiert. „Und keine Burg?“, frage ich. Widerin klärt mich auf: Nicht jeder Biber baut eine Burg. Je nach Revier, wenn steile Hänge vorhanden sind, wo sie (einen Bau) hineingraben können, brauchen sie keine Burg.
Expert:innen können gut abschätzen, wo sich Biber aufhalten. Wer jedoch einen Biber in freier Wildbahn treffen will, braucht Geduld und/oder Glück. Denn tagsüber schlafen die Nager und kommen erst in der Dämmerung heraus. Aber dann geht’s richtig ans Werk, denn sie dürfen keine Zeit verlieren, ihr Quartier in Schuss zu bringen, bevor der Winter kommt!