
Legale Halle statt dubioser Hölle
Was mit Lust am Spiel und Freude am kleinen Nervenkitzel beginnt, kann schrittweise zum Zwang werden. Von Spielsucht betroffen sind allein in Salzburg Tausende. Nun sollen konzessionierte Spielhallen eine bessere Überwachung der Branche bringen.
von Wilhelm Ortmayr
Die Verluste werden zunächst noch bagatellisiert, noch prahlt man mit den Gewinnen. Dem sozialen Umfeld und sich selbst macht man vor, die Verluste seien durch Gewinne abgedeckt. Erntet man Unverständnis, folgen häufigeres Spiel alleine, häufigeres Denken an das Spiel und schließlich erste größere Verluste. Die werden verheimlicht, während Familie und Freunde immer geringere Aufmerksamkeit bekommen. „Irgendwann dominiert Spielen ihr Denken – 24 Stunden am Tag“, schildert Roman Neßhold vom Institut Glücksspiel und Abhängigkeit in Salzburg den typischen Weg in die Spielsucht. Seit mittlerweile 23 Jahren betreut das Institut Betroffene, bietet Beratung und Psychotherapie, vermittelt weitere Hilfsangebote bis hin zum stationären Aufenthalt in einer Spezialklinik und unterstützt Hilfesuchende in rechtlichen und finanziellen Fragen. Das Angebot ist niederschwellig – für ein Erstgespräch braucht man keine E-Card und kann auf Wunsch anonym bleiben.
Gut 5000 Spiel- und Wettsüchtige gibt es laut Schätzungen im Bundesland Salzburg, 150 bis 200 pro Jahr suchen Hilfe bei Neßhold und seinen Mitarbeitern oder den Anlaufstellen des Landes. Für die Betroffenen ist das kein leichter Schritt, oft kommt die Kraft dafür erst durch die pure Verzweiflung, das Abgleiten in die Kriminalität, in die Mehrfachsucht (Alkohol, Drogen) oder den privaten und beruflichen Zusammenbruch. Wer Glück hat, findet schon, bevor es so weit kommt, Mitmenschen, die den Weg zu professioneller Hilfe weisen. „In der Steiermark sind in letzter Zeit viele Erstkontakte durch die Vermittlung einer Kartenlegerin entstanden, der Spielsüchtige ihr Herz ausgeschüttet haben“, erzählt Neßhold.
Rechtlich steht Salzburg mit dem kommenden Jahreswechsel vor einer gravierenden Neuerung, die die Glücksspielszene massiv verändern wird: Erstmals tritt ein Landes-Glücksspielgesetz in Kraft. Salzburg bekommt damit legale Spielhallen. Die Zahl der Lizenzen wird sehr beschränkt sein und ihre Vergabe an strengste Kriterien gebunden. Limitiert wird auch die Gesamtzahl der Automaten. Einzelaufstellungen, etwa in Cafés oder Tankstellen, soll es dann nicht mehr geben. Neßhold sieht diese Entwicklung positiv. Das Beispiel aus anderen Bundesländern zeigt nämlich, dass damit die illegalen Spiellokale fast vollständig verschwinden. Denn das Entstehen legaler Einrichtungen entzieht ihnen das Geschäft.
Dadurch sinkt die Begleit- und Beschaffungskriminalität – ein nicht zu unterschätzender Faktor. „In illegalen Spiellokalen ist man so gut wie immer von Kriminellen umgeben“, schildert Neßhold. „Nicht selten werden den Spielsüchtigen dort Drogen angeboten oder kurzfristige Kredite zu Höchstzinsen vermittelt. Wer die nicht zurückzahlen kann, wird beispielsweise zu Drogenkurierfahrten genötigt.“
In gesetzlich erlaubten Spiellokalen hingegen werden die Mitarbeiter regelmäßig auf das Thema Spielsucht geschult. Der Höchsteinsatz sowie der Maximalgewinn eines Geräts sind gesetzlich geregelt. An illegalen Automaten hingegen können Spieler pro Runde bis zu 20 Euro ausgeben und nicht selten sind nach einer Zigarettenlänge 1000 Euro verspielt.
