
Lebensraum gestalten – und zwar fair
Katja Schechtner ist eine international vernetzte Urbanistin, die unter anderem mit dem MIT in Boston, USA, forscht. Ihre Expertise reicht von globaler Technologie- und Innovationspolitik über Mobilitätsplanung bis zum urbanen Grün, der Natur in der Stadt. Sie ist außerdem Autorin des Buches „Frauen Bauen Stadt“. Wir haben mit ihr über feministischen Städtebau, vor allem aber über eine faire Stadt für alle gesprochen.
Interview von Michaela Hessenberger mit Katja Schechtner
Was zeichnet eine „weibliche“ Stadt aus?
Katja Schechtner: Es geht nicht darum, dass eine Stadt weiblich aussieht, sondern dass Frauen an einer Stadt in jeder Hinsicht mitgestalten, weil sie in ihr leben werden. Frauen müssen genau dieselben Möglichkeiten haben, sich in der Planungsphase einzubringen, wie Männer. Doch die Realität zeigt uns, dass sie oft ausgeschlossen sind.
Zum Nachteil einer Stadt, die gerade entsteht.
Selbstverständlich, weil die Lebensrealitäten und Bedürfnisse von Frauen in der Stadtplanung nicht berücksichtigt oder mitgedacht werden und das, was sie brauchen, weniger wahrgenommen wird. Während längst die Hälfte der Architektur-Absolventinnen an den Universitäten weiblich ist, bekommen Frauen viel weniger Aufträge und Chancen, Gebäude oder eben ganze Städte zu gestalten.
Welchen Grundauftrag haben Architektinnen und Architekten?
Neben Grundregeln – vom Goldenen Schnitt bis zur idealen Gehsteigbreite – geht es darum, Raum aus der ganz eigenen Wahrnehmung und aus dem Wunsch heraus zu entwickeln, die Welt um sich zu gestalten. Wenn aber eine Seite der Wahrnehmung, meist die weibliche, fehlt, wird das Resultat nicht ideal sein.
Das deutet auf ein grobes Ungleichgewicht in der Architektur hin.
Und wie! Wenn Frauen doch einmal Städte planen und sie auf globalem Level von Bürgerinnen, Bürgern und der Fachwelt anerkannt werden, nimmt man ihnen die Anerkennung weg und schreibt die Leistung Männern zu. Das ist auf dem höchsten Level passiert und nicht nur einmal. In der Architektur gibt es den Pritzker-Preis, quasi den Nobelpreis dieser Branche. Bis 1991 haben ihn nur Männer gewonnen, doch in diesem Jahr war ein Büro nominiert, bestehend aus einer Frau und einem Mann. Erhalten hat den Preis nur der Mann. Ein Einzelfall? Nein, denn genau dasselbe ist 2012 wieder passiert und die Frau, Lu Wenyu, wurde von der Ehrung ausgeschlossen. Und auch in Interviews und Panels sieht man: Frauen bauen, Männer reden darüber.
Welche Anforderungen erfüllt also eine faire Stadt?
Sie berücksichtigt die vielfältigen Alltage aus der Perspektive verschiedenster Gruppen, ihre Wege und Abläufe. Kurz: das, was sie zu tun haben. Nicht alle fahren morgens mit dem Auto in die Arbeit, halten sich dort stundenlang auf und kehren ohne einen Stopp abends wieder nach Hause zurück. Die Lebensrealitäten zwischen Männern, die vielleicht noch einen Abstecher ins Fitnessstudio machen, und Frauen mit x Wegen unterscheiden sich doch oft deutlich. Auf dem Weg in die Arbeit müssen die Kinder in Kindergarten oder Schule abgeliefert werden. Unterwegs geht’s schnell zur Post, dann ins Büro, danach zum Einkauf, Kinder-Einsammeln und so weiter.
Eine faire Stadt im Aufbau berücksichtigt die Mobilität und Wege im Alltag mit. Denn nicht für alle ist es gleich wichtig, in einer Stadt möglichst schnell von A nach B zu gelangen. Gerade Frauen brauchen die Möglichkeit für mehrere Stopps. Jugendliche wollen in konsumfreien Zonen abhängen, Kinder brauchen zwischen Autos und auf Gehsteigen Rücksicht, weil sie einfach kleiner sind als Erwachsene. Dazu kommt das Design von Räumen, denn man kann sie auch so gestalten, dass man gewisse Menschen ausschließt – oder nicht. Obdachlose beispielsweise.
