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von Vea Kaiser
Der Regen setzte in der Sekunde ein, in der ich aus dem Bus stieg. Regen? Vielmehr: eine von oben herabstürzende Sintflut, wie sie nur der Salzburger Himmel zu bieten hat. Als ich nach einem zweiminütigen Fußmarsch die Hotellobby erreichte, wo Marcela und Nicolae bereits warteten, war ich von oben bis unten nass. Auch das ist so eine Eigenschaft, die nur dem Salzburger Regen zu eigen ist: Er fällt schnurgerade nach unten und erwischt einen dennoch überall.
Als gelernte Wienerin durchfuhr mich der Grant, und postwendend schämte ich mich dafür. Marcela und Nicolae lächelten mich freundlich an und freuten sich über meine drei schief ausgesprochenen Worte auf Rumänisch. Ich schämte mich, weil das, was ich gerade als himmelschreiende Frechheit empfunden hatte – mitten am Tag nass zu werden –, ein Luxusproblem ist. Für andere Menschen ist das normal, weil sie gezwungen sind, sich bei allen Witterungsverhältnissen draußen aufzuhalten – egal, ob es regnet, schneit, grauslich stürmt oder die Kälte regiert: Nicolae und Marcela zum Beispiel.
Seit dreizehn Jahren stehen die beiden an jedem ihnen möglichen Tag an ihren Standplätzen, von 7.45 bis 16.00 Uhr. Marcela weiß das so genau, weil sie jeden Tag denselben Bus nimmt, um pünktlich bei der Arbeit zu sein. Pünktlichkeit, Verlässlichkeit seit mehr als einer Dekade: Man würde meinen, das würde anerkannt und honoriert. Doch ausgerechnet die Politik, die so ein Verhalten einfordert, erschwert Marcela und Nicolae das Leben. In den letzten Jahren hat sich etwas geändert. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) stellte auf einmal Bescheide aus. Denn grundsätzlich muss jeder EU-Bürger spätestens nach drei Monaten einen festen Wohnsitz vorweisen, oder wieder ausreisen, sonst droht ein Aufenthaltsverbot. Offiziell gilt das für alle, faktisch jedoch werden Menschen wie ich, die aussehen wie die klassische mitteleuropäische Reihenhausbewohnerin, nie kontrolliert, Leute wie Nicolae und Marcela, die ihre Zeitung auf der Straße anbieten, aber schon. Die Dolmetscherin der Caritas erzählt mir, dass sich Menschen wie Marcela oder Nicolae mittlerweile mit Tageszeitungen vor berühmten Denkmälern in ihren Herkunftsländern fotografieren lassen, um beweisen zu können, dass sie in der Zwischenzeit zuhause waren. Denn wie soll man das sonst beweisen in einer EU, wo man keinen Stempel mehr in den Pass bekommt, sondern theoretisch Personenfreizügigkeit herrscht? Theoretisch – denn praktisch, das hab ich jetzt gelernt, gibt es diese nicht.
Was sie nach Salzburg verschlagen hat?, möchte ich wissen. Probleme zuhause, sagt Marcela, will das aber nicht vertiefen. Die...