Über Gott, Kaffee und den Sinn im Leben

 

von Josef Kirchner

„Austrians are racists, you know?“ – Peter Ifeanyi Ofonedu findet gern klare Worte. Er schätzt die Menschen in Salzburg, hat sehr viele positive Erfahrungen gemacht, sehr viel Hilfsbereitschaft erfahren – aber auch das Gegenteil. Sechs Jahre stand er an seinem Standort vor einer Lidl-Filiale und hat Apropos verkauft. Montag bis Samstag, bei jedem Wetter. Diese Verlässlichkeit betont er mehrmals: Er kam nach Österreich, um sich hier ein neues Leben aufzubauen. Und für viele Jahre stand er vor dem Lidl-Eingang und hat so viele Bekanntschaften schließen können. Die meisten sehr positiv. Aber an einen Mann erinnert er sich besonders: Jedes Mal, wenn er einkaufen ging, spuckte dieser auf Peter. Jedes Mal.

Es ist traurig, dass es solche Menschen in dieser Stadt gibt. Und schade, dass diese fast beiläufig erzählte Geschichte in den Stunden und Tagen nach unserem Gespräch immer wieder nachhallt. Dabei hat Peter so viel zu erzählen. Anfangs noch etwas zurückhaltend – wir mussten in dieser für Juli so ungewöhnlichen Kälteperiode erst warm werden –, sprudelt es in der Folge nur so aus ihm heraus: Vor 10 Jahren kam er nach Österreich. Per Zufall und als Asylsuchender. Peter kommt aus Nigeria, dem mit 230 Millionen Einwohner:innen sechstgrößten Land der Erde. Wenn er von Nigeria spricht, sagt er gerne „our country“ – obwohl: So einfach ist das nicht.

Peter wuchs in der historischen Region Biafra im Südosten des Landes auf. Nach der Unabhängigkeit von Großbritannien 1960 herrschte politische Instabilität – dabei fühlten sich die im Süden lebenden christlichen Igbo gegenüber den muslimischen Stämmen des Nordens benachteiligt und strebten die Unabhängigkeit an. Der Biafra-Krieg und damit einhergehende Pogrome und Hungerblockaden forderten mehr als eine Million Todesopfer. Das „Biafra-Kind“ wurde zum Symbol für Hunger und Mangelernährung im Zuge dieses Krieges.

Die Situation der Igbo hat sich seither kaum gebessert, der Konflikt im Nigerdelta wird nun auch um das dort gefundene Erdöl geführt. Das veranlasste auch Peter, Familie und Freunde zu verlassen, nach Libyen zu fliehen, von dort auf einem Schlauchboot über das Mittelmeer, weiter in Lkw – nach Österreich: Traiskirchen, Bad Gastein, Salzburg. „I can not walk“, sagt er, wenn er über seine jahrelange Einschränkung der Freizügigkeit spricht. Als Asylsuchender kann man sich nicht frei bewegen.

2017 klopften schließlich Polizeibeamte an die Tür seiner WG, in der sie zu siebt gelebt haben. Er war nicht zu Hause, sollte aber – wie die anderen sechs – das Land verlassen. Er war verzweifelt, aber aufrichtig – und ging selbst zur Landespolizeidirektion. Da begannen sechs Jahre, die er selbst als „difficult“ – schwierig – bezeichnet. Wenn er erzählt, fragt er häufig nach: „Are you getting me?“ – weil seine Geschichte jetzt kompliziert und intensiv wird. Mehrere Gerichte befassten sich mit seinem Fall, den Namen der zuständigen Beamtin wiederholt er immer wieder. Für Peter bedeutete das ein zweites Asylverfahren, kurze Aufenthalte im Gefängnis, von Freunden und Bekannten geliehenes Geld, mit dem er den Anwalt bezahlte – und eine lange Phase mit Depressionen und entsprechender Medikation.

Und dann – wie aus dem Nichts – erhielt er die positive Nachricht: Peter darf in Österreich bleiben. Wenn er darüber spricht, lässt er keinen Zweifel, wem er das zu verdanken hat, indem er kurz, aber eindeutig nach oben blickt. Peter war und ist sehr gläubig: Über die Last Minute Grace Church, eine kleine christliche Freikirche, konnte er von Bad Gastein nach Salzburg übersiedeln, bekam eine Wohnung vermittelt (die er immer selber bezahlt hat, wie er betont) und fand eine Gemeinschaft.

Seit dem Ende seines Asylverfahrens arbeitet er in der Küche eines traditionellen Salzburger Kaffeehauses und bildet sich nebenbei weiter. Das Wort, das er hier verwendet, ist „purpose“. Mit Arbeit und Ausbildung kann er seinem Leben einen Sinn geben. Oberstes Ziel: Er möchte etwas zurückgeben. Auf seinem Handy scheinen Börsenkurse auf: Peter hat eine universitäre Ausbildung im Finanzmanagement. Er könnte sich vorstellen, wohltätige Organisationen bei der Geldanlage zu unterstützen und so sein Interesse und sein Talent für weniger privilegierte Personen einzusetzen. Auch das ist für ihn gelebtes Christentum.

Fragt man ihn zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Nigeria und Österreich, meint er, dass die christlichen Werte wie Ehrlichkeit und Gastfreundschaft ähnlich sind. Dann fällt ihm noch etwas ein: damals, 2019, als die Menschen in Österreich gegen Korruption und die Regierung auf die Straße gegangen sind. Diese Konfrontation erinnerte ihn an die Aufstände in Biafra gegen Korruption.

Größter Unterschied? In Biafra wird viel gebetet und in der Bibel gelesen. In Österreich lesen nicht mehr viele Menschen in der Bibel – weil die Regeln der Bibel zu Gesetzen des Landes geworden sind, wie er meint. Die Gesetze werden eingehalten und sonst gibt es Gerichte, verhältnismäßig wenig Korruption. Es ist nicht alles perfekt, aber Peter fühlt sich als Teil Salzburgs – es gibt für ihn keinen Weg zurück. Er ist dankbar, betet und hofft, in Zukunft noch mehr zurückgeben zu können.