
„Literatur hat das Potenzial, Menschen zu verändern“
Sprache ist mächtig. Sie bezaubert und entzaubert. Sie schafft neue Welten und lässt andere verblassen. Seit fast 30 Jahren leitet Tomas Friedmann das Salzburger Literaturhaus. Im Apropos-Gespräch erzählt er, weshalb Literatur eine großartige Möglichkeit ist, der Welt zu begegnen, was gute Lektüre ausmacht und weshalb er keine Buchempfehlungen gibt.
Titelinterview mit Literaturhaus-Leiter Tomas Friedmann
von Chefredakteurin Michaela Gründler
Was bedeutet für Sie wortgewandt?
Tomas Friedmann: Wortgewandt ist jemand, der sich klug, reflektiert, humorvoll, kritisch, aber auch selbstkritisch gut ausdrücken kann – und wenn das Gesagte beim Gegenüber so ankommt, dass man gerne zuhört und es versteht.
Was bedeuten Ihnen Wörter?
Tomas Friedmann: Bei Wörtern ist immer der Zusammenhang wichtig, aber es hat auch ein einzelnes Wort etwas Faszinierendes. Es kann eine Erinnerung hervorrufen, eine Fantasie oder einen Traum. Ein schönes Wort ist Sehnsucht. Oder auch Unterhaltung. Da steckt die Haltung drin – und Haltung ist wichtig.
Was macht Literatur mit den Menschen?
Tomas Friedmann: Literatur hat das Potenzial, Menschen zu verändern. Natürlich nicht im Großen und sofort. Man kann mit Literatur und Kunst weder den Klimawandel noch eine Hungerkatastrophe oder eine Flüchtlingskrise bewältigen. Aber wenn man gute Literatur liest, dann macht das was mit einem. Hätte ich nicht als junger Mensch Gedichte gelesen, selbst geschrieben oder H. C. Artmann kennengelernt, wäre ich nicht der, der ich heute bin. Meine Mutter hat meinen älteren Bruder und mich schon von klein auf in die Linzer Stadtbücherei mitgenommen und wir haben dabei in unzählige neue Welten eintauchen dürfen.
Literatur ist eine großartige Möglichkeit, dem Leben zu begegnen. Und ich möchte hier auch mit einem Klischee brechen: Jemand, der sich mit Literatur beschäftigt, hat nicht automatisch dicke Brillengläser, ist blass und lebensfremd, lebt zurückgezogen und ist einsam. Im Gegenteil: Man kann als Literaturmensch auch gern tanzen, reisen, kegeln, Sport betreiben … Literatur ist eine Möglichkeit, sich selbst zu entdecken, und ich würde sogar so weit gehen und sagen: ein besserer Mensch zu werden.
Was ist für Sie ein guter Mensch?
Tomas Friedmann: Jemand, der keine Scheuklappen hat, der wach und offen ist und versteht, dass unsere Zeit endlich ist. Der daher jeden Tag nutzt und hinschaut, wenn jemand Hilfe und Unterstützung braucht. Der versucht, in seinem Bereich einen Beitrag zu leisten, sodass es ihm, den anderen und der Umwelt gut geht. Ich liebe es zum Beispiel, in ein Geschäft zu gehen, in dem ich nicht oberflächlich, sondern nett bedient werde. Da...