Österreich hat mittlerweile eines der strengsten Glücksspielgesetze europaweit. Bewerben um eine Lizenz dürfen sich nur Aktiengesellschaften, die ja per se bereits den engsten rechtlichen Richtlinien unterliegen. Es gibt diverse Sperrregelungen, dank eines Monitoringsystems kann niemand anonym sowie über ein gewisses Limit hinaus spielen. All diese Voraussetzungen erfüllen die legalen Spielhallen sehr gewissenhaft, weil sie sonst schnell die Lizenz los sind. Im illegalen Bereich oder bei Online-Wettanbietern mit Sitz auf den Bahamas kontrolliert niemand und es erntet bestenfalls ein müdes Lächeln, wer die Sperre eines Spielers oder die Rückzahlung von Einsätzen fordert.
Nicht nur deshalb bereitet das Internet den Experten massive Sorgen. Die Verbreitung der Smartphones und die Covid-Pandemie haben dem virtuellen Spielen die zwei ganz entscheidenden Wachstumsschübe gebracht. Vor Covid lagen beispielsweise die Einsätze bei Sportwetten in den Shops und online etwa gleichauf. Heute lautet das Verhältnis 20 zu 80. Da es online in Österreich wegen des Monopols aber nur einen legalen Glücksspielanbieter gibt, nämlich Win2day, weichen sehr viele User „ins Ausland“ aus, wo sie weitgehend unkontrolliert und unbetreut spielen können. Es wundert also nicht, dass die im Internet pro Kopf verspielten Summen mittlerweile höher sind als die stationären Verluste.
„Der Gesetzgeber muss den Onlinebereich endlich klar und streng regeln“, fordert Neßhold deshalb. Und er sollte sich seiner Meinung nach auch das Monopol der Lotterien und der Casinos Austria „sehr genau ansehen“. In Sachen Spielerschutz sei die Praxis der Casinos deutlich weniger sorgfältig als behauptet. Proteste dagegen hätten bisher aber so gut wie nie gefruchtet, was gelernte Österreicher aber nicht verwundern dürfe. „An den Casinos ist der Staat beteiligt, an den Lotterien ebenso, zudem der ORF und die Mediaprint, weitere Zeitungen haben Kooperationsverträge.“
Die Struktur der Spielsüchtigen hat sich mit der Digitalisierung nicht nur in Österreich deutlich verändert. Betroffen sind immer mehr junge Menschen und zunehmend auch Frauen. Denn der Onlinemarkt hat Spiele entstehen lassen, die thematisch frauenaffiner sind, und auch im Automatenbereich gibt es Innovationen, von denen sich weibliches Publikum stärker angesprochen fühlt als bisher.
Was Neßhold zudem auffällt: Die Covid-Pandemie hat bei den Spielsüchtigen, also einer vulnerablen Gruppe, deutlich schlimmere Spuren hinterlassen als bei der Durchschnittsbevölkerung. „Wir sehen deutlich mehr Klienten, die mit Mehrfachsüchten kämpfen oder an schwersten psychischen Erkrankungen leiden – bis hin zur akuten Selbstmordgefahr.“
Doch den Weg zurück in ein Leben ohne Sucht gibt es. Die Therapien haben hohe Erfolgsquoten – auch weil man am Institut bemüht ist, die „Fälle“ ganzheitlich zu sehen. „Ein Klient ist erst geheilt, wenn er nicht nur nicht mehr spielt, sondern wenn sein Leben auch familiär, sozial, beruflich, finanziell und juristisch in soliden Bahnen verläuft“, erklärt Neßhold. „Wenn einer zum letzten Mal bei uns rausgeht, muss er lächeln.“
Mitunter gelingt es dann sogar, bei verschiedenen Glücksspielanbietern Geld zurückzufordern, doch diese Rückzahlungen erweisen sich laut Neßhold nicht selten als Bumerang, speziell bei Menschen, die die Spielsucht noch nicht lange hinter sich haben. Ein trauriges Beispiel von vielen ist jener Mann, der 140.000 Euro zurückbekommen hatte und nun vor den Trümmern seiner privaten wie beruflichen Existenz steht. Denn wenige Monate später war nicht nur die Rückzahlung verspielt, sondern zudem weitere 100.000 Euro, finanziert durch Diebstahl an der eigenen Familie, die Veruntreuung von Kundengeldern und extrem hoch verzinste Kredite bei unseriösen Banken. „Da muss jemand schon wirklich lange gesund sein, die kognitiven Verzerrungen tatsächlich hinter sich haben und sozial sowie beruflich völlig gefestigt sein, um mit so viel rückgezahltem Geld umgehen zu können.“