
Kein ICH ohne WIR
„Kein Ich ohne Wir“ ist der Leitgedanke der südafrikanischen Lebensphilosophie Ubuntu, die durch Nelson Mandela weltweit bekannt wurde. Die Konfliktforscherin Daniela Molzbichler und der Unternehmensberater Martin Sturmer haben im Frühjahr ein Buch dazu herausgebracht. Im Apropos-Interview schildern sie, was das Besondere an Ubuntu ist und wie es gelingt, sogar in einem Konflikt das Wir über das Ich zu stellen.
Titelinterview mit Daniela Molzbichler und Martin Sturmer
von Monika Pink-Rank
Was bedeutet „WIR“ in Bezug auf Ihre Tätigkeit für Sie persönlich?
Daniela Molzbichler: Als Lehrende an der FH Salzburg und Workshoptrainerin ist für mich der Austausch mit Studierenden, mit Teilnehmer:innen und meinen Kolleg:innen sehr wichtig. Dabei ist es vor allem die Vielfalt bei Vorträgen an Hochschulen, Projekten, etwa im Friedensbüro, mit Sozialeinrichtungen, also das WIR, eine große Bereicherung. Es hilft mir, mich selbst weiter zu entwickeln und etwas Positives, Konstruktives daraus zu schöpfen.
Martin Sturmer: Als Berater ist für mich das WIR in der Kundenbeziehung ganz wichtig. Wenn ich das Gefühl habe, da ist kein WIR, sondern ich bin eher der Erfüllungsgehilfe für ein Ego, nehme ich den Auftrag erst gar nicht an. Das andere ist natürlich, dass man aus Teams mit starkem Wir-Gefühl weit mehr Motivation und Zufriedenheit schöpfen kann und bessere Resultate erzielt als ein Einzelkämpfer.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich mit der südafrikanischen Lebensphilosophie Ubuntu zu beschäftigen?
MS: Ich habe vor einiger Zeit ein Seminar beim Friedensforscher Johan Galtung besucht. Er hat u. a. über Buddhismus und das hawaiianische Versöhnungsritual Hoʻoponopono gesprochen und dann zu mir gesagt: „Du als Afrikanist musst dich sowieso mit Ubuntu beschäftigen“. Und da hab ich mir gedacht: Eigentlich hat er recht, da ich mich während des Studiums eher auf Ostafrika konzentriert habe als auf Südafrika. Daniela und ich kennen uns seit 1999, sie ist auch Kuratorin im Afro-Asiatischen Institut, wo ich 2019 bis 2020 Geschäftsführer war. Da sie in Bezug auf Konfliktlösung immer meine Ansprechpartnerin war, habe ich gesagt: „Dani, da müssen wir was machen!“
DM: Aus Sicht der Konfliktforschung fasziniert mich an Ubuntu besonders das Thema Versöhnung. Gerade der Umgang mit den durch die Apartheid verursachten jahrzehntelangen Verletzungen in Südafrika ist ein Idealbeispiel dafür, wie es machbar und schaffbar ist, und Ubuntu spielt dabei eine sehr große Rolle. Außerdem hat uns beide die einseitige Sichtweise auf den extrem vielfältigen Kontinent Afrika genervt, die entweder von übertriebenem Exotismus oder Negativ-Schlagzeilen geprägt ist. Uns war wichtig aufzuzeigen,...