„Mein Wille geschehe!“

 

Macht ist ein unsichtbares Spielfeld. Es hat keine klaren Regeln, keine sichtbaren Punkte – und doch spüren wir, wenn wir solche Spiele verlieren. Was es mit Macht und Manipulation auf sich hat und wie wir uns wehren können, haben wir eine Profilerin gefragt.

von Michaela Hessenberger

Macht lässt sich dosieren, verstecken, verschleiern. Deshalb ist sie so gut für Spiele geeignet, denn Menschen können sie einsetzen, ohne dass andere es merken – oder sie entziehen, ohne dass es jemand beweisen kann. Das macht sie zum perfekten Werkzeug für stille Kriege“, sagt Patricia Staniek. Sie ist nicht nur Profilerin, sondern auch Wirtschaftskriminalanalytikerin und akademische Sicherheitsexpertin.

Die Wienerin weiß genau, welche gut bekannten und oft nicht enttarnten Machtspielchen uns im Alltag begegnen, ob in Beziehungen oder im Job. „Es gibt sie in leiser Form. Das macht sie so gefährlich“, warnt Staniek und nennt einige Beispiele. Etwa das Vorenthalten von Informationen, denn wer das Wissen hat, hat die Macht – in Firmen und Unternehmen wird dieses Verhalten als „Silent Leadership“ getarnt. Gaslighting ist ein echter „Beziehungsklassiker“, gibt sie zu bedenken. Opfer werden durch perfide Spielchen dazu gebracht, an ihrer eigenen Realität zu zweifeln. Selbst ironische Bemerkungen sind kritisch zu betrachten, wenn sie als „Spaß“ getarnt daherkommen, aber gezielt zum Statusabbau und Herabwürdigen einer Person genutzt werden. Staniek: „Auch das Schweigen wird als Waffe eingesetzt in einem Spiel mit Titel ‚Ich sage nichts, du weißt schon warum‘.“ Und auch Pseudodemokratie lässt die Profilerin nicht gelten, sie verurteilt ein Vorgehen nach dem Motto „Natürlich dürfen alle mitreden – solange sie meiner Meinung sind“. Für sie steht fest, dass diese Spiele nicht immer laut sind, dafür stets wirksam.

„Mein Wille geschehe“ lautet der Titel jenes Buches, das Patricia Staniek über Macht, Manipulation und das Entschlüsseln derselben geschrieben hat. Tatsache ist, dass manche Leute über einen sehr starken Willen verfügen und wollen, dass gemacht wird, was sie sich vorstellen. „Sie sind wie Architekten“, sagt die Autorin. „Sie denken nicht in Möglichkeiten, sondern in Notwendigkeiten. Ihr Wille ist nicht Wunsch, er ist Konstruktionsplan.“

Ja, solche Menschen bringen Dinge in Bewegung, argumentiert Staniek, sie treiben auch den Wandel an. „Ohne Menschen, die sagen ‚Mein Wille geschehe‘, gäbe es keine Innovation, keine Revolution und auch keine Diktatur.“ Es sei also nicht der Wille selbst, der problematisch ist, sondern das, was ihn antreibt: Ego oder Ethik. Dabei gehören Macht und Manipulation für die Profilerin zusammen; sie beschreibt sie als „Geschwister mit unterschiedlicher Moral“. Macht sei das Potenzial zur Einflussnahme, Manipulation der geheime Weg dorthin. Wobei: „Nicht jede Macht ist manipulativ, aber jede Manipulation strebt nach Macht. Die Frage ist, welchen Spot man darauf richtet – Transparenz oder Täuschung“, so Staniek.

Besonders machthungrige Menschen begegnen uns tagtäglich in den Nachrichten auf den Bildschirmen oder in den Zeitungen. Auf die Frage, ob man bei Machtgier nur an die Trumps und Putins dieser Welt denken sollte, antwortet die Analytikerin: „Machtgier tarnt sich gern. Nicht jeder, der ein Podium hat, strebt nach Macht. Und nicht jeder, der schweigt, verzichtet darauf.“ Machthungrige Menschen fänden sich also nicht nur in Präsidentensuiten, sondern auch in Meetingräumen, Familien und sozialen Medien. Sie haben für Staniek eines gemeinsam, nämlich das Streben nach Kontrolle, nicht nach Verbindung. Oft kompensieren sie dafür innere Ohnmacht mit äußerer Dominanz. „Ihre Handschrift? Manipulation statt Kommunikation, Druck statt Vertrauen, Angst statt Klarheit. Putin und Trump sind sichtbare Figuren auf dem Schachbrett. Doch Machtgier lebt oft in jenen, die nie sich selbst, sondern andere bewegen.“

Sie weist darauf hin, dass alle Menschen Macht nutzen, im Alltag, in Beziehungen, im Job. Jede und jeder habe schon einmal versucht, andere zu beeinflussen, sanft in eine Denkrichtung zu schubsen oder den eigenen Willen zu bekommen. Sei es, um Kinder zu schützen, Teams zu führen oder Ideen durchzusetzen. Macht ist für sie weder gut noch böse, sie ist eine Ressource. „Was zählt, ist die Intention dahinter. Wer Macht verteufelt, macht sich selbst klein. Wer sie blind ausübt, macht andere klein. Es geht prinzipiell um bewusste Machtausübung – nicht um Machtausbeutung.“ Für Patricia Staniek persönlich ist Macht also ein Werkzeug zur Wirkung. „Sie bedeutet für mich, gestalten zu können. Räume zu schaffen, in denen Menschen wachsen statt ersticken. Macht verstärkt das, was ohnehin in einem Menschen steckt. Ein destruktiver Mensch wird mit Macht gefährlich.Ein ethischer Mensch wird mit Macht wirksam.“ Denn Macht könne heilen oder zerstören. Nutzen habe sie dort, wo sie Klarheit schafft, Verantwortung übernimmt, Sicherheit bietet.

Eine gute Nachricht: Machtverhältnisse lassen sich auch umdrehen. Wer das Spielfeld wechselt, durchbricht das Spiel. Konkret bedeutet das für Staniek: „Wenn dich jemand in einem starren Machtverhältnis festhält, wechsle die Rolle. Werde Beobachterin oder Beobachter statt Spieler oder Spielerin. Stelle Fragen, statt Aussagen zu tätigen. So verwandelst du das Machtspiel in ein Theater und wirst zum Regisseur oder zur Regisseurin.“