Eine faire Stadt zeichnet aus, dass unterschiedliche Bevölkerungsgruppen miteinander oder auch nebeneinander leben können.
Konsumfreie Zonen sind also essenziell?
Unbedingt, denn Plätze zum Sitzen und Ausruhen sind für viele Leute wichtig. Wir wollen keine Orte schaffen, die nur von einer einzigen Gruppe besetzt sind – etwa jenen Menschen, die kein Zuhause haben oder schwierig im Umgang sind. Eine zufriedenstellende Lösung für alle ist, solche Zonen über die Stadt zu verteilen, damit sich keine Brennpunkte bilden. Dazu gehört ein fairer Zugang zu Grünräumen für alle.
Das sollte doch alle Menschen gleichermaßen glücklich machen.
Wenn eine Stadt sich verändert und grüner wird, dann bringt dieser Schritt oft eine Gentrifizierung mit sich: Wo in Grün investiert wird, ziehen bessergestellte Bürgerinnen und Bürger hin und andere weg.
Was ist 2025 zu bedenken, wenn Profis vor dem Planungstool sitzen?
In erster Linie müssen sie eine gute Vorstellung davon haben, für wen sie planen, und Ideen immer in die Zukunft projizieren. Städteplanung ist nichts für die kommenden drei, sondern für die kommenden 30 Jahre. Daher müssen wir in der Lage sein, uns unterschiedliche Zukünfte vorzustellen, die sich auch verändern können. Diese Veränderung muss zugelassen werden. Gleichzeitig zählen Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Einfach eben, wie öffentlicher Freiraum so geplant werden kann, dass sich möglichst viele Menschen dort aufhalten können.
Welche Veränderungen im Städtebau sind für Sie die offensichtlichsten?
Es ist erstaunlich, wie viel Platz Autos heute bekommen. Straßen haben meist zwei Fahr- und zwei Parkspuren. An der Seite zusammengequetscht treffen sich Fußgänger, Radfahrende, Senioren, Hunde.
Was ich positiv wahrnehme, ist, dass die Natur in der Stadt immer wichtiger wird. Und die Bevölkerungszusammensetzung hat sich verändert. Auch dieser Entwicklung trägt moderner Städtebau Rechnung.
Wie tut er das?
Nun, unterschiedliche Kulturen haben unterschiedliche Erwartungen an Freiräume. Beispiel Lärm: Das Ruhebedürfnis für Menschen aus Frankreich, Italien, der Türkei oder Syrien wird sich unterscheiden. Das können Architektinnen und Architekten mitdenken. Oberflächen können Lärm verringern und auch helfen, dass menschliche Stimmen gedämpft werden. Wer an wichtigen Stellen das richtige Material einsetzt, erzielt tolle Ergebnisse für die Gemeinschaft.
Wo steht Österreich im internationalen Vergleich, wenn es um zukunftsträchtige und faire Stadtplanung geht?
In Paris haben wir gesehen, was in unglaublich kurzer Zeit an positivem Wandel klappt, wenn der politische Wille da ist. Paris verzeichnet dank professionellen Handelns weniger Hitzeinseln und weniger Unfälle – und das sind nur zwei Beispiele.
Österreich macht vieles gut und ist manchmal nach dem Motto „Einen Schritt vorwärts, zwei zurück“ unterwegs. Über die Begegnungszone in der Mariahilfer Straße ist anfangs so viel gejammert worden, mittlerweile haben sich viele hübsche Cafés angesiedelt und die Leute sind zufrieden.
Welche Rolle spielt Kunst im urbanen Raum?
Eine große! Da kann ich Österreich für Kunst am Bau sehr loben. Vielfalt ist wichtig, nicht, dass der Bürgermeister seinen Lieblingskünstler 20 Brunnen bauen lässt. Für gute Entscheidungen braucht es die ganze Stadt, am besten mit öffentlichem Beirat zusätzlich zu den Fachexperten, die sich gegenseitig gern beeindrucken wollen. Salzburg hat einen sehr guten Weg gefunden, wenn es um das Kulturverständnis geht. Kunst im öffentlichen Raum löst Reflexion und Diskussion